Finanzpolitik
Immer öfter können Bürger bei der Aufstellung öffentlicher Haushalte mitmischen. An Ideen mangelt es ihnen dabei nicht
Wer weiß, vielleicht beschließt der Stadtrat Anfang April, Kölns "schlimmste Kreuzung" mit ihren Dauerstaus zu beseitigen. Möglicherweise retten die lokalen Volksvertreter auch ein durch die Hafenerweiterung bedrohtes Naturschutzgebiet. Zur Abstimmung stehen zudem schönere Grünflächen, attraktivere Freizeitanlagen und bessere Fahrradwege. Auf dem Tisch der Parlamentarier liegt ein üppiges Forderungspaket mit rund 300 Vorschlägen, die fast 8.000 Kölner unter dem Titel "Bürgerhaushalt" erarbeitet haben. Sollten alle Ideen verwirklicht werden, würden sich die Mehrbelastungen für den Drei-Milliarden-Etat in den mit 340 Millionen Euro dotierten Bereichen Straßen und Plätze, Grünanlagen und Sport 2008 auf 6 und 2009 auf mindestens 7 Millionen Euro belaufen. Rupert Ropertz, Vizechef der Kämmerei, ist optimistisch, dass vom Stadtrat "Vieles umgesetzt wird". Ein Ergebnis gibt es bereits: Die Schließung von drei Hallenbädern wird fürs erste auf 2011 verschoben.
Ropertz ist stolz, "dass Köln das bislang ambitionierteste Projekt eines Bürgerhaushalts praktiziert". Derzeit absolviert der Berliner Bezirk Lichtenberg schon zum dritten Mal einen solchen Prozess, Bürgermeisterin Christina Emmrich (Linkspartei) ist als Referentin in zahlreichen Städten gefragt. Laut Johannes Middendorf, Leiter des Finanzservice, werden jedes Mal "zwei bis drei Millionen Euro" im Etat umgeschichtet, von dessen 530 Millionen Euro nur 30 Millionen disponibel sind: Mehr Geld fließt etwa in die Musikschule, in Jugendfreizeiteinrichtungen und in Grünflächen. 2006 organisierte mit der Bürgerschaft in Hamburg erstmals ein Landesparlament eine haushaltspolitische Mitbestimmung. Bonn hat experimentiert, Halle macht erste Versuche, die Bertelsmann-Stiftung förderte ein Modell in mehreren kleineren Städten wie etwa Castrop-Rauxel, Hilden oder Hamm. Gemeinderat und Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) starten im März in Freiburg ein solches Projekt.
Ganz wichtig ist es für Birgit Frischmuth, Referentin im Finanzdezernat des Deutschen Städtetags, die komplizierten Mechanismen eines Etats "überhaupt einmal anschaulich zu erläutern". Oliver Haubner von der Bertelsmann-Stiftung: "Der Haushaltsplan einer mittelgroßen Stadt wiegt mindestens zwei Kilogramm und ist selbst für Profis in Politik und Verwaltung meist nur teilweise zu verstehen." Neben Flyern und Broschüren spielen bei Informationskampagnen Internetauftritte eine große Rolle, in Freiburg touren Info-Busse durch die Quartiere. Hilden brachte ein kommunalpolitisches Monopoly-Spiel unters Volk. Es seien auch schon mal in Kneipen Bierdeckel mit Etatdaten ausgelegt worden, berichtet Frischmuth.
Abstimmungsprozeduren bei Umfragen, Bürgerversammlungen und Internetforen werden von Ort zu Ort unterschiedlich gehandhabt. Beim Herausfiltern der Vorschläge, über die letztlich die Parlamente befinden, mischen meist auch spezielle Redaktionsteams mit. In Hamburg lief alles über das Web, 3.000 User stellten über 2.000 individuelle Haushaltspläne auf. In Lichtenberg beziffert Middendorf die Teilnehmerzahl auf 5.000, Umfragen, Versammlungen und Internetvoten zusammengerechnet. Anders als in Köln soll in Freiburg zum Schluss nicht im Internet, sondern auf einer "Stadtkonferenz" über den Forderungskatalog entschieden werden.
Mitbestimmen über Geld für Bäder, Sportstätten, den öffentlichen Nahverkehr, Museen, Theater, Wirtschafts- und Tourismusförderung, Sozialprogramme, Schul- und Kitaausstattung, Straßen- und Brückenbau, Pflasterung von Gehwegen und manches mehr: Das verheißt ein Stück Partizipation. Diese "hohe Schule der Bürgerbeteiligung" könne "Schwung in die Kommunalpolitik bringen", meint Frischmuth. Den Bürgern "mehr Mitbestimmungsrechte verschaffen": So sagen es Rupert Ropertz in Köln und Johannes Middendorf in Lichtenberg, so lautet auch das Motto für den Freiburger Gemeinderat.
