Bei einem Kreditberg von insgesamt fast 42 Milliarden Euro spricht in der Tat vieles für einen konsequenten Sanierungskurs auch im reichen Südwesten. Oettinger formuliert ein ehrgeiziges Ziel, an dem er indes fortan auch gemessen werden dürfte: In fünf Jahren will die Regierung erstmals keine neuen Schulden aufnehmen - "wir wollen die Nettonull bis 2011 schaffen", unterstreicht Oettinger
Allerdings wissen Badener und Schwaben bislang noch nicht, wie die Koalition ihre Sparpolitik denn nun umzusetzen gedenkt und wen massive Kürzungen treffen werden. In der Regierungserklärung findet sich zu diesem entscheidenden Punkt nicht allzu viel Konkretes, auch das Koalitionspapier bleibt recht vage - das im Übrigen ein gewisses Maß an Wirtschaftswachstum als Voraussetzung der Etatkonsolidierung benennt. Es lässt sich leicht prognostizieren, dass SPD und Grüne bei der Debatte über die Regierungserklärung am 28. Juni den Finger in diese Wunde legen werden. Anders als im Bundestag wird im baden-württembergischen Landtag seit jeher erst eine Woche nach dem Auftritt des Ministerpräsidenten über dessen Leitlinien diskutiert.
Den Attacken der Opposition kann Oettinger wiederum recht gelassen entgegensehen: Zum Auftakt der Legislaturperiode sitzt der CDU-Politiker fester im Sattel als vielfach vermutet. Bei seiner Wahl im Parlament erhielt er 85 Stimmen bei 51 Nein-Zetteln: Es haben nicht nur alle Abgeordneten von Union und FDP mit Ja votiert, was keineswegs sicher war - nein, der Kabinettschef verbuchte sogar eine Stimme aus den Reihen der SPD- oder Grünen-Opposition. Allerdings lastet die Verantwortung für die Regierungspolitik künftig auch allein auf Oettinger, die Schuld für eventuelle Fehlentwicklungen lässt sich nun nicht mehr auf Frondeure in den eigenen Reihen oder gar auf die Opposition schieben.
Oettingers neues Kabinett ist das alte, keinen Minister wechselte er aus. Der Liberale Ulrich Goll, für Justiz zuständig, firmiert als Vize-Regierungschef. Lediglich CDU-Finanzminister Gerhard Stratthaus (64) soll im Jahr 2008 ausscheiden. Mehrfach bereits haben SPD und Grüne genüsslich in dieser offenen Flanke herumgestochert. Oettinger habe ausgerechnet den für den Sparkurs verantwortlichen Ressortchef geschwächt, kritisiert SPD-Oppositionsführerin Ute Vogt. Der grüne Fraktionsvorsitzende Winfried
Kretschmann spöttelt, Stratthaus sei ein "Finanzminister mit einer Restlaufzeit von zwei Jahren".
Auch wenn die handfesten Einschnitte vorerst noch als verhüllte Damoklesschwerter über den Baden-Württembergern schweben, so gibt es doch immerhin die ersten Fingerzeige für die Sanierungsstrategie. Die über 600 Millionen Euro Zusatzeinnahmen, die als Folge der Mehrwertsteuererhöhung für das Land errechnet werden, sollen voll in die Schuldentilgung fließen. Freiwillige Leistungen des Landes will Oettinger um fünf Prozent kürzen. Eine Straffung der Verwaltungsarbeit soll Kosten senken. Der Kabinettschef: "Deshalb wird das Land die Schaffung gemeinsamer Servicezentren für Behörden und öffentliche Einrichtungen voranbringen." Beratungsangebote der öffentlichen Hand sollen teils auf gesellschaftliche Organisationen oder die private Wirtschaft übertragen werden. Sofern die Föderalismusreform klappt und die entsprechenden Kompetenzen auf die Länder übergehen, plant Oettinger die Heraufsetzung des Pensionsalters für Beamte auf 67 Jahre. Zur Debatte stehen zudem Eingriffe in deren Altersversorgung. Aber natürlich bringen Maßnahmen dieser Art noch nicht die für eine durchgreifende Sparpolitik nötigen dicken Brocken.
Verstärkt investieren will die Koalition in die Bildung. Jeder Jugendliche soll, so Oettinger, künftig die Schule mit einer beruflichen Ausbildungsreife verlassen. Avisiert ist der Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen und der frühkindlichen Bildung im Kindergarten, wozu auch bessere Betreuungsmöglichkeiten für die Kleinen gehören. Allerdings schlägt der Ministerpräsident auch bei diesem Thema den Bogen zur Etatkonsolidierung: "Jeder Euro", der für vermehrte Bildungsausgaben benötigt werde, "wird an anderer Stelle im Haushalt einzusparen sein."
Überraschend startet Oettinger in seiner Regierungserklärung einen neuen Vorstoß für eine Länderneugliederung: "Die Debatte um wenige, leistungsfähigere Länder muss offensiv geführt werden." Freilich müssen solche Fusionen von den Bürgern der jeweiligen Regionen gebilligt werden. Oettinger bringt nun eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel ins Spiel, über solche Neugliederungen bei Referenden auf Bundesebene abzustimmen. Möglich sei auch, in den betroffenen Ländern die Parlamente über Fusionen entscheiden zu lassen. Im Klartext: Oettinger will den Neuzuschnitt von Landesgrenzen erleichtern - was jedoch mit einer politischen Entmachtung des Souveräns verbunden wäre.