Roman
Eine wahre und fiktive Geschichte aus dem Irak
Haydar ist 14 als seine Kindheit durch ein Klopfen an der Tür beendet wird. Es ist das Jahr 1991, als Polizisten des Saddam-Regimes das Haus der Großfamilie in Hilla stürmen und zunächst die Mutter und den ältesten Bruder, später auch den Vater mitnehmen. Der einzige Grund: Haydars Familie ist schiitisch, die Saddam-Diktatur sunnitisch. Fortan besucht Haydar nicht mehr die Schule und geht nicht mehr zum Spielen vor die Tür. Er versorgt sieben jüngere Geschwister, verdient hier und dort ein bisschen Geld, immer zu wenig, immer illegal, weil seine Eltern in den Akten der Geheinpolizei stehen. Die meiste Zeit aber verbringt er auf der Suche: Als er in Hilla über Jahre nicht fündig wird, fährt er immer öfter bis nach Bagdad, um ein Zeichen seiner Mutter, seines Vaters oder seines Bruders zu finden.
Zwölf Jahre später trifft Klaus Brinkbäumer Haydar in dem Moment, als der seine Mutter findet - in einem Massengrab in der Nähe von Hilla. Haydar, inzwischen 26 Jahre alt, steht dort und hört nicht auf zu schreien: "Warum? Warum?" In der Hand hält er Knochen, gehüllt in den Rest eines karierten Kleides, das er als das seiner Mutter erkennt. Brinkbäumer, mehrfach ausgezeichneter "Spiegel"-Reporter, schreibt Haydars Geschichte für das Nachrichtenmagazin auf: als Porträt eines jungen Irakers, der Zeit seines Lebens vom menschenverachtenden Baath-Regime unterdrückt wurde. Der dennoch nicht gejubelt hat, als die Amerikaner kamen, weil er nicht glauben kann, dass es ihnen um etwas anderes geht als um Öl. Nun hat der Autor die wahre Begebenheit zu einem Roman ausgebaut. "Unter dem Sand" erzählt - in Teilen fiktiv - die ganze Geschichte von Haydar, und auch wie es nach der Befreiung des Irak mit ihm weiterging. In einer eindringlichen Sprache zeichnet Brinkbäumer das Porträt eines Menschen, aber noch viel mehr: ein Sittenbild eines Landes, in dem die Menschen seit Jahrzehnten in Krieg oder Unterdrückung leben.
Am Ende des Romans reist der ausländische Protagonist, der kein Journalist, sondern Menschrechtsaktivist ist, noch einmal nach Bagdad, weil die Geschichte Haydars ihn all die Jahre nicht losgelassen hat. Er trifft auf ein Land, das vier Jahre nach dem Irak-Krieg zwei Realitäten hat. "Es gibt zwei parallele Welten", sagt Haydar, ein bisschen Normalität auf der einen - und Aufstände, Morde, Entführungen auf der anderen Seite. Haydars Geschichte in diesem Land nimmt kein gutes Ende.
Klaus Brinkbäumer:
Unter dem Sand. Roman.
Fischer Verlag, Frankfurt 2007, 247 S., 12,95 ¤