ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF
warnt vor Reformmüdigkeit und Protektionismus. Er fordert mehr Wettbewerb auf dem Finanzsektor
Ein Thema des EU-Gipfels am 13./14. März ist die turbulente Lage auf den internationalen Finanzmärkten. Sie kommen gerade aus den USA zurück. Bedroht die dortige Entwicklung das europäische Wirtschaftswachstum?
Die konjunkturellen Aussichten in den USA sind ziemlich durchwachsen. Gerade was den Finanzsektor angeht, haben wir die eine oder andere Gefahr im Markt, speziell bei verbrieften Verbraucher- und Kreditkartenkrediten. Das ist ein ähnliches Modell wie bei den Immobilienkrediten, dahinter stehen riesige Summen und es birgt ein enormes Risiko. Wenn die amerikanische Konjunktur leidet, dann leiden wir in Europa auch.
Die EU prüft derzeit ihre Finanzregeln, um eine ähnliche Bankenkrise wie sie die USA vergangenen Sommer erlebten, zu vermeiden. Wie können die EU-Instrumentarien optimiert werden?
Die EU muss aktiv zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems beitragen. Konkret sollte unter anderem die Zusammenarbeit der Bankenaufseher in der EU gestärkt werden und eine Einschränkung hoch spekulativer Kreditgeschäfte außerhalb der Bilanzen in der Finanzwirtschaft erfolgen. Zusätzlich müssen die Eigenkapitalvorschriften unter Basel II überprüft und, falls notwendig, angepasst werden. Auch ein Verhaltenskodex für die Geschäftsführung, transparentere Bonussysteme und einsehbare Risikoprofile bei Banken würden dazu beitragen, mehr Stabilität zu erzeugen.
Innerhalb der EU stehen auch schärfere Regeln gegen Steuerbetrug zur Diskussion. Nach den Fällen von Steuerhinterziehung über Liechtenstein dringt Deutschland auf einen härteren Kurs gegen Steuersünder. Doch nicht alle Länder ziehen mit. Kann der Gipfel noch etwas bewegen?
Wenn es von den EU-Finanzministern nicht abschließend diskutiert und entschieden werden kann, muss das Thema selbstverständlich auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs geregelt werden. Staaten, die bewusst mit dem Fehlverhalten anderer Geschäfte zu machen versuchen, muss man in die Pflicht nehmen. Das gilt nicht nur für Liechtenstein, sondern auch für andere "Steuerparadiese" in Europa.
Nach mehreren schwachen Jahren zog Europas Wirtschaft 2007 wieder an. In den vergangenen zwei Jahren entstanden EU-weit sechs bis acht Millionen neue Arbeitsplätze. Ist dies eher ein zyklischer Aufschwung oder das Ergebnis europäischer Reformanstrengungen?
Sicher hat das eine oder andere Reformprogramm dazu beigetragen. Doch wenn man eine Reform im Jahr x macht, dann ist im Jahr x plus eins die Wirkung noch nicht so deutlich zu sehen. Entscheidend zum Wachstum hat die EU-Osterweiterung 2004 beigetragen. Durch sie sind in der EU Hunderttausende neue Jobs entstanden - auch die deutsche Wirtschaft profitiert davon.
Sehen Sie die Gefahr, dass die EU-Staaten angesichts der positiveren Wirtschaftslage die Hände in den Schoss legen anstatt weiter Tempo bei den Reformen zu machen?
Diese Gefahr besteht durchaus, schauen Sie nur auf die Große Koalition bei uns. Sobald die Steuereinnahmen da sind und man sich in Richtung eines ausgeglichenen Haushalts bewegt, werden den Menschen neue Versprechungen gemacht. Es ist Zeit für weitere Reformen, um das Finanzsystem am Ende nicht durch unverantwortliches staatliches Wirtschaften in Gefahr zu bringen.
In der EU werden die Forderungen nach wirtschaftlichem Protektionismus lauter. Wie gefährlich ist diese Tendenz?
Diese Reaktionen sind normal, hilflos und falsch. Protektionismus hat noch nie etwas gebracht. Wir wären nicht Export-Weltmeister, wenn es keine offenen Weltmärkte gäbe.
Wie kann sich die Europäische Union gegenüber den besonders schnell wachsenden Märkten Chinas und Indiens behaupten?
