RECHTSEXTREMISMUS
Die Bundesprogramme zielen nur auf kurzfristige Erfolge ab, kritisiert die Opposition
Erst flogen Farbbeutel, dann gingen Fensterscheiben zu Bruch. Der Anfang Februar in Berlin-Mitte eröffnete "Thor-Steinar"-Laden scheint nicht willkommen zu sein. Grund dafür ist wohl die Beliebtheit der Bekleidungsmarke Thor Steinar in Neonazikreisen. Unter dem Motto "Keine Geschäfte mit Nazis" gab es schon vor Eröffnung des Ladens Proteste eines Bündnisses von Anwohnern, Grünen-Jugend, Jusos und linker Gruppen. Nun sucht der Vermieter nach einer Möglichkeit zu kündigen. Man habe nicht gewusst, dass derartige Statuskleidung in dem Laden verkauft werden soll. Anwohner hätten erst mit Flugblättern und Beschwerdebriefen auf die Hintergründe von Thor Steinar aufmerksam gemacht.
Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) begrüßte die Kündigungsabsicht und überdies das Engagement der Anwohner: "Das ist eine Form von Zivilcourage, die mir sehr gut gefällt", so Hanke. Also Ende gut, alles gut? Davon kann wohl keine Rede sein, denn das eigentlich Brisante ist: Rechtsextreme und Neonazis suchen vermehrt den öffentlichen Raum. Die Präsenz eines Thor-Steinar-Ladens in der Mitte der Bundeshauptstadt darf durchaus als ein solches Zeichen verstanden werden. Es heißt also wachsam zu bleiben - das gilt auch und gerade für die Politik.
Auf Bundesebene gibt es seit Anfang 2007 neue Strukturen und neue Programme im Kampf gegen Rechtsextremismus. Das von der rot-grünen Bundesregierung einst initiierte Aktionsprogramm "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" wurde durch das 19-Millionen-Euro-Programm "Vielfalt tut gut" ersetzt. 90 lokale Aktionspläne und 93 Modellprojekte sollen damit gefördert werden.
Zusätzlich gibt es das Programm zur "Förderung von Beratungsnetzwerken", ausgestattet mit einem Etat von 5 Millionen Euro. Und es gibt den "Lokalen Aktionsplan", der für Maßnahmen und Projekte in Landkreisen jährlich 100.000 Euro zur Verfügung stellt. Aus Sicht der Bundesregierung waren diese Änderungen nötig, da die Strukturförderung nicht weiterhin vom Bund organisiert werden könne, sondern vielmehr die Länder und die Kommunen einbeziehen müsse.
Doch genau hier beginnt das Problem, wie Grünen-Politikerin Monika Lazar im Gespräch mit dieser Zeitung erläutert: "Die Zuarbeit der Kommunen ist nicht immer in ausreichendem Maße gegeben", so Lazar. Insbesondere dann nicht, wenn Alltagsrassismus und Intoleranz bis in die Rathäuser reichten. Außerdem wurden die Beantragungskriterien verschärft. "Die von den Trägern abverlangte hohe Kofinanzierung von 50 Prozent bei Modellprojekten lässt viele scheitern", bedauert die Grünen-Politikerin, die sich auch gegen die ausufernde Antragsbürokratie wendet und in diesem Zusammenhang von einer "Verstaatlichung der Arbeit" spricht.
Bei einem von den Grünen zum Thema Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus veranstalteten Fachgespräch am 7. Februar wurde eine kritische Zwischenbilanz gezogen. Stephan Meister vom Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. in Sachsen etwa konnte dem neuen Bundesprogramm nichts Positives abgewinnen.
Die Zusammenarbeit von Kommune und zivilgesellschaftlichen Initiativen in Wurzen funktioniere einfach nicht, bedingt durch alte hierarchische Denkstrukturen, die die Gleichwertigkeit von staatlichen Amtsträgern und zivilen Akteuren undenkbar machten. "Zivilgesellschaftliche Initiativen dürfen nur noch mitwirken, wenn es Politik und Verwaltung genehm ist", so Meister. Wolfram Hülsemann vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung in Potsdam sagte, der Bundesregierung fehle aus "parteipolitischen Gründen" bedauerlicherweise die Einsicht, dass ein erweiterungsfähiges Programm zur Verfügung stand, mit dessen schon gesammeltem Know-how, gepaart mit innovativen Ideen, alle Beteiligten heute ein großes Stück hätten weiter sein können in der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremden- feindlichkeit.
Auch die Linkspartei hat sich des Themas angenommen und ebenfalls im Februar zum Expertengespräch geladen. Dabei verwies Politikwissenschaftler Roland Roth von der Hochschule Magdeburg-Stendal vor allem auf Fehler, die beim Übergang von den alten Bundesprogrammen zu den neuen gemacht wurden. Während früher der Bund direkt lokale Initiativen fördern konnte, dürfen das heute nur noch die Kommunen. Das schätzt Roth als höchst problematisch ein: Der Erfolg von lokalen Initiativen sei nun völlig vom Belieben der Kommunen abhängig. Außerdem würden Kommunen bevorzugt mit Sympathisanten zusammenarbeiten, nicht aber mit Kritikern bisheriger Versäumnisse. Somit bestünde eine nur geringe Wahrscheinlichkeit für das Entstehen neuer Vernetzungen. Dabei seien gerade die das Ziel der neuen Programme gewesen.
