Die Dementis klingen entschieden, zuweilen wütend. Der Warschauer Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz empört sich über die "Verleumdung", Polen den Betrieb von Geheimgefängnissen zu unterstellen. Für die Existenz solcher Gefängnisse gebe es auch in seinem Land keine Beweise, betont Romeo Raicu, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im rumänischen Parlament. Und auch US-Außenamtssprecher Sean McCormack lässt kühl vernehmen, der Bericht enthalte "keine wirklichen Fakten". Der deutsche SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz erklärt, die Vorwürfe stützten sich nicht auf handfeste Beweise. Die Repliken zielen auf den Schweizer Ex-Staatsanwalt Dick Marty, der im Auftrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eine Studie über geheime CIA-Flüge erstellte. Das Thema dürfte die Sommersitzung der paneuropäischen Volksvertretung beherrschen, die in dieser Woche in Straßburg tagt.
Allerdings geht die Kritik an den Untersuchungsausschüssen des Europarats und auch des Europaparlaments weitgehend ins Leere. Marty sagt selbst, nicht über "Beweise im klassischen Sinn des Begriffs" zu verfügen. Die waren auch gar nicht zu erwarten. Denn schon allein die Mittel, die dem Europarat-Parlament wie dem EU-Abgeordnetenhaus zur Verfügung stehen, sind wesentlich begrenzter als die Instrumente, derer sich beispielsweise ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu bedienen vermag. Die europäischen Volksvertreter haben nicht die Macht, Zeugen verpflichtend vorzuladen. So sind etwa der EU-Antiterror-Koordinator Gijs de Vries und Europol-Chef Max Peter Ratzel gar nicht erst vor der Kommission des EU-Parlaments erschienen.
Gleichwohl setzen diese Recherchen die CIA wie europäische Regierungen und Geheimdienste politisch unter Druck. Und zum anderen puzzeln die Abgeordneten Indizienketten zusammen, die nationalen Parlamenten jede Menge Stoff für gründliche Nachprüfungen liefern. Kein Wunder, dass FDP, Linkspartei und Grüne im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages Marty und den Italiener Giovanni Fava, Berichterstatter des Europaparlaments, vernehmen wollen. Das Nachhaken von Europarat und EU-Parlament hat dafür gesorgt, dass die CIA-Machenschaften nicht wie schon manche andere Affären rasch der Vergessenheit anheim gefallen sind. Die Debatte in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats mit Marty, Fava und EU-Justizkommissar Franco Frattini wird so auch vor allem eine Auseinandersetzung hinsichtlich der politischen Verantwortung europäischer Kabinette sein.
Marty wie Fava sind überzeugt, es sei schlechterdings unvorstellbar, dass ohne Wissen, Duldung oder aktive Mitwirkung seitens einer Reihe kontinentaler Regierungen, 50 bis 100 von der CIA entführte Terrorverdächtige zu Geheimgefängnissen vor allem außerhalb Europas hätten geschafft werden können. Insgesamt sollen die US-Amerikaner mehrere hundert geheime Flüge organisiert haben. Marty nennt dieses System ein "Spinnennetz". Die Rekonstruktion einzelner Routen von getarnten CIA-Maschinen stellt auch die Dementis Polens und Rumäniens infrage, bei ihnen habe die CIA keine Geheimgefängnisse unterhalten.
Der von Berlin aufrechterhaltenen These, die Bundesrepublik sei in die CIA-Aktionen nicht verwickelt gewesen, setzen Europarat und EU-Parlament im Übrigen im Detail unangenehme Indizien entgegen.
Einerseits erschüttern die Recherchen Martys und der EU-Parlamentarier die Position Mazedoniens, das Land habe mit dem Fall des in dem Balkanland verschleppten Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri nichts zu tun. Aber laut Zeugenaussagen, so Marty, seien auch deutsche Geheimdienste nach El-Masris Festnahme rasch unterrichtet worden. Besonders brisant: Die Verhöre des Neu-Ulmers hätten nach seinen Ermittlungen auch auf nachrichtendienstlichem Material aus der Bundesrepublik basiert.
Marty und die EU-Kommission erinnern in ihren Berichten auch an eine inzwischen kaum noch beachtete Affäre. 2002 lieferte Bosnien-Herzegowina die "Algerian Six", angeblich El-Kaida-Mitglieder und unter Verdacht der Vorbereitung eines Attentats, an die CIA aus. Seither sind sie die Männer in Guantanamo inhaftiert - obwohl sie vom obersten Gericht Bosnien-Herzegowinas freigesprochen worden waren.