Die Firma Hillkom ist eigentlich Spezialist für die Beseitigung von Abfällen aller Art. Nur eines will sich nicht so recht entsorgen lassen: Die Aktenordner, in denen Firmenchef Friedrich-Wilhelm Hillbrand, amtliche Formulare und Statistiken aufbewahrt. Sie werden immer dicker. "Wenn ich sehe, was ich vor zehn Jahren an die Banken an Informationen abgeben musste, dann hat sich das bis heute in etwa verzehnfacht", erklärte der Unternehmer bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie im Deutschen Bundestag Ende Mai. Seiner Meinung nach sind viele der Informationen unnötig: "Da wird viel Zeit damit vergeudet, um Informationen weiterzugeben, was vom Gesetzgeber vielleicht gut gemeint war. Aber ich denke, in Deutschland sind die Unternehmer in der überwiegenden Zahl keine Gängster oder Geldwäscher." Wie die Mehrzahl der Sachverständigen begrüßt auch der 49-jährige Hillbrand die Einsetzung des bei der Anhörung diskutierten Normenkontrollrates.
Dieses achtköpfige Gremium, das beim Bundeskanzleramt angesiedelt ist, soll Bürokratie dort abbauen, wo sie entsteht: an den Schreibtischen von Ministerien und Behörden. Denn bevor die Gesetzentwürfe aus den Bundesministerien künftig auf den Kabinettstisch kommen, soll der Normenkontrollrat prüfen, wie bürokratielastig sie sind.
Problematisch war jedoch bisher, dass zwar jeder das Wort Bürokratie im Munde führte, niemand aber ressortübergreifend zuverlässige Zahlen über das Volumen und die Verteilung der Bürokratiekosten liefern konnte. Abhilfe soll hier das Standardkostenmodell (SKM) schaffen. Gesetze und Verordnungen verlangen Bürgern und Unternehmern in der Regel zweierlei Pflichten ab: zum einen inhaltliche wie beispielsweise den Einbau eines Rußfilters und zum anderen so genannte Informationspflichten: Die Weitergabe von Jahresabschlüssen zählt dazu genauso wie die Auskunft über Verpackungsinhalte. Genau hier setzt das SKM an. Es bietet ein standardisiertes Verfahren, mit dem erstmals die Informationspflichten gemessen, berechnet und damit auch transparent und vergleichbar gemacht werden können. Damit ist sowohl die nachträgliche Kostenschätzung als auch eine Kostenvorhersage für neue Gesetzesvorhaben und Regelungen möglich.
Vorreiter in Sachen Bürokratieabbau sind die Niederlande. Seit 1993 wurde dort an einem Messverfahren gearbeitet, um den Behördendschungel aus Regelungen und Informationspflichten zu durchforsten. Eine Messung des gesamten Bürokratieanfalls ergab im Jahr 2003, dass der Wirtschaft in den Niederlanden durch die Bürokratielasten 16, 4 Milliarden Euro an Kosten entstehen. Das entspricht 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Daraufhin beschloss die Regierung, diese Kosten in vier Jahren um 25 Prozent zu senken - 2007 wird nachgemessen. Überträgt man diese Zahlen auf Deutschland, ergibt sich ein Einsparpotenzial in Höhe von etwa 20 Milliarden Euro.
In den Niederlanden wurde auch die Idee geboren, ein unabhängiges Beratungsorgan zu schaffen, das den nationalen Behörden - wie jetzt der Normenkontrollrat in Deutschland - bereits im Vorfeld der Gesetzgebung kritisch über die Schulter schauen soll. Seit dem Jahr 2000 berät und unterstützt "Actal", das Adviescollege toetsing administratieve lasten, Regierung und Parlament. Das Gremium möchte aber nicht nur Kosten messen, sondern sieht eine seiner Hauptaufgaben darin, die Kultur in Behörden und Amtsstuben zu verändern - hin zu einem höheren Kostenbewusstsein bei der Erarbeitung von Gesetzen. Als Druckmittel dienen dafür die Stellungnahmen des Gremiums, die in den Niederlanden wie auch bald in Deutschland bei der Einbringung von Gesetzen ins Parlament beigefügt werden müssen.
Der Projektmanager Tobias Ernst, der bei der Bertelsmann-Stiftung zum Thema Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung arbeitet, sieht darin ein wirksames Disziplinierungsinstrument. "Die Ministerien werden den NKR so früh wie möglich einbinden, um möglichst positive Stellungnahmen zu bekommen", glaubt Ernst. Der NKR sollte dabei auch vor negativen Voten nicht zurückscheuen. "Der NKR muss nur zweimal zubeißen, danach reicht es zu bellen", sagt der Regulierungsexperte.
Auch Hubertus Hille vom Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHT) sieht in dem neu geschaffenen Gremium eine wichtige Kontrollfunktion."Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn der NKR ist eine Art Wachhund, der bellt und aufpasst, aber keine gesetzgeberische Kompetenz hat", erklärt Hille gegenüber der Zeitung "Das Parlament". Er kennt die Befürchtungen einiger Parlamentarier, der Normenkontrollrat könne politisch zu viel Einfluss gewinnen. Andere Parlamentarier wiederum hatten dafür geworben, die Zuständigkeiten des NKR auch auf Gesetzesentwürfe der Fraktionen auszuweiten. Entsprechende Anträge der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen waren jedoch abgelehnt worden. Hille plädiert dafür, erstmal die Erfahrungen mit dem NKR auszuwerten: "Es muss alles noch gelebt werden", sagt er.
Und Leben, so weiß Tobias Ernst aus der Praxis, wird Gesetzen und Richtlinien nicht bei ihrer Entstehung, sondern bei ihrer Umsetzung "eingehaucht". Daher spielen für ihn in Sachen Bürokratieabbau vor allem die Länder eine Schlüsselrolle. Zwar werden 90 Prozent der wirtschaftsrelevanten Regelungen in Berlin und Brüssel gemacht, Bundesrecht wird jedoch in den meisten Fällen von den Ländern ausgeführt. Darin sieht auch Ernst eine gewisse Schwierigkeit: "Für den fühlbaren Bürokratieabbau ist - neben der Regulierungsqualität - auch die Vollzugsqualität von entscheidender Bedeutung. Den Vorwurf, dass ein Normenkontrollrat wieder neue Bürokratie schaffe, weist der Projektmanager entschieden zurück. "Wir haben in den obersten Ministerien mehr als 10.000 Beamte und streiten über zehn, die Gesetze abbauen sollen", findet er.
Wer die obersten "Gesetzesabbauer" des Normenkontrollrates werden sollen, steht bisher noch nicht fest und ist auch nicht ganz unumstritten. Die Zeit drängt, denn eigentlich sollte das neue Gremium bereits in der zweiten Jahreshälfte 2006 arbeitsfähig sein. Unternehmer Hillbrand wünscht sich bei der Besetzung des Gremiums vor allem Praktiker und keine "Chefs oder Vorstandsvorsitzenden einer Holding". Er plädiert entschieden dafür, dass "es auch mittelständische Unternehmer sind, die tatsächlich wissen, wo es um bürokratische Hemmnisse geht". Und Hillbrand verbindet mit diesem Wunsch insgeheim vielleicht auch die Hoffnung, in Zukunft doch den einen oder anderen Ordner mit bürokratischem Ballast entsorgen zu können.