Renate Bethge nennt ihr Buch: "Dietrich Bonhoeffer, eine Skizze seines Lebens". Damit kommt sie dem Bedürfnis vieler entgegen, sich dem Theologen, dessen Name in so vieler Menschen Munde ist, dem Häuser und einige Schulen gewidmet sind, zu nähern. Man muss nicht immer nach dem gewaltigen Werk Eberhard Bethges - immerhin 1.300 Seiten stark - greifen, um sich über den Mann, der wie kein anderer moderner Theologe die Kirche bewegt hat, ein Bild zu machen. Man erhält auch hier eine authentische Schilderung seines Lebens, - von seiner leiblichen Nichte und der Gehilfin ihres Mannes beim Entstehen von dessen Riesenwerk.
Eine "Skizze" erlaubt aber auch, eigene Akzente zu setzen. Aus Renate Bethges Buch wird - wie sollte es anders sein - die starke Bindung Bonhoeffers an seine Familie überaus deutlich. Wie stark sie gewesen ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass sein letztes Gedicht, ja, seine letzte schriftliche Äußerung überhaupt, unter den Bedingungen der furchtbaren Haft in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin, an die Braut und die ganze Familie gerichtet ist. Es ist eine einzigartige Tatsache, dass ein ausgesprochenes Familiengedicht in das Gesangbuch der Evangelischen Kirche aufgenommen worden ist. Dies Gedicht ist ein bewunderungswürdiges Zeugnis für die Glaubensgewissheit eines Christen unter den wahrhaft teuflischen Bedingungen des "Reichssicherheitshauptamtes" der SS.
Natürlich würdigt die große Biografie Eberhard Bethges diese Zusammenhänge. Das gilt auch für Renate Winds einfühlsames Werk, das das Werden von Bonhoeffers Theologie aus seinen Erfahrungen heraus verständlich macht. Aber bei Renate Bethge kommt die Bindung an die Familie sozusagen aus erster Hand. Sie bringt einiges, das so nicht in den anderen Biografien zu stehen kommt, besonders die Erinnerung an die früheste Kindheit. Sie vermittelt uns auch manches Foto, das bisher nicht bekannt war.
Es entspricht nicht Renate Bethges Art, gefühlig oder überschwänglich zu schreiben. Das kleine Buch ist nüchtern und sachlich, so wie wohl in der Familie Bonhoeffer miteinander gesprochen wurde. Gerade das macht das kleine Buch so glaubwürdig.
Besonders wichtig scheint mir zu sein, was sie über die frühen Jahre Dietrichs geschrieben hat. Die Romreise bekommt ihren wichtigen Platz im Leben des Heranwachsenden. Mir hat auch sehr gefallen, wie Renate Bethge Dietrichs Liebe zu den Kindern darstellt, auch wenn es die nicht gerade zarten Bengels aus der Zionsgemeinde im Norden Berlins sind. "Er liebte die Kinder und die Kinder liebten ihn." Das ist im Blick auf seinen späteren theologischen Weg gewiss nicht ohne Belang gewesen.
Die zentrale Bedeutung der ökumenischen Konferenz von Fanö wird deutlich; allerdings hätte ich mir gewünscht, dass das Friedensangebot nicht ausgelassen wird: "Friede auf Erden, das ist kein Problem, sondern ein mit der Erscheinung Christi selbst gegebenes Gebot" (Dietrich Bonhoeffer: Werke, Band 13, Seite 298). Das Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde hat seinen ihm gebührenden Platz. Es war, wie er es selbst sagt, die "beruflich und menschlich ausgefüllteste Zeit" seines Lebens. Er hat seine schon lange geplante Reise nach Indien aufgegeben - der Ruf der Bekennenden Kirche war ihm dringender. Das in Finkenwalde geübte gemeinsame Leben ist sein, wie ich meine, vielleicht wichtigstes Vermächtnis für die Kirche heute.
Besonders beeindruckend schildert Renate Bethge ihres Mannes Eberhard Hereinwachsen in die Familie, an dem sie zweifellos ihren erheblichen Anteil hatte, - eine Familie, die auf einen Schlag zwei Söhne und zwei Schwiegersöhne verloren hat. Renate schließt wie Eberhard mit dem Brief des Vaters an einen Kollegen: "Wir sind wohl traurig, aber stolz auf ihre gradlinige Haltung."
Das Buch von Renate Bethge ist in seiner gestrafften Kürze für viele, die sich schnell und authentisch orientieren wollen, ein verlässliches und hilfreiches Werk. Vielleicht fragen manche Verehrer Bonhoeffers: Warum nach so vielen Büchern über ihn noch ein Weiteres? Wir fragen: Warum nicht längst dieses?
Renate Bethge
Dietrich Bonhoeffer. Eine Skizze seines Lebens.
Gütersloher Verlagsanstalt, Gütersloh 2004;
96 S., 12,95 Euro
Albrecht Schönherr, Altbischof von Berlin-Brandenburg, ist einer der letzten noch lebenden Freunde und Vertrauten Dietrich Bonhoeffers.