Liebhaber von klassischer Musik, aufwendigen Hörspielen und engagierten Diskussionen schalten im Radio eine Kulturwelle ein. Jede größere Rundfunkstation hat ein Kulturprogramm im Angebot, wo noch die traditionelle Radiokultur gepflegt wird. Von der Hektik des Dudelfunks und seiner lärmenden Chart-Hits ist dort nichts zu vernehmen. Beim Kulturradio geht es ruhiger und bedächtig zu. Nirgendwo im Rundfunk ist der Informationsgehalt so hoch und seine Vermittlung so gründlich, nirgendwo Unterhaltung so anspruchsvoll. Das lieben die Zuhörer - das wissen die Radiomacher. Alles wäre so schön, hätte die Sache nicht einen Haken: Das Durchschnittsalter von Kulturradiohörern liegt bei 62 Jahren, Tendenz steigend.
Fast nur noch Ruheständler begleiten das Tagesprogramm, und abends sieht es nicht groß anders aus. Vielen am hochwertigen Kulturprogramm Interessierten fehlt schlichtweg die Zeit zum Zuhören. Zwar fallen die Hörerquoten bei den meisten Stationen noch ganz anständig aus, doch die Radiomanager sorgen sich bereits um den "Nachwuchs". Schließlich gibt es kein Naturgesetz, das den Wellen - trotz demografisch günstiger Prognosen - die Hörer automatisch in die Arme treiben würde, sobald diese das Rentenalter erreichen. "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Menschen mit 65 Jahren automatisch zu Klassikliebhabern werden", sagt Karl Karst, Programmchef der Kulturwelle WDR3. "Leute, die früher die Rolling Stones gehört haben, werden am Ende ihres Lebens nicht nur noch Beethoven-Sinfonien mögen." Auch dann nicht, wenn die Programmplanung dies für ihr Lebensalter eigentlich vorgesehen hat.
Aus diesem Grund vollzieht sich gegenwärtig ein Reformprozess bei allen Kultursendern. Bei dem Versuch, auch jüngere Hörer für das Programm zu begeis-tern, setzen die Stationen auf ganz verschiedene Strategien. Die einen führen "neue Klangfarben" bei der Musik ein, beispielsweise Weltmusik und Jazz, wie der Schweizer Sender DRS2. Andere proben einen jüngeren Appeal bei den Wortsendungen, wie der Westdeutsche Rundfunk, der mit der Reihe "WDR3 open" ein Forum für Pophörspiele und experimentelle Klangwelten geschaffen hat. Gemeinsam indessen haben alle Radiosender das Internet und seine Vorzüge bei der Distribution für sich entdeckt.
Erst war Webradio, die Live-Übertragung des aktuellen Programms im Internet, angesagt, nun lautet das Zauberwort "Podcasting". Das Kunstwort aus iPod, Apples kleinem MP3-Kultgerät, und "Broadcasting" meint eine Software, mit der man Sendungen automatisch und in festgelegten Intervallen aus dem Internet herunterladen und auf einen MP3-Player überspielen kann: Radio zum Mitnehmen. Möchte man beispielsweise die tägliche Wissenschaftssendung des Südwestfunks (SWR2) verfolgen, hat aber zu den Sendeterminen keine Zeit, das Radio einzuschalten, lohnt ein Abonnement des entsprechenden Podcasts. Und schon gelangen Programme wie "Der Kult der grünen Fee", eine Sendung über die schillernde Welt des Absinth, der "Traum der Menschheit - Zeitreisen" oder "Wissen ist Macht" auf den heimischen PC.
Nicht alle Podcasts stammen von Radiomachern. Über Webportale wie Podcast.de gelangt man in die Sphären von Audio-Amateuren, wo Privatleute mit kleinem technischen Equipment akustische Beiträge noch zum abwegigsten Thema kostengüns-tig aufbereiten. Doch auch die etablierten Radiostationen haben gute Erfahrungen mit dem neuen Medium gemacht, vor allem wegen dessen Zeit- und Ortsouveränität. Radio ist ein flüchtiges Medium, schnell sind die vor allem bei Kulturwellen sehr aufwendig produzierten Sendungen im Äther verrauscht. Mit Podcasting dagegen erhalten die an Radio-Features, politischen Journalen oder akus-tischen Klangexperimenten interessierten Hörer eine bequeme Möglichkeit zum "Nachhören", ohne an das Zeitkorsett des Radioprogramms gebunden zu sein.
Beim WDR etwa wurde Podcasting im Oktober 2005 eingeführt. Renommierte Sendungen der Kulturwelle WDR3, wie "Zeitzeichen" und "Themen des Tages", liegen seitdem digital im Internet vor. Dabei ist es zu einer interessanten Erweiterung des klassischen Kulturbegriffs gekommen: Findet im Jugendprogramm EinsLive ein Gespräch mit einem Künstler oder Schauspieler statt, gibt es keinen Grund, dies den Hörern von WDR3 vorzuenthalten. Umgekehrt gelangen die Studiogäste von WDR3 in die Podcasts der anderen Wellen. Von solcher Querprogrammierung verspricht man sich nicht zuletzt neue Zielgruppen.
Audio-on-Demand und Podcasting sind Ausdruck einer digitalen Modernisierung, von der auch das Radio mit dem Auftauchen des Internets Mitte der 90er-Jahre nicht verschont geblieben ist. Dennoch erweist sich das Kalkül der Radiomacher, via Podcasting jüngere Hörer zu ködern, als durchaus zwiespältig. Einen Podcast abonniert man im Internet am heimischen PC und hört ihn sich auf dem iPod an. Einmal bestellt, lädt die Software automatisch alle neuen Sendungen herunter. Wie dieser Medienbruch überbrückt werden könnte und aus Postcasting-Abonnenten treue Radiohörer werden, bleibt ungewiss.