KOALITION
Regierungsprojekte stoßen auf Widerstand. Bundeswehr-Einsatz im Innern schwierig
Vor dem heraufziehenden Gewitter der Weltfinanzkrise hat die Große Koalition Handlungsfähigkeit gezeigt. In einer Koalitionsrunde am 5. Oktober arbeiteten die Spitzen von Union und SPD eine ganze Palette von Tagesordnungspunkten ab, darunter sogar die jahrelang nicht geklärte Frage des Bundeswehr-Einsatzes im Innern, und holten beim Kindergeld das Füllhorn raus: Es gibt 10 Euro mehr pro Kind. Auch im Bundestag soll in dieser Woche aufs Tempo gedrückt und das Erbschaftsteuerreformgesetz und das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus abgestimmt werden. Bremsende Kräfte nehmen jedoch zu. Die Erbschaftsteuerreform wird schwierig, und gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern dürfte sich der Bundesrat querlegen.
Dabei wollte die Bundesregierung in schweren Zeiten in erster Linie Gutes tun. "Wir haben uns in allen Punkten geeinigt", sagte ein sichtlich zufriedener SPD-Fraktionschef Peter Struck nach der Sitzung der Koalitionsspitzen, obwohl mit der Erbschaftsteuer noch ein ganz wichtiger Punkt erst danach verhandelt wurde. Zwar nannte schon der scheidende CSU-Chef Erwin Huber den Gesetzentwurf von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der am 17. Oktober auf der Tagesordnung des Plenums steht, "nicht akzeptabel", aber den Wahlverlierer aus Bayern nahm man in Berlin nicht sonderlich ernst. Erst nachdem der designierte CSU-Chef Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer eine Abwehrfront aufbauten und Abgeordnete wie Johannes Singhammer ankündigten, die CSU werde "knallhart" bleiben, wurden weitere Verhandlungsrunden und Treffen angesetzt. Die CSU will vor allem verhindern, dass Mittelständler bei der Erbschaftsteuer unter die Räder kommen. Hauserben in Ballungsgebieten wie München sollen durch länderspezifische Regelungen davor geschützt werden, dass sie das geerbte Haus verkaufen müssen, um die Steuer zu be- zahlen.
Inzwischen macht die SPD Druck auf Kanzlerin Angela Merkel: Die Regierungschefin solle dafür sorgen, "dass die CSU zu allem steht, was diese Koalition sich noch vorgenommen hat", appellierte Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Ungemach droht der Koalition aber in einem ganz anderen Bereich. In der nächtlichen Koalitionssitzung hatten sich Union und FDP auch auf eine Grundgesetzänderung zum Einsatz der Bundeswehr im Innern verständigt. Artikel 35 des Grundgesetzes, der bisher nur Amtshilfe der Bundeswehr bei Katastrophen vorsieht, soll einen neuen Absatz 4 erhalten: "Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls polizeiliche Mittel nicht aus, kann die Bundesregierung den Einsatz von Streitkräften mit militärischen Mitteln anordnen." Gegenüber den Ländern soll die Bundesregierung sogar ein "Weisungsrecht" erhalten - ein rotes Tuch für überzeugte Föderalisten. Mit dem Kompromiss sucht die Koalition einen Ausweg aus dem Dilemma, das mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz entstanden war: Karlsruhe hatte den Einsatz militärischer Mittel, wie etwa den Abschuss eines Flugzeugs durch die Luftwaffe, im Inland verboten. Eine genaue Definition, was ein besonders schwerer Unglücksfall ist, gibt es noch nicht. Im Bundesrat drohen massive Probleme. In der Länderkammer wird die Große Koalition recht klein, wenn sie eine Grundgesetzänderung durchbringen will. Bei Abstimmungen gilt hier die Regel, dass sich Koalitionsregierungen der Stimme enthalten, wenn einer der Koalitionspartner eine abweichende Meinung hat. Beim Bundeswehr-Einsatz im Innern gibt es ein sehr einheitliches Meinungsbild der Parteien: Außer Union und SPD sind alle dagegen. Das heißt, alle Länder mit Regierungsbeteiligung von FDP, Grünen und Linkspartei stehen als Mehrheitsbeschaffer nicht zur Verfügung. Damit hat die Große Koalition 41 Länderstimmen von reinen Unions- oder SPD-Ländern und von den von einer Großen Koalition regierten Ländern (Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen). Das sind diese 41 Stimmen, was eine absoluteMehrheit bedeutet, aber die notwendige Zweidrittelmehrheit (46 von insgesamt 69 Stimmen) wird verfehlt.
Es könnte noch schlimmer für Merkel und Steinmeier kommen: Bayern schert nach der Koalitionsbildung ins neutrale Lager, was einen Verlust von sechs Stimmen bedeutet. Es bleiben 35 Stimmen, eine dünne absolute Mehrheit für die Große Koalition. Installiert sich in Hessen eine rot-grüne Minderheitsregierung, bleiben 31 Stimmen. Die Mehrheit ist weg.
Die Grundgesetzänderung dürfte sich schon erledigt haben. "Wir wollen keine Soldaten mit Polizeiaufgaben", erklärte NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP). Der Föderalismus werde auf den Kopf gestellt. Für Die Linke kündigte Vorstandsmitglied Ulrich Maurer "äußersten Widerstand" an. Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte, ihre Partei werde die Änderung auf keinen Fall mittragen.
Leichter wird es die Koalition mit den anderen Planungen haben, etwa der Erhöhung des Kindergeldes für das erste und zweite Kind um 10 Euro monatlich. Ab dem dritten Kind gibt es 16 Euro mehr. Der Beitrag für die Krankenversicherung wird auf 15,5 Prozent vereinheitlicht, der Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 0,5 Punkte auf 2,8 Prozent gesenkt.