Fußball kann süchtig machen. Das Gefühl kennt auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Profi-Schiedsrichter Bernd Heynemann. Insofern dürfte der Magdeburger gerade auf einem besonderen Trip sein, egal, wo er sich ein Fußballspiel ansieht, ob live im Stadion in Leipzig das Spiel Niederlande gegen Serbien und Montenegro oder auf dem Magdeburger Domplatz die Begegnung Ecuador gegen Deutschland. Bei aller Begeisterung über die "kompakte Leistung" kommentiert der Sachsen-Anhaltiner das Spiel im Gespräch mit "Das Parlament" nicht euphorisch: "Ecuador ist mit diesem Auftritt kein Maßstab gewesen." Die reale Situation sei etwas "verwischt". Wenn es um seine Bilanz der bisherigen WM-Spiele geht, zollt er der 33. Mannschaft dieses Turniers, den Schiedsrichtern, viel Lob. Sie hätten - trotz Kritik an so manchem "Kartenfestival" - voll überzeugt.
2002, als er in den Deutschen Bundestag einzog, begann für ihn ein neues Leben. Ganz schuldlos ist die Fußballsucht an seinem Einzug in das Parlament nicht. Wäre er als Schiedsrichter nicht so populär gewesen, hätten ihn manche vielleicht nicht zur Kandidatur gedrängt und andere nicht gewählt. Seit 2002 sitzt der Diplombetriebswirt für die Union im Bundestag - im Sportausschuss, wo ein Profi-Schiedsrichter wohl hingehört. In diesem Ausschuss hat er im Vorfeld der WM unter anderem Fragen zur Infrastruktur, zur Sicherheit, zum Ticketing und zum Organisationskomitee erörtert.
1954 - ein legendäres Jahr für den deutschen Fußball - erblickt der Mann mit den tief liegenden Augen in Magdeburg das Licht der Welt, was er als Schicksal, nicht als Zufall wertet. Als er mit fünf Jahren in ein Schwimmbecken fiel, rettete ihn ein Fußballer, der nach einem Spiel auf dem Heimweg war, vor dem Ertrinken. Zur Profi-Karriere als Spieler hat es nicht ganz gereicht. Da war er selbstkritisch genug. Doch natürlich spielt er heute beim FC Bundestag. Dafür schrieb der sympathische Magdeburger Fußballgeschichte mit anderen Instrumenten - nämlich mit Pfeife und Karten. Von ihm hat Michael Ballack - damals noch für Leverkusen spielend - eine gelb-rote Karte bekommen. Impulsive Spieler wie Steffen Effenberg zollten ihm Respekt, wenn sie ihm nach dem Spiel die Hand reichten. Das "Sportbild des Jahres" 1999 zeigt Heynemann, wie er dem Bayern Kuffour die rote Karte zeigt, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Da wirkt er gar nicht gutmütig, eine Eigenschaft, die er bei sich selbst als Schwäche identifiziert. Doch war hier auch der Hüter des Fair Play gefragt. Im Juni 1998 blickt Heynemann mit gezückter gelber Karte vom Titelbild des FAZ-Magazins. Er war als einziger deutscher Schiedsrichter bei der WM in Frankreich dabei. Die mediale Aufmerksamkeit macht ihm durchaus Spaß.
Die hart erkämpfte Profi-Schiedsrichterkarriere endete 2001. Nach nur einem Jahr hieß es dann Bundestag statt Bundesliga. Ein Quereinsteiger war in Berlin angekommen. Der "Schiedsrichter des Jahres 1998" lief 2002 mit Schlips und Kragen in die Polit-Arena ein. Er liebt diesen "Mannesschmuck", etwa 60 dieser Binder hängen in seinem Kleiderschrank. Ob er die gleiche Gänsehaut hatte wie beim Einlauf in die Fußballstadien dieser Welt, darf bezweifelt werden. So emotional wie Fußball und seine Austragungsweise darf und kann Politik wohl nicht sein. Eines musste er seit damals jedenfalls nicht lernen: Nicht für alles, was er tut und entscheidet, gibt es Applaus. Das ficht ihn nicht an. Das kennt er aus den Stadien.
