Ab Ende kommenden Jahres wird es in der Europäischen Union einheitliche Verfahren zur Bekämpfung von Marken- und Produktfälschungen geben. Mit der Globalisierung und dem damit verbundenen weltweiten Abbau der Zoll- und Handelsschranken hat das Phänomen der Produktpiraterie und des Diebstahls am geistigen Eigentum alarmierende Ausmaße angenommen und ist inzwischen auch zu einem lukrativen Betätigungsfeld der organisierten internationalen Kriminalität geworden. Waren früher hochwertige oder auf dem Markt besonders gängige Markenartikel wie Rolex-Uhren oder Lacoste-Bekleidung beliebte Fälschungsartikel, so umfasst die Produktpiraterie heute nahezu alle Verbrauchsgüterbereiche bis hin zu gefälschten Nahrungs- und Arzneimitteln, was erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher heraufbeschwört.
Nach Statistiken der europäischen Zollbehörden ist der Umfang der in der Europäischen Union beschlagnahmten illegalen Waren allein im Vergleich von 2000 zu 2001 um 39 Prozent angestiegen. Bei den Fälschungen von Nahrungsmittelerzeugnissen betrug der Anstieg in diesem Zeitraum sogar 75 Prozent. Besonders lukrativ scheinen die Raubkopien von CDs zu sein, hier wurde eine Zunahme von 15.300 Prozent registriert. Gefälschte Arzneimittel wurden erstmals vor kurzem in niederländischen Apotheken entdeckt. Wie hoch der Schaden für die betroffene Industrie ist, belegen auch die Zahlen darüber, welchen Anteil bereits gefälschte Produkte gegenüber den Ursprungsprodukten erreicht haben: Bei Spielzeugen sin es 12, bei Videos und CD-Roms 25, bei Computersoftware 35 und bei CDs sogar 40 Prozent.
Um diese Entwicklung wirkungsvoller bekämpfen zu können, hat die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf vorgelegt, mit dem eine Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums und ein besserer Informationsaustausch zwischen den Behörden der EU-Staaten erreicht werden soll. Für die Inhaber von Rechten an geistigem Eigentum soll zugleich der Schutz durch härtere Sanktionen und erleichterte Beschlagnahmungen sowie verbesserte Schadensersatzansprüche verstärkt werden.
Damit das Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Wahlperiode, also vor der Europawahl im Juni verabschiedet werden und Ende 2005 in Kraft treten kann, haben Europäisches Parlament und der EU-Ministerrat in einem ungewöhnlichen Verfahren noch vor der ersten Lesung, die am 9. März im Straßburger Parlament stattfand, versucht, einen Kompromiss zu erreichen. Die dabei erzielte Einigung wurde weitgehend gebilligt. Sie sieht jedoch gegenüber dem Kommissionsvorschlag eine geringere Harmonisierung des Vorgehens in den Mitgliedstaaten vor. Das künftig verbindliche Instrumentarium sieht aber Maßnahmen zur Entfernung von Produktnachahmungen oder Raubkopien aus dem Handel und deren Vernichtung vor. Der Händler, der von der Rechtsverletzung wusste oder hätte wissen müssen, wird dem Inhaber der Rechte einen angemessenen Ausgleich für den angerichteten Schaden leisten müssen, wobei auch Gewinneinbußen des Geschädigten berücksichtigt werden müssen.
Bei den Sanktionen gegenüber den Rechtsverletzern hatte die Kommission für alle vorsätzlichen und zu gewerblichen Zwecken erfolgten Verstößen zwingend strafrechtliche Maßnahmen einschließlich Freiheitsstrafen verlangt. Hier setzte der Ministerrat durch, dass es den Mitgliedsländern vorerst überlassen bleibt, ob und wann sie das Strafrecht einsetzen. Die zuständigen Gerichte sollen die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles bei der Verhängung der Sanktionen angemessen berücksichtigen und zwischen vorsätzlich oder nichtvorsätzlich begangenen Rechtsverletzungen unterscheiden. Zusätzlich forderte das Parlament die Kommission zu einer Prüfung der Frage auf, ob und welche Maßnahmen gegen so genannte "look-alikes", also gegen täuschend ähnlich gestaltete Produkte ergriffen werden sollen.
Die deutsche EVP-Abgeordnete Angelika Niebler setzte diesem Vorwurf entgegen, dass sich die Richtlinie in keiner Weise gegen Jugendliche richte, die sich gelegentlich Musikstücke aus dem Internet herunterladen. Und schon gar nicht sollten diese kriminalisiert werden. Es gehe um die gewerblich betriebene Produktpiraterie und den damit verbundenen Verlust einer großen Zahl von Arbeitsplätzen in Europa. Schließlich belaufe sich der betriebswirtschaftliche Schaden durch die Fälschungen international auf die ungeheure Summe von 200 bis 300 Milliarden Euro, was etwa fünf bis acht Prozent des Welthandels entspreche. Waren es 1999 noch vor allem die drei Kandidatenländer für einen EU-Beitrit, Polen (23 Prozent), Tschechien (16) und die Türkei (12), aus denen mehr als die Hälfte der gefälschten Markenartikel nach Deutschland kamen, so ist ihr Anteil im vergangenen Jahr auf 32 Prozent geschrumpft, während nun die asiatischen Länder, vor allem Thailand (24,9), dominieren.