Finanzen. Schäden für den Fiskus im zweistelligen Milliardenbereich sehen Experten aufgrund des seit der Einführung es EU-Binnenmarktes 1993 grassierenden Umsatzsteuerbetrugs. Der Finanzausschuss hörte am 28. Januar Experten der Generaldirektion Steuern und Zollunion der EU-Kommission, des Bundesrechnungshofes und des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) in einem Fachgespräch.
Die Ausschussvorsitzende Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen) stellte im Anschluss an das Gespräch fest, dass der Umsatzsteuerbetrug mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen habe. Allein in Deutschland gingen jedes Jahr etwa 18 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren. Die Funktionsweise und der Ideenreichtum der Betrüger sei grenzenlos. Aufgrund dessen bestehe dringender Handlungsbedarf, wobei auf nationaler Ebene wichtige Schritte bereits unternommen worden seien.
Unabdingbar für eine volle Wirksamkeit ist nach den Worten Scheels eine grenzüberschreitende Kooperation sowie ein umfassender Informationsaustausch zwischen den zuständigen Stellen in der EU, etwa OLAF, und den nationalen Behörden. Intensiviert werden müsse auch die Strafverfolgung.
OLAF-Generaldirektor Franz Brüner sagte, die Betrugsgeschäfte seien jahrelang mit Handys, Computerteilen oder Edelmetallen vorgenommen worden. Jetzt seien auch landwirtschaftliche Produkte betroffen, weil man gleichzeitig Subventionen und Mehrwertsteuer kassieren könne. Betroffen sei auch die Differenzbesteuerung im Kfz-Sektor sowie der Dienstleis-tungssektor. "Der Einfallsreichtum ist unbegrenzt", sagte Brüner. Deutschland sei für die Betrüger unter anderem deswegen interessant, weil die Vorsteuer hier korrekt und schnell erstattet werde. Es gehe um organisierte kriminelle Strukturen. Gegenmaßnahmen, die an den nationalen Grenzen enden, würden ebenso wenig ausreichen wie zwischenstaatliche Einzelverträge. Erforderlich sei vielmehr eine supranational arbeitende koordinierende Stelle, die Justiz, Zoll, Ermittlungsbehörden und Polizei zusammenbringt.
Alexander Wiedow von der EU-Kommission sprach sich für Gegenseitigkeitsvereinbarungen mit anderen Mitgliedstaaten aus. Die Steuerausfälle konzentrierten sich auf so genannte Karussellgeschäfte, bei denen ein steuerfreier Handelswert zwischen EU-Unternehmen durch einen zwischengeschalteten Scheinunternehmer "netto in brutto" umgewandelt wird. Die nie gezahlte Umsatzsteuer wird als Vorsteuer geltend gemacht und über mehrere "Karussellumdrehungen" ein konkurrenzlos niedriger Preis erreicht. Dem könnte durch die Umstellung des Vorsteuerabzugsystems auf eine Einzelhandelssteuer, die nur noch beim Endverbraucher erhoben wird, begegnet werden, was mit dem jetzigen EU-Recht aber nicht vereinbar wäre.
Klaus Schleicher vom Bundesrechnungshof brachte als Alternative den Übergang von der Soll- zu einer Istbesteuerung ins Gespräch. Nach der vorherrschenden Sollbesteuerung muss die Umsatzsteuer unabhängig davon gezahlt werden, ob der Rechnungsbetrag beim Lieferanten tatsächlich eingegangen ist. Die nur vereinzelt zulässige Istbesteuerung orientiert sich dagegen an tatsächlich eingenommenen Entgelten. Schleichers Kollege Michael Schrenk bezifferte die Steuerausfälle aufgrund der Tatsache, dass die Steuerschuld nicht eingetrieben werden kann, auf 3,9 Milliarden Euro jährlich nur bei der Umsatzsteuer.