ÖSTERREICH
Wahlergebnisse könnten SPÖ und ÖVP wieder in ein unbeliebtes Bündnis zwingen
Österreich bewegt sich vorsichtig wieder auf eine große Koalition zu. Der neue Vorsitzende der sozialdemokratischen SPÖ, Verkehrsminister Werner Faymann, erhielt am 8. Oktober von Bundespräsident Heinz Fischer den Auftrag, eine Regierung zu bilden. In Österreich wird der Bundeskanzler nicht vom Parlament gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt. SPÖ-Chef Faymann will nur mit der konservativen Volkspartei (ÖVP) verhandeln. Deren designierter Vorsitzender, Landwirtschaftsminister Josef Pröll, verlangt aber vor Verhandlungsbeginn zunächst eine "Klärung" der Europa-Politik. Bei der vorgezogenen Nationalratswahl am 28. September hatten SPÖ und ÖVP, die das Land seit 2006 wieder gemeinsam regieren, empfindliche Verluste hinnehmen müssen.
Die ÖVP büßte mehr als acht, die SPÖ sechs Prozentpunkte ein. Gewinner der Wahl waren die beiden Rechtsparteien, die zwischen sechs und sieben Prozentpunkte hinzugewannenDie"Freiheitliche Partei" (FPÖ) unter Heinz-Christian Strache kam auf 17,5, das "Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) unter Jörg Haider auf 10,7 Prozent. Die Grünen verloren leicht und erreichten 10,4 Prozent.
Das Wahlergebnis macht nur eine einzige Zweierkonstellation möglich: Eine Koalition aus SPÖ und ÖVP, die das Land schon in 37 von 63 Nachkriegsjahren regiert hat. Rechnerisch könnte sowohl die SPÖ als auch die ÖVP mit den beiden Rechtsparteien regieren. SPÖ-Chef Faymann hat eine solche Konstellation für seine Partei ausgeschlossen. Sein designierter Widerpart von der ÖVP, Josef Pröll, neigt ebenfalls eher der großen Koalition zu, muss sich damit in seiner Partei aber erst durchsetzen. Die starken Länderregierungschefs und der Wirtschaftsflügel wollen lieber mit der SPÖ koalieren. Große Teile des Basis sowie Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel ziehen jedoch ein Bündnis mit der extremen Rechten vor, bei dem die ÖVP wieder - wie von 2000 bis 2006 - den Kanzler stellen könnte.
Der Bruch der großen Koalition hatte die Neuwahl erst nötig gemacht. Anlass war die Ankündigung der SPÖ, künftige Änderungen des EU-Vertrags einer Volksabstimmung zu unterwerfen - was im EU-skeptischen Klima als Verbeugung vor der extremen Rechten aufgenommen wurde. "SPÖ und ÖVP haben die Chance vertan, eine stabile Mehrheit in eine handlungsbereite Mehrheit zu verwandeln", sagt der Innsbrucker Politologe Anton Pelinka. Der noch amtierende Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) musste sich Ungeschick, der konservative Vize-Kanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) Blockade vorwerfen lassen.
Vor allem in der ÖVP, aber auch in der SPÖ wird die große Koalition als Zwangs- gemeinschaft wahrgenommen. Ein in anderen westlichen Demokratien üblicher Wechsel der Regierung zwischen rechts und links ist in Österreich nur schwer möglich. Eine Mehrheit links von der christdemokratisch orientierten ÖVP hat es in Österreich zuletzt 1979 gegeben.
Die Mehrheit rechts von der SPÖ umfasst dagegen auch Parteien, die anderswo als außerhalb des demokratischen Spektrums stehend wahrgenommen werden. Die FPÖ hatte zuletzt in einem aufpeitschenden Wahlkampf in Graz den Propheten Mohammed als "Kinderschänder" bezeichnet und gefordert, Österreicher dürften nicht mit "Neger- und Türkenkindern" in eine Schulklasse gehen. Das BZÖ hatte verlangt, Österreichs Städte von "kriminellen Ausländern" sowie Bettlern zu "säubern". Sein Vorsitzender Haider richtete jetzt im von ihm regierten Bundesland Kärnten auf einer entlegenen Alm ein "Sonderlager" für angeblich kriminelle Asylbewerber ein.
Als ÖVP und FPÖ 2000 eine Koalition eingegangen waren, hatten die anderen EU-Mitgliedsstaaten mit einer protokollarischen Herabstufung ihrer Kontakte mit Wien reagiert. Ein "Weisenrat" aus angesehen Juristen hatte die FPÖ als "rechtspopulistisch" qualifiziert. Nach einem halben Jahr waren die "Sanktionen" wieder aufgehoben worden.
Nach der Abspaltung des BZÖ 2005 habe die FPÖ sich weiter radikalisiert, sagt die Wiener Parteienforscherin Sieglinde Rosenberger: "Ich würde die FPÖ heute am ehesten als rechts-nationalistisch bezeichnen." Als Indizien führt Rosenberger die Betonung des Österreichertums, die harte Anti-Europa-Politik und die Ausländerfeindlichkeit an. Nach den Daten des führenden Meinungsforschungsinsituts GfK wählten von den 16- bis 19-jährigen Erstwählern 44 Prozent die FPÖ mit ihrem jugendlich wirkenden Spitzenkandidaten Strache. Nach einer Untersuchung des Wiener Instituts für Jugendforschung sind für die Jungwähler "Ausländer" das wichtigste Thema.
Während ihrer Regierungszeit 2000 bis 2006 konnte die Partei keines ihrer problematischen Anliegen durchsetzen. Kanzler Schüssel, der das Tabu einer Koalition mit den Rechtsradikalen gebrochen hatte, wurde deshalb als "Drachentöter" gefeiert.
Kaum wieder in der Opposition, gewannen die Rechtsparteien aber wieder kräftig hinzu und erreichten jetzt gemeinsam das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Die Parteispaltung brachte schwere persönliche Zerwürfnisse mit sich und hinterließ tiefe Narben. Jetzt aber trafen sich Strache und Haider und versicherten, sie könnten sich vorstellen, gemeinsam in eine Regierung einzutreten. Dass sich beide Kandidaten aber wieder so billig verkaufen würden wie 2000, gilt in Österreichs Hauptstadt als unwahrscheinlich. Vor allem Strache lässt keinen starken Willen zu einer Regierungsbeteiligung erkennen. Er kann hoffen, dass seine Partei bei der Wiener Landtagswahl im kommenden Jahr und erst recht nach einer weiteren Periode ungeliebter großer Koalition noch stärker abschneidet als bei diesen Parlamentswahlen.