Vor dem Bundestag kam es am 22. Februar zur Aussprache über Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus. Grundlage bildeten insgesamt fünf Anträge der Oppositionsfraktionen von FDP ( 16/2779), Bündnis 90/Die Grünen ( 16/1498, 16/4408) und Die Linke ( 16/1542, 16/4807), die allesamt abgelehnt wurden.
Dabei verteidigte Katharina Landgraf (CDU) die Bundesprogramme. Zwar müssten sich die Akteure noch besser auf sich einspielen, doch liefen die Programme ihrer Ansicht nach gut. Die Beratungsnetzwerke zur mobilen Intervention gegen Rechtsextremismus hätten sich bewährt und dabei auch die früher durch das Programm Civitas geförderten zivilgesellschaftlichen Träger eingebunden.
Dies zeige, so Landgraf, dass es falsch sei zu behaupten, "alle ehemaligen Initiativen würden leer ausgehen". Ziel der Bundesregierung sei es gewesen, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Akteure an den Maßnahmen teilnehmen, möglichst viele Menschen zum Hinsehen aufgefordert werden. Es dürfe nicht so weit kommen, warnte Landgraf, dass Linksextremisten sich zum Kampf gegen Rechtsextreme aufgefordert fühlten. "Die Gesellschaft verträgt gar keinen Extremismus", sagte die CDU-Politikerin. Extremismus könne bekämpft werden, indem das Selbstvertrauen der jungen Menschen gestärkt und die politische Bildung verbessert werde. Dazu trage die Bundeszentrale für politische Bildung erfolgreich bei, lobte Landgraf. Es müsse zukünftig darum gehen, laufende Projekte zu unterstützen, und dabei möglichst viele Leute mitzunehmen. Dabei könnten auch die Medien eine positive Rolle spielen, befand Landgraf, indem sie nicht nur bei rechten Übergriffen aktiv werden, sondern auch Menschen zeigten, die sich im Kampf gegen Rechtsextremismus "einmischen".
Bei der Entscheidung zwischen kurzfristigen Erfolgen und langfristigen Konzepten, so Christian Ahrendt (FDP), habe sich die Bundesregierung bedauerlicherweise für die kurzfristige Variante entschieden. Diese trage jedoch die Gefahr in sich, dass die Verhaltensweisen sich nicht ändern. Langfristige Konzepte benötigten jedoch feste Strukturen, so Ahrendt. Es wäre daher besser gewesen, die Bundesregierung hätte die alten Konzepte ausgebaut und fortgeführt, um langfristig zu einem besseren Ergebnis zu kommen.
Den Vorwurf, die Programme seien zu bürokratisch, könne er nicht ganz von der Hand weisen, sagte Sönke Rix (SPD). Allerdings habe sich gezeigt, dass die zuständigen Stellen "flexibel" reagieren würden, um die Konzepte zu unterstützen. Aus seiner Sicht muss die Prävention schon bei Kindern beginnen. Auch im Rahmen der Bildungspolitik müsse überlegt werden, wie man mehr Einfluss auf Schüler nehmen könnte. Zentrales Anliegen müsse es jedoch sein, Perspektiven für die Menschen zu schaffen - so bekämpfe man Rechtsextremismus am besten.
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, verwies auf die in den Fachgesprächen erlangten Erkenntnisse. Diese ließen nur einen Schluss zu: Die Programme müssen verbessert werden! Bewährtes zu erhalten und zu verstetigen wäre nötig gewesen - die Regierung tue dies jedoch nicht. Sie habe aus der richtigen Analyse, nämlich die Kommunen "mitzunehmen", die falschen Schlüsse gezogen: Nun dürften nur die Kommunen fördern. Das führe immer wieder zu der Situation, dass dort, wo der Bedarf am größten ist, wo Rechtsextreme besonders präsent sind, die Verantwortlichen ruhig bleiben, um nicht den Eindruck zu erwecken, die Kommune sei "rechts". Müggeln, so Jelpke, sei da kein Einzelfall. Ihrer Ansicht nach ist das nicht etwa eine "versehentliche Fehlentwicklung", sondern Ziel der Bundesregierung, der die alten Programme "schon immer ein Dorn im Auge waren". Unabhängige Projekte hätten oftmals eine unbequeme Haltung eingenommen. Das habe man verhindern wollen.
Eine "wehrhafte Demokratie" werde im Kampf gegen Rechtsextremismus gebraucht, sagte Nils Annen (SPD). Die Programme der Bundesregierung seien ein Beitrag dazu. Der fraktionslose Abgeordnete Gert Winkelmeier kritisierte, dass die antifaschistische Arbeit "bürokratisiert" werde. Dabei sei der eigentliche Ansatz gut, so Winkelmeier, da das Geld aufgestockt wurde. Allerdings würden die erfolgreichen Initiativen daran nicht beteiligt. Winkelmeier ging auch auf die Klage Norwegens gegen den Gebrauch seiner Landesfahne im Thor-Steinar-Logo ein. Dort wolle man nicht, dass Nazis die Flagge für ihre Werbezwecke missbrauchen. Er sei sehr gespannt, wie deutsche Gerichte darüber urteilen werden.