Es gibt wieder einen Silberstreif am Horizont. Die Chance, dass es doch noch bis Mai zu einer Einigung über den EU-Verfassungsentwurf kommt, sind in den letzten Tagen wieder gestiegen. Das berichteten getrennt die beiden Mitglieder des Europäischen Parlaments Elmar Brok (EVP) als Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses und der frühere Parlamentspräsident Klaus Hänsch (SPE) nach Geprächen sowohl in Warschau als auch mit der Bundesregierung in Berlin. Die beim EU-Gipfel im Dezember in Brüssel erhoffte Annahme der Verfassung war an den unterschiedlichen Haltungen von Polen und Spanien einerseits und Deutschland und Frankreich andererseits über die erforderlichen Mehrheiten bei Abstimmungen im EU-Ministerrat gescheitert. Nun soll bis zur Aufnahme der neuen Mitgliedsländer im Mai möglichst doch noch unter irischem Vorsitz in der Union eine Lösung erreicht werden. Wenn der Wille zu Kompromissen vorhanden ist, kann es auch eine Lösung geben, zeigte sich auch Parlamentspräsident Pat Cox zuversichtlich.
Nach den Gesprächen mit polnischen Spitzenpolitikern in Warschau, in denen durchaus die Bereitschaft zur Bewegung festzustellen gewesen sei, meinte Hänsch, angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse im polnischen Parlament komme es jetzt darauf an, wie der Öffentlichkeit ohne Prestigeverlust ein Kompromiss verkauft werden könne.
Über eine substanzielle Geste des Entgegenkommens der Bundesregierung wird in Berlin gerade beraten. Bei den strittigen Punkten geht es nach Broks Worten um einen in der Praxis zwar völlig bedeutungslosen, in der theoretischen Machtkonstellation aber sehr prestigeträchtigen Streit. Deutschland und Frankreich bestanden in der Frage der künftigen Abstimmungen auf einer so genannten doppelten Mehrheit. Neben einer Mehrheit der Staaten von 50 Prozent sollte künftig auch eine Mehrheit von 60 Prozent der repräsentierten Bevölkerung notwendig sein.
In dieser zweiten Bedingung aber sahen viele kleinere und mittelgroße Länder, vor allem Polen und Spanien, den Versuch, ein Direktorium der Großen zu errichten. Mit einem Bevölkerungsanteil von 44 Prozent hätten Deutschland, Frankreich und Großbritannien jeden Beschluss der übrigen 22 Staaten verhindern können, weil gegen die Drei nur 56 Prozent der Bevölkerung in die Wagschale hätten geworfen werden können. Ein inoffiziell ventilierter Kompromiss sieht vor, dass bei Abstimmungen jeweils eine Mehrheit von 55 Prozent sowohl bei der Anzahl der Staaten als auch eine Bevölkerungsmehrheit von 55 Prozent erreicht werden muss. Damit müssten die großen Länder ein mittleres Land auf ihre Seite ziehen, um eine Entscheidung blockieren zu können.