Philosophie
Hans-Martin Schönherr-Mann sucht nach Handlungsanweisungen für die globalen Konflikte der Gegenwart
Ein Philosoph hat hehre Ziele: Laut Platon will er König werden - mindestens aber C4-Professor. Eine Karriere als Zyniker oder gar Gewalttäter wird in der Regel ausgeschlossen. Das gilt selbst dann noch, wenn es um die Überwindung scheinbar unüberbrückbarer Gräben geht. Setzen Scharfmacher hier meist auf den Wahrheitsanspruch totalitärer Ideologien, so vertraut der moderne Philosoph noch immer der Kraft vermittelnder Worte. "Handle so, als ob du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeinschaft wärest", lautet etwa die oberste Maxime einer Ethik, die einst der Frankfurter Philosoph Karl-Otto Apel unter dem Begriff "Diskursethik" populär gemacht hat.
Nicht Gesinnungen bestimmen das gute Handeln; es ergibt sich aus den kommunikativen Strukturen der Sprache. Sprache, so Apel, setzt die Welt einem "zwanglosen Zwang des besseren Argumentes aus". Von den klassischen Gesprächen des Sokrates bis hin zur Habermasschen "Theorie des Kommunikativen Handelns" zieht sich schließlich ein dialogisches Prinzip durch die Geschichte der abendländischen Philosophie. Wer möchte bei solch illustrer Runde also nicht einen Antrag auf Mitgliedschaft in dieser "idealen Kommunikationsgemeinschaft" abgeben?
Und doch: die diskursiven Ethiken des 20. Jahrhunderts geraten in Verruf. Zumindest zwischen den großen Kulturen der Gegenwart reißt mehr und mehr der Gesprächsfaden ab. Während Dschihadisten in den letzten Jahren vermehrt auf Gewaltäußerungen setzen, verschlägt es westlichen Intellektuellen zunehmend die Sprache. Für den "Zeit"-Journalisten Josef Joffe etwa ist der kulturelle Dialog längst nur noch ein "folgenloser Austausch bekannter Positionen". Und der Publizist Henryk M. Broder pflichtet diesem Pessimismus bei, indem er im Gespräch zwischen Religionen allenfalls noch "interkulturelles Palaver" erblickt. Müssen die praktischen Philosophien des 20. Jahrhunderts also kapitulieren in Anbetracht der Bedrohungen des 21. Jahrhunderts? Um eine solche Frage zu beantworten, bedürfte es zunächst einer Bestandsaufnahme. Hans-Martin Schönherrr-Mann, Professor für Politische Philosophie an der Universität München, hat sich daher einmal in den Unterbau unseres ethischen Denkens begeben, um dort ausgiebig Inventur zu machen.
In seinem aktuellen Buch "Miteinander leben lernen" hat Schönherr-Mann die Werke von mehr als 15 namhaften Philosophen nach Handlungsanweisungen für die globalen Konflikte der Gegenwart abgeklopft. Dem Münchner Professor geht es dabei um nicht weniger als um den Weltethos. Denn nicht nur die Frage eines richtigen Lebens nach dem 11. September treibt ihn an. Er fragt nach Möglichkeiten von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, nach friedlichem Umgang sowohl miteinander, als auch mit der Natur.
Vier Kernbegriffe sind es, die für Schönherr-Mann die praktische Philosophie der letzten 100 Jahre geprägt haben: Pluralismus, Verantwortung, Kommunikation und Konsens. Sie findet er sowohl in der Existenzphilosophie Karl Jaspers oder Jean-Paul Sartres wieder, aber auch im Moralkonzept Michael Walzers und im Gerechtigkeitsbegriff von John Rawls. Die Antworten, die diese Denker auf die ethischen Krisen ihrer Zeit gefunden haben, waren unterschiedlich, immer aber haben sie unter dem Verdikt Friedrich Nietzsches gestanden. Der hat bereits im 19. Jahrhundert die ethische Welt ins Wanken gebracht. Mit Nietzsches Diagnose vom "Tod Gottes" waren mit einemmal alle obersten ethischen Werte passé, mussten moralische Maximalforderungen durch ethischen Minimalismus ersetzt werden. Die Folge: "Die Philosophie tut sich nicht nur schwer mit der Letztbegründung von unbedingten ethischen Normen. Sie kann es nicht." Für jene also, die solch unbedingten Normen - egal ob aus Abend- oder Morgenland - verteidigen wollen, muss Schönherr-Manns Feststellung wie eine Bankrotterklärung klingen.
Wie sonst können dann noch die Herausforderungen der Gegenwart gemeistert werden? Schönherr-Mann gibt sich hier gelassen. Mit einem Verweis auf den amerikanischen Philosophen William James macht er deutlich, dass die Fragestellungen der Gegenwart im Kern nicht wesentlich anders sind, als die des 19. Jahrhunderts auch. Während James nämlich mit seiner Philosophie des Pragmatismus Antworten auf den innergesellschaftlichen Pluralismus des bürgerlichen Zeitalter suchte - auf zunehmend verschiedene Interessen, Werte und Weltauffassungen - muss eine moderne Ethik die gleichen Herausforderungen auf globaler Ebene noch einmal aufrufen.
Es mag den kulturellen Scharfmachern also passen oder nicht: Auch in einer globalen pluralistischen Gesellschaft bleibt nur Diskurs und Aushandeln. Alles andere, jegliche Aufhebung des kommunikativen Raums oder der zwischenmenschlichen Differenz, fördert für Schönherr-Mann allenfalls totalitäre Herrschaft oder repressive Strukturen.
Die Welt, so hat es Hannah Arendt einmal formuliert, ist ein "kommunikativer Zwischenraum". Diesen zuzuschütten oder zu ignorieren hieße nicht nur in Schweigen zu ersticken, es hieße die pluralistische Gesellschaft um ihren Kern zu bringen.
Schönherr-Manns aufschlussreiche, zuweilen etwas verquast formulierte tour d'horizon durch die Ethiken der Gegenwart ist daher ein Appell dafür, die Zwischenräume auszuhalten - einzutreten in die ideale Kommunikationsgemeinschaft. Miteinander leben lernen heißt: miteinander reden lernen.
Miteinander leben lernen. Die Philosophie und der Kampf der Kulturen.
Piper Verlag, München 2008; 370 S., 19,90 ¤