Die EU-Staaten werden nie als Billiglohn-Länder überleben können, sondern müssen es mit Wissen schaffen, das ist unser wichtigster Rohstoff. Wir müssen uns von restriktiven Gesetzen in Forschung und Ausbildung verabschieden. Wir brauchen aber auch mehr Spielraum für Unternehmer.
Wie bewerten Sie die Frage der Trennung von Energieerzeugern und Netzbetreibern auf dem Strom- und Gasmarkt? Ist das der Königsweg, um den Energie-Binnenmarkt in Europa zu liberalisieren?
Was wir brauchen, ist Wettbewerb auf dem Markt, denn der bringt bessere Preise für die Verbraucher. Dabei kommt es darauf an, das Erzeugen von Energie und das Verteilen von Energie zu trennen. Gelingt das den Unternehmen innerhalb von drei Jahren nicht, dann werden wir als Liberale die eigentumsrechtliche Entflechtung wieder auf den Tisch legen.
Unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft haben sich die 27 EU-Mitgliedstaaten vor einem Jahr auf die weltweit ehrgeizigsten Klimaschutzziele eingeschworen. Jetzt kämpft Deutschland gegen zu harte Klimaauflagen für die Autoindustrie. Halten Sie das für gerechtfertigt oder für Heuchelei?
Es war falsch für den komplexen Automobilmarkt allgemeine Ziele zu definieren, anstatt Segment für Segment vernünftige Anforderungen zu stellen. Das heißt nicht, dass wir den Druck von den Herstellern nehmen sollten. Es heißt nicht, dass meine Kritik an der deutschen Autoindustrie, die manche Trends jahrelang verschlafen hat, schwächer werden würde. Aber Anforderungen zu stellen, die für die deutsche Autoindustrie ruinös sein würden, das kann es auch nicht sein.
Was meinen Sie genau mit ruinösen Forderungen?
Es ist technisch nicht machbar, den durchschnittlichen CO2-Ausstoß bei Neuwagen bis 2012 auf 120 Gramm pro Kilometer zu reduzieren. Diese Forderung kommt mitten in einem Modellzyklus, der bei einem normalen Auto sieben bis acht Jahre dauert.
Wer sollte die Umsetzung und Einhaltung der europäischen Klimaziele verwalten? Wer wird über mögliche Sanktionen entscheiden, wer die Verschmutzungsrechte verwalten?
In der EU wird es die Kommission sein. Global betrachtet geht es darum, politischen Druck aufzubauen und auf die Länder aufrechtzuerhalten, die viel Treibhausgase ausstoßen oder auf absehbare Zeit viel emittieren werden. Doch wir können keine Klimaschutzpolitik allein aus der EU heraus machen. Wir müssen die Chinesen und die Inder an Bord haben, sonst wird Europas Engagement dem Klima überhaupt nichts nützen.
Wie hoch ist der Stellenwert einer Energie-Außenpolitik? Hat die EU eigentlich überhaupt eine Alternative zum unberechenbaren Energielieferanten Russland?
Das ist eine gegenseitige Abhängigkeit, denn dem Gas, das wir aus Russland beziehen, steht eine genauso starke Strömung von Euros in die andere Richtung gegenüber, ohne die auch Russland nicht vom Fleck kommt. Energiegeschäfte einzelner EU-Regierungen mit Moskau erschweren den Aufbau einer europäischen Energie-Außenpolitik, doch wir sind selber schuld, wenn wir uns auseinanderdividieren lassen.
Glauben Sie, dass sich das kühle Klima in den europäisch-russischen Beziehungen unter dem neuen russischen Präsidenten Medwedew wandeln wird?
Im Bereich Energie ist eine Zusammenarbeit mit Russland möglich, eine strategische Partnerschaft halte ich jedoch im Moment für illusionär, denn sie setzt gemeinsame Ziele und Werte voraus. Und mindestens bei den Werten gibt es auf der Seite der Demokratie schwerste Probleme, wie die russischen Präsidentschaftswahlen wieder dokumentiert haben.
Das Interview führte Daniela Schröder.
Alexander Graf Lambsdorff (41) ist seit 2004 für die Liberalen (ALDE) im Europäischen Parlament und stellvertetender Vorsitzender im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz