US-Präsident George Bush lächelte gequält, als ihn der Reporter des österreichischen Fernsehens fragte, warum viele Europäer in den USA eine größere Bedrohung für den Weltfrieden sähen als im Iran. Nur einer von sieben Österreichern unterstütze den Kurs der Weltmacht im Irak. Aber der Mann aus dem Weißen Haus ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Er verstehe die Bedenken, die es in Europa gebe. Politische Führung bestehe aber nicht darin, Meinungsumfragen zu folgen. George Bush geht davon aus, dass ein demokratischer Irak die Welt friedlicher macht. Darum hat er seine Soldaten dorthin geschickt. Dass die Europäer an dieser Politik zweifeln, hält er für legitim. Aber das sei Vergangenheit. "Jetzt geht es darum, die demokratische Regierung im Irak zu unterstützen." Der oberste Amerikaner erinnerte die Europäer damit indirekt an ihre Zusagen, beim Wiederaufbau des Landes am Persischen Golf zu helfen. Von mehr als 13 Milliarden Dollar, die die internationale Gemeinschaft dafür zugesagt habe, seien bislang nur drei Milliarden im Irak angekommen, heißt es in Washington.
Der oberste Europäer beim Gipfeltreffen in Wien, Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der bis Ende des Monats den Vorsitz im Ministerrat der EU führt, eilte dem US-Präsidenten zu Hilfe. Grotesk sei es, in Amerika eine Bedrohung des Weltfriedens zu sehen und die USA im gleichen Atemzug zu nennen wie den Iran. Bush selbst habe das Problem des Gefangenenlagers in Guantanamo auf dem Gipfel zur Sprache gebracht, das der EU-Außenbeauftragte Solana vor dem Gipfel eine "Anomalie" genannt hatte.
In der gemeinsamen Erklärung, auf die sich die EU und die USA in Wien verständigt haben, wird Guantanamo zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Im Kampf gegen den Terrorismus wollen sich Europäer und Amerikaner aber an die internationalen Gepflogenheiten halten, "einschließlich der Menschenrechte, des Flüchtlingsrechts und den Grundsätzen der Humanität". "Wir werden nur dann über den Terrorismus siegen", sagte der österreichische Bundeskanzler," wenn wir unsere gemeinsamen Werte nicht aufgeben." Allerdings gebe es "Grauzonen", über die man reden müsse. Glaubt man dem US-Präsidenten, dann würde auch er das Lager am Südzipfel Kubas lieber heute als morgen schließen. Mörder, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellten, müssten jedoch vor Gericht gestellt werden. Das Gros der rund 400 Gefangenen will Bush in ihre Heimatländer Afghanistan, Saudi-Arabien und den Jemen zurückschicken. Dort wolle sie aber niemand haben. Die EU hat angeboten, bei der Lösung dieses Problems behilflich zu sein.
In Wien haben die Europäer und die Amerikaner nicht alle Meinungsverschiedenheiten, die seit dem 11. September 2001 entstanden und - wie beide Seiten betonen - nicht zuletzt auf der unterschiedlichen Wahrnehmung dieses Ereignisses diesseits und jenseits des Atlantik beruhen, aus dem Weg geräumt. Sie sollen der Wahrnehmung der vielen gemeinsamen Interessen aber nicht mehr im Weg stehen.
Auf der internationalen Bühne wollen Brüssel und Washington an einem Strang ziehen und, wenn es Sinn macht, arbeitsteilig vorgehen. Auf dem Balkan, räumt George Bush ein, seien die Europäer besser platziert und sollten die Führungsrolle übernehmen. Im Iran seien die USA bereit, sich an den Verhandlungen über das Atomprogramm zu beteiligen. In eine direkte Unterstützung Palästinas will Washington zwar nicht einsteigen, akzeptiert aber, dass die Europäer ihre Hilfsgelder über einen besonderen Finanzierungsmechanismus an der palästinensischen Hamas vorbeischleusen.
Gemeinsam wollen die EU und die USA das "geistige Eigentum" ihrer Unternehmen gegen Produktpiraten, Markenfälscher und Patenträuber verteidigen. Die europäischen und die amerikanischen Zöllner sollen in Zukunft ihre Erkenntnisse darüber austauschen. Die Diplomaten des State Department und der EU-Staaten wollen jetzt gemeinsam Druck auf die Regierungen ausüben, die sich weigern, professionellen Fälschern, das Handwerk zu legen. Sie werden vor allem in China und Russland vermutet. In der Vereinbarung, die am Rande des Gipfels unterschrieben wurde, werden diese beiden Länder namentlich genannt.
Den größten Platz in der Wiener Erklärung nimmt der Ausbau der Kooperation in der Energiepolitik ein. Die "strategische Zusammenarbeit" soll dafür sorgen, dass der Westen seine Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern reduziert und die Sicherheit der Infrastruktur (Pipelines, Tanker, Kraftwerke) gewährleistet wird. Auf den internationalen Märkten, auf denen Öl, Gas und andere Rohstoffe gehandelt werden, wollen Amerikaner und Europäer für Transparenz, Vertragstreue, einen gleichberechtigten Zugang aller Verbraucher sowie sicheren Transit sorgen. Offene und funktionierende Märkte, darin ist man sich in Brüssel und Washington einig, sind die beste Garantie gegen globale Engpässe, sowohl im Hinblick auf die zur Zeit begehrtesten Rohstoffe Öl und Gas als auch im Hinblick auf Investitionen in neue Förderanlagen und Transportmittel. Die USA sind zwar noch nicht bereit, das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben, erkennen in der Erklärung von Wien aber an, dass die "Entwicklung emissionsarmer Technologien" gefördert werden muss.