Schon 1247 werden die Heilquellen des ein paar Kilometer nördlich von Bardejov/Bartfeld liegenden Bardejovské Kúpele erwähnt. Ungarische und polnische Adlige nutzten sie, der Habsburger Reformkaiser Josef II. zählte ebenso zu den Gästen wie eine Ehefrau Napoleons oder der russische Zar Alexander I. Kein Zeitenwandel, kein Krieg, keine Revolution hinderte die Prominenten aller Zeiten daran, das Kurbad zu besuchen.
Und auch ihre Abbilder sind äußerst wandlungsfähig. Wohl der beliebteste Gast von Bardejovské Kúpele war die Habsburger Kaiserin Elisabeth, besser bekannt als Sissi, die mehrere Male hier abstieg. Es heißt, sie habe mit einem ungarischen Grafen und so weiter... In Mitteleuropa, wo Geschichte immer als Last, die es zu erdulden gilt, empfunden wird, erzählt man sich mit Lust und Liebe Geschichten über die Personen der Geschichte; und diese Geschichten erzählt man sich mit solcher Hartnäckigkeit und Intensität, dass sie irgendwann einmal in die Arsenale der Geschichte eingehen.
Jedenfalls schien auch diese Geschichte durch das Verhalten einiger ungarischer Fürsten bestätigt zu werden, die 1903, fünf Jahre nach dem Attentat auf die Kaiserin, eine Bronzestatue stifteten und im Kurpark aufstellen ließen. Und damit begann wieder eine Geschichte.
Bei der russischen Herbstoffensive des General Brussilow 1914 brannte der Kurort aus, doch die Statue bekam keine Schramme ab. Sie überlebte, obwohl aus verhasstem Geschlecht, auch die Gründung der tschechoslowakischen Republik 1918. Vor Denkmalstürmen bewahrte sie die Argumentation eines Heimatforschers, die Statue sei in Wirklichkeit die Gattin eines reichen jüdischen Bankiers aus Budapest, die ihre Gallensteine in Bardejov gelassen habe.
Diese Version war allerdings 1939 angesichts der nazifreundlichen Entwicklung in der Slowakei, deren katholische Führer in der Folge den Großteil der jüdischen Mitbürger unaufgefordert an Hitler auslieferten, absolut nicht gefragt. An die Bronze aber hatte man sich offenbar schon so gewöhnt, dass man ihr wieder eine neue Identität verpasste. Dieses Mal, wie Ota Filip berichtet, soll ihr ein Historiker aus Bratislava "das Ideal einer arischen, slowakischen Frau" übergestülpt haben. So ist das mit den nationalen Identitäten.
Die hielt bekanntlich nicht lange. Den befreienden Sowjets band man angeblich eine russische Bärin auf, indem man Sissi kurzfristig zu Katharina II. mutieren ließ. Mit der Machtergreifung der Kommunisten in der nunmehrigen CSSR kehrte man wieder zur Legende der jüdischen Frau aus Budapest zurück, zu Sarah Rothenstein. Freilich drehte man auch hier wieder am Rad der Geschichte: "Sarah Rothenstein, die Partisanin, fiel im slowakischen Aufstand 1944 im Kampf gegen die Faschisten."
Die kommunistischen Führer des Aufstands fielen aber wegen "nationalistischer und bürgerlicher Abweichungen" in Ungnade und wurden jahrelang zur proletarischen Besserung ins Gefängnis geschickt; Stalins Antisemitismus machte vor den ostmitteleuropäischen Satelliten nicht Halt, also musste die jüdische Identität auch wieder verschwinden. Inzwischen hatten die KP-Regenten die Annehmlichkeiten der feudalen Lebensart für sich entdeckt, so dass sie plötzlich an Sissi sozialistische Seiten entdeckten:
Die Kaiserin wurde zur emanzipierten Frau stilisiert, die den reaktionären Habsburgerhof verlassen hat, in Bardejov die Nähe des slowakischen Volkes suchte, wie sie überhaupt zu einer Vorkämpferin für die Freiheit des slowakischen Volkes aufstieg. Vielleicht hätte sie es auch noch zu einer Vorläuferin der Kommunistischen Partei gebracht.
Heute noch steht die Statue in der Grünanlage vor dem neobarocken Kurhaus, und es scheint eine Art informellen Wettbewerb zu geben, wer sie sein könnte. Schon Sissi beflügelte die Fantasie der Menschen zu den unglaublichsten Projektionen. Ihrer 100-jährigen Statue entsteigen immer noch neue Identitäten. Und vielleicht geht es den Slowaken ähnlich mit dem Wandel, in dem sich ihr Land befindet.