Fotografie
Die Ausstellung »Von Kunst und Politik« präsentiert erstmals Teile der vom Bundestag angekauften Werke
Manchmal fliegen im Plenarsaal im verbalen Sinn die Fetzen, wenn sich die Gegensätze der politischen Akteure partout nicht verbinden lassen wollen. Im Kunst-Raum des Bundestages fliegen keine Fetzen. Dort fliegt vom 20. Februar bis 12. Mai 2008 unter anderem Friedrich Engels durch die Luft - natürlich nur auf einem Foto, zu sehen in der Ausstellung zeitgenössischer Fotografie mit dem Titel "Von Kunst und Politik". Am Kranhaken schwebt er über Berlin-Mitte am Fernsehturm vorbei, auf seinen künftigen Stehplatz, das Marx-Engels-Forum, zu. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme gehört zu den bekanntesten Werken der Fotografin Sibylle Bergemann und ist Teil ihres von 1975 bis 1986 entstandenen Zyklus' "Das Denkmal". Bergemann begleitete den Entstehungsprozess dieses Denkmals ganz offiziell, mit einem Staatsauftrag in der Tasche.
Was aus der Perspektive der Auftraggeber einem propagandistischen Zweck dienen sollte, endete jedoch als kritisch-hinterfragendes Dokument und beweist damit, wie komplex die Beziehungen zwischen "Kunst" und "Politik" sein können. Es zeigt zugleich einen entscheidenden Unterschied: Künstler können Gegensätze verbinden ohne sie überwinden zu müssen, sie können sich eines Themas annehmen und sich in der Art, wie sie es tun, zugleich davon distanzieren.
"Die Bilder vom Marx-Engels-Forum sind ein wunderbares Beispiel dafür, wie ein Fotograf politisch arbeiten kann", betonte Andreas Kaernbach, der Kurator der Kunstsammlung des Bundestages, bei der Eröffnung der Ausstellung. Auf 300 Quadratmetern präsentiert der Kunst-Raum erstmals Werke aus der eigenen, insgesamt 5.000 Exponate umfassenden, Sammlung der Öffentlichkeit. Und zeigt damit endlich, über welche Schätze der Bundestag verfügt: Neben Sibylle Bergemann finden sich andere illustre Namen der zeitgenössischen Fotografie unter den Künstlern: Arno Fischer, Sophie Calle, Andreas Gursky, Christian Boltanski oder Barbara Klemm - um nur einige zu nennen. Sie alle eint die Auseinandersetzung mit politischen und gesell- schaftlichen Prozessen.
Sophie Calle zum Beispiel ist mit ihrer Serie "Die Entfernung" zu sehen. Auch darin geht es um Denkmäler - genauer um das Verschwinden von DDR-Denkmälern in Berlin nach 1989. Die Dokumentation der Leerstellen, also jener Orte, an denen sie einst gestanden haben, verbindet Calle mit den Erinnerungen von Passanten und Anwohnern. "Ich fotografierte die Abwesenheit und ersetzte die fehlenden Monumente mit ihren Erinnerungen", beschreibt sie das Ziel ihrer Serie.
Eines der bekanntesten Werke zeigt jene Stelle an der Fassade des Palastes der Republik, an der einst das DDR-Staatswappen gehangen hat. Die Erinnerungen der Passanten daran zeigen, wie präsent das Verschwundene in den Köpfen ist: "Da ist Widerstand in diesem Loch. In meinem Kopf ist es ja noch da. Ich kann es dort sehen wie einen Geist." Fotografie wird so zu einem politischen Medium. "Es eröffnet einen besonderen Zugang im Umgang mit historischen Ereignissen, es geht letztlich um einen interpretatorischen Zugang", sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zur Eröffnung der Ausstellung.
Zwar findet in den dort gezeigten Werken (und auch in dem Film-Begleitprogramm) vor allem eine Auseinandersetzung mit "ernsten Themen" statt, so Andreas Kaernbach. Der Kurator stellt dennoch fest: "Kunst darf aber einfach auch nur schön sein. Eine Gegenwelt zur Politik, die das Andere in die Politik hineinträgt."
Ob nun einfach nur schön, nachdenklich, provozierend oder alles zusammen: Nicht nur im Kunst-Raum des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses, auch in den Büros der Abgeordneten befinde sich die Kunst "Auge in Auge" mit der Politik und damit in "unmittelbarer Zwiesprache" mit ihr, schwärmt Andreas Kaernbach.
Er ist überzeugt, dass den Werken der Kunstsammlung, zu der nicht nur Fotografien gehören, in den Räumen der Politik schließlich größere Aufmerksamkeit zuteil werde als im Museum. Die 175.000 Euro, die im Haushalt des Bundestages jährlich für Ankäufe zur Verfügung stehen, stellen für ihn eine "direkte Form der Künstlerförderung" dar, materiell und ideell. "Die Künstler empfinden es durchaus als Ehre, wenn ihre Arbeiten Teil der Kunstsammlung des Bundestages werden." Und auch manch ein Abgeordneter konnte sich nur schwer von "seinem" Künstler trennen. Es habe im Vorfeld mitunter Überzeugungsarbeit gekostet, um einige Werke aus den Büros für die Dauer der Ausstellung in den Kunst-Raum zu "entleihen", sagt Kaernbach.
Aber, geht es nach dem Willen des Kunstbeirates und seinem Vorsitzenden Norbert Lammert, könnten derlei Entbehrungen in Zukunft häufiger auf die Kunstliebhaber im Bundestag zukommen: "Wir haben uns vorgenommen, die Werke der eigenen Sammlung künftig regelmäßig zu zeigen, um die Sammlung vertrauter zu machen als sie es bisher ist", kündigte Lammert an. Eine gute Voraussetzung, um die Fangemeinde von den Politikern auf die Besucher aus- zudehnen.