ISLAM-UNTERRICHT
Muslimische Religionskunde ist an deutschen Schulen noch selten. Es fehlen Konzepte und Lehrer. Ein neues Schulbuch soll jetzt Abhilfe schaffen
Das neue Schulbuch trägt den Titel "Saphir". Das bedeutet Edelstein, und graphisch ist es auf jeden Fall ein Schmuckstück. In 15 Kapiteln informiert das Schulbuch aus dem Münchner Kösel-Verlag Kinder der Jahrgangsstufen fünf und sechs über grundlegende Themen des Islam wie Gott, den Propheten Mohammed und den Aufbau des Koran, aber auch die Verantwortung des Menschen in der Gesellschaft. Mit zahlreichen Bildern und Texten aus der Lebenswelt von heutigen Schülern befindet sich das Buch auf der Höhe der modernen Religionspädagogik.
Für die drei Herausgeber Lamya Kaddor, Rabeya Müller und Harry Harun Behr ist Saphir mehr als nur ein Schulbuch, das seit September in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Bayern, Bremen und Niedersachsen eingesetzt wird. Sie betrachten es auch als ein Signal an die Politik, endlich den Islam-unterricht dem christlichen Religionsunterricht an den Schulen gleichzustellen.
Es ist ein Schulbuch über den Islam "für eine gesellschaftliche Situation, die säkular und pluralistisch ist", betont Lamya Kaddor, Islam-Lehrerin an einer Hauptschule in Dinslaken und Mitarbeiterin des Centrums für Religiöse Studien an der Universität Münster. Für Kaddor ist "Saphir" "ein Meilenstein der islamischen Geschichte in Deutschland."
Kritische Suren, die beispielsweise zu Gewalt gegen Frauen oder "Ungläubige" aufrufen, werden zwar nicht direkt angesprochen. Doch für Harry Harun Behr, Professor am Interdisziplinären Zentrum für islamischen Religionsunterricht an der Universität Erlangen-Nürnberg, soll Islamunterricht an der Schule auch eine "kritische Distanz zum Eigenen" vermitteln. "Die Schüler bekommen ein Rüstzeug, um zu entscheiden: Was will ich? Da entscheidet dann nicht Allah und nicht die Familie" betont Behr. Die Kapitel über Juden und Christen in der Ausgabe für die siebte und achte Klasse werden vor dem Erscheinen von Fachkollegen dieser Konfessionen überprüft. Die Ausgaben für die Jahrgangsstufen sieben bis zehn sollen in den nächsten Jahren in den Handel kommen.
Das Grundgesetz (GG) sieht an öffentlichen Schulen Religion als ordentliches Lehrfach vor. Bisher scheiterte die Einführung eines Islam-Unterrichtes stets daran, dass es auf muslimischer Seite keine Institution gibt, die als Vertretung aller Gläubigen anerkannt ist. Die aber wäre nötig, denn das Fach soll laut GG "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft" angeboten werden. Daher wird Islam als ordentliches Schulfach in deutscher Sprache nur versuchsweise und in verschiedenen Ausprägungen angeboten.
Über die längste Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt Nordrhein-Westfalen, das seit 1999 Islamkunde unterrichtet, inzwischen an rund 140 Schulen für über 10.000 Schüler. Allerdings ist die Islamkunde kein Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes. Der Lehrplan für einen islamischen Bekenntnisunterricht wird erst noch in Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden erarbeitet. Über diesen Kurs herrscht Konsens in Nordrhein-Westfalen. So forderte der Fraktionsvize der FDP im Landtag, Christian Lindner, einen islamischen Bekenntnisunterricht mit Lehrern, die in Deutschland ausgebildet werden und einem Lehrplan, den die Schulbehörden mitbestimmen.
Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz veranstalten Schulversuche an Grund-, Haupt- und Realschulen. In Bayern drängten alle Fraktionen im Landtag bereits 2002 auf einen deutschsprachigen Islamunterricht. Seither gibt es Schulversuche in Erlangen, Bayreuth, Fürth, Nürnberg, seit diesem Schuljahr auch in München.
In Berlin bietet die Islamische Föderation an einigen öffentlichen Schulen Religionsunterricht an. Die Berliner Variante ist umstritten, weil die Kultusbürokratie des Landes keinen Einfluss auf die Inhalte des Lehrplans hat. Schleswig-Holstein erprobt seit 2007 "Islamkunde mit starken Bekenntnisanteilen". Bremen hat ein eigenes Konzept für Islamkunde entwickelt, das 2003 in der Hansestadt eingeführt wurde.
Im März 2008 forderte die Islamkonferenz unter der Leitung von Innenminister Wolfgang Schäuble die flächendeckende Einführung eines Islamunterrichts in deutscher Sprache. Bildungsexperten sind sich einig, dass ein Unterricht mit Lehrern, die an deutschen Hochschulen ausgebildet wurden, die Integration fördert. Bei den Koranschulen, die an Moscheen verortet sind, weiß dagegen niemand so recht, welche Inhalte sie vermitteln. In der Regel werden dort lediglich Koransuren rezitiert, ohne dass kritisches Nachdenken gefördert wird. Islamlehrer an staatlichen Schulen sollen dagegen einen gemäßigten, an die deutschen Verhältnisse angepaßten Islam lehren.
Doch genau diese Lehrer fehlen bisher. Lediglich die Universitäten Münster, Osnabrück und Erlangen bieten eigene Studiengänge zur Ausbildung islamischer Religionslehrer an. Bislang gibt es lediglich etwa 150 Lehrer (davon 80 in Nordrhein-Westfalen) für schätzungsweise rund 750.000 muslimische Schüler in Deutschland, es müßten mindestens zehnmal so viele sein. Bis genügend Lehrkräfte zur Verfügung stehen, kann es Pro- gnosen zufolge noch rund zehn Jahre dauern.