Die Lust zu entscheiden und die Möglichkeit zu gestalten, trieben Heynemann auf die politische Bühne. Im Magdeburger Stadtrat sitzt er schon seit 1999. Christliche Werte in politische Kompetenz umzusetzen, das hatte er sich für die Bundespolitik vorgenommen. Den gläubigen Christen Heynemann leitet ein Samuel-Vers, wie er auf seiner Homepage verrät: "Man soll das tun, was man kann. Aktiv werden und aktiv sein. In dem Wissen, durch seinen Glauben gestärkt zu sein."
Auf diesem ganz anderen "Spielfeld" haben sich seine Erwartungen erfüllt, wie er sagt. "Man braucht wirklich zwei Jahre, um ins Team des Bundestages zu finden und die Spielregeln zu beherrschen." Als Schiedsrichter liebte er die Lust an der Entscheidung. Er hat sie in die Politik mitgenommen. Doch etwas Wesentliches ist anders. "Früher habe ich auf dem Spielfeld eine Entscheidung getroffen, die Richtung angezeigt und weiter ging es. Heute fällt eine politische Entscheidung in eine Richtung, aber ehe es weitergeht", formuliert er. Das demokratische Regelwerk funktioniert eben anders. Die Macht und das Machbare des Politikers sind offenbar mit der Macht und der Gestaltungsmöglichkeit des Schiedsrichters nicht immer vergleichbar. Und doch ist Demokratie aus gewisser Betrachtungsweise doch ein Mannschaftsspiel, dass überragende Köpfe, Mitspieler und vor allem auch Leidenschaft braucht. Und davon hat Bernd Heynemann eine ganze Menge. Herausforderungen hat er nicht nur nicht gescheut, sondern gesucht. Er kann sehr hart zu sich selbst sein. Beim Fitness-Test für Schiedsrichter, dem Cooper-Test, hat er es immer wieder unter Beweis gestellt. Elf Jahre DDR-Fußball-Oberliga und zehn Jahre Bundesliga sowie internationaler Schiedsrichter der FIFA mit WM-Teilnahme in Frankreich 1998 verbucht er in seiner statistischen Bilanz. Ganz losgelassen hat er jedoch nicht. Noch immer beobachtet er heute für den DFB in der ersten und zweiten Bundesliga und für die UEFA die Unparteiischen im Einsatz. Eine unerlässliche Aufgabe wie auch die jüngsten Wettskandale zeigen. "Skandale lassen sich nicht verhindern, aber durch eine langfristige und intensive Arbeit mit den Schiris einschränken", unterstreicht Heynemann
Wenn die WM vorbei ist, gibt es genug zu tun. Heynemann wird die Diskussion und die Entscheidungen zum Wettspielmonopol beschäftigen. Dass er für einen Bundessportminister votieren würde, überrascht nicht weiter: "In einigen Bundesländern gibt es das. Für den Bund sollte das überlegt werden, da der Sport, der sonst in vielen Ministerien eingegliedert ist, dann zentral agieren könnte", findet er. Der Mann, der Disziplinen wie Pünktlichkeit und Verlässlichkeit schätzt, wirkt eigentlich gar nicht philosophisch. Doch hat er es immer mit dem indischen Sprichwort gehalten: "Rede nur, wenn dein Reden besser als dein Schweigen gewesen wäre." Eine schöne Leitidee - gerade für einen Politiker. Denkt der Parlamentarier, der Vater zweier Kinder und in zweiter Ehe verheiratet ist, an die Zukunft, wünscht er sich vor allem eines. Die Menschen sollen einmal sagen: "Ach, guck mal, da ist doch der Bernd Heynemann aus dem Bundestag, der ehemalige Schiedsrichter." Die Pfeife scheint er nun wirklich an den Nagel gehängt zu haben.