Doch dreht es sich nur um basisdemokratische Motive? Bemerkenswert: Nirgendwo ist ein Beteiligungsverfahren auf den Vorstoß von Bürgergruppen, Verbänden oder lokalen Parteien zurückzuführen. Stets geht die Initiative von Verwaltung und Parlamenten aus. Für die Hamburger Internetaktion wurden lokale Promis wie Wirtschaftsforscher Thomas Straubhaar oder Theatermacher Corny Littmann als Werbeträger eingespannt. Rüdiger Kruse, Finanzpolitiker der CDU-Fraktion an der Elbe: "Bürgerbeteiligung ist sinnvoll, weil für eine Konsolidierung des Haushalts die Zustimmung der Menschen notwendig ist." Angesichts des unvermeidbaren "Verzichts auf Leistungen der öffentlichen Hände" könnten Bürgerhaushalte, so Haubner, "einen Weg weisen, derartige Entscheidungen gemeinsam mit den Bürgern herbeizuführen". Frischmuth erinnert daran, dass die Debatte über solche Mitbestimmungskonzepte bereits Ende der neunziger Jahre begann, wobei sich dies "mit dem zunehmenden Zwang zum Sparen kreuzte". Freiburgs Rathauschef Salomon setzt auf "Aufklärung", die Finanzpolitik müsse "transparent" werden. All das nährt eine Vermutung: dass Bürgerhaushalte auch dazu dienen, den Leuten die engen finanziellen Spielräume zu verdeutlichen.
Ohnehin wird die Mitsprache der Bewohner kanalisiert und gesteuert. Internet-Auftritte werden von IT-Profis gemanagt. In Lichtenberg darf das 30-Millionen-Euro-Limit nicht gesprengt werden, Mehrausgaben hier sind durch Kürzungen dort zu kompensieren. Diese Maxime gilt auch strikt für Freiburg: Einnahmen wie Gewerbe- und Grundsteuer stehen nicht zur Diskussion, ansonsten fürchtet OB Salomon ein "Wunschkonzert". In Köln ermittelte die Kämmerei zunächst bei einer Umfrage unter 15.000 Bewohnern jene drei Themenfelder, die am meisten interessierten und auf die dann die Mitbestimmungsdebatte beschränkt wurde.
Eine heikle Sache ist das Spannungsverhältnis zwischen repräsentativer und direkter Demokratie. Das Haushaltsrecht obliegt den Parlamenten. Salomon spricht von einer "Ergänzung" durch das Beteiligungsverfahren. Es gehe nicht um "direkt-demokratische Entscheidungen", so Stiftungsmanager Haubner, vielmehr solle die Politik eine "Entscheidungshilfe" erhalten, "indem sie sich im Vorfeld die Meinungen und Sichtweisen der Bürger" anhört. Doch "bewegt sich wenig im Etat", mahnt Frischmuth, "bleibt bei den Leuten Frust zurück". Letztlich sei das Volumen der umgeschichteten Summen recht gering. Laut Middendorf setzt in Lichtenberg die Bezirksverordnetenversammlung an die 90 Prozent der Forderungen um. Bürgermeisterin Emmrich lobt ihre Bürger: Die verlangten "keine Wolkenkuckucksheime", sondern votierten "klug und verantwortungsvoll".
Erwartungen, dass à la Hamburg auch in anderen Bundesländern Bürgerhaushalte Einzug halten könnten, dämpft Thilo Sarrazin, Vorsitzender der Konferenz der Finanzminister. Der Berliner SPD-Senator hält einen solch "partizipativen Ansatz" auf kommunaler Ebene für sinnvoll, dort seien die Bürger direkt betroffen. Für Länderetats gelte dies jedoch nicht in gleicher Weise. Länderparlamente hätten eine "andere verfassungsrechtliche Stellung".
Dabei müssten Sarrazin die Erfahrungen an der Elbe gefallen. Die Vorschläge der Internet-User hätten zu Einsparungen von drei Prozent geführt: Den Hanseaten sollte eine Sonderabgabe zum Schuldenabbau auferlegt werden, Kürzungen sollten Kultur, Soziales und Familien treffen. Letztlich setzte das Parlament aber nur sehr wenig um, unter anderem sollen Straßen mit Energiesparlampen beleuchtet werden. Gleichwohl würdigt der CDU-Abgeordnete Kruse den Bürgerhaushalt als "Erfolg". Die SPD zeigt sich "verhalten und skeptisch", so Christoph Holstein, man habe "Zweifel, dass auf diese Weise plebiszitäre Elemente gestärkt werden können".