Die Rente war nah, der Camping-Bus gekauft, die Reise durch Europa geplant. Allein: Die politischen Stürme des Jahres 2005 verwehten die Zukunftsplanung des damaligen DGB-Landesvorsitzenden in Thüringen, Frank Spieth (Die Linke). Nachdem er den Vorsitz 2006 niedergelegt hatte, sollte er sich nicht, wie eigentlich geplant, nach 36 Jahren Gewerkschaftsarbeit in den Ruhestand verabschieden. Spieth ließ sich von der thüringischen PDS zu etwas anderem hinreißen: einer Kandidatur für den Bundestag.
Sie war für ihn die willkommene, wenn auch niemals erwartete Gelegenheit, seinem Groll über die SPD-geführte rot-grüne Koalition und ihren, so Spieth, "sozialpolitischen Schweinereien" Luft zu machen. Hatte sich bisher aller Unmut lediglich in lauten Demonstrationen erschöpft, so sollte er nun durch ein Mandat konstruktiv kanalisiert werden. Bei Spieth klingt das so: "Nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen" - und Alternativen aufzeigen gegen die Politik der "Kapital-Fraktionen" im Bundestag, wie Spieth die politischen Gegner nennt. Und so zog der Gewerkschafter Spieth in den Wahlkampf. Auch gegen jene Partei, der er seit den späten 1960er-Jahren angehört und die er im Geburtsjahr der "Agenda 2010" empört verlassen hatte: Die SPD, seit Generationen Hort der linken Tradition seiner Familie - sie war ihm fremd geworden.
Es war ein ursozialdemokratisches Milieu, in das Spieth 1947 im hessischen Wetzlar hineingeboren wurde. Vater und Großvater waren schon in SPD und Gewerkschaften organisiert, der junge Spieth entschloss sich 1966 dazu. Nicht nur aus Tradition, sondern auch aus Faszination: Willy Brandts neuer außenpolitischer Ansatz, seine Parole "Mehr Demokratie wagen" begeisterten ihn. Auch in ihm brodelte es schon am Vorabend von ?68. "Wir wollten den Muff jener Zeit überwinden", erinnert er sich, "die Politik war größtenteils von Personen geprägt, die ihren Weg im Nationalsozialismus realisiert hatten."
1967, im letzten Jahr seiner Ausbildung zum technischen Zeichner, trat Spieth der IG Metall bei. Seine spätere Lebensaufgabe nahm Konturen an: das gewerkschaftliche Engagement. Zunächst nur im eigenen Betrieb, wo er sich um die Rechte der Auszubildenden kümmerte, dann seit 1972 hauptberuflich als Organisationssekretär des DGB im Kreis Fulda und wenig später als Kreisvorsitzender im Kreis Vogelsberg. Nach der Wende schließlich wurde er 1992 DGB-Landesvorsitzender in Thüringen.
Die Bundestagswahl vor Augen wirkte Spieth 1997, damals noch engagierter Sozialdemokrat, an der Ausarbeitung der Erfurter Erklärung mit, für ihn "ein eindringliches Plädoyer für eine andere, sozialere Politik". Der Sozialstaat, sagt er, sei "unter der konservativ-liberalen Herrschaft mit ihrer Politik des radikalen Sozialabbaus zunehmend angegriffen" worden. Doch als dann mit Schröder endlich eine sozialdemokratisch geführte Regierung ihre Arbeit aufnahm, habe er seinen Augen nicht getraut. Die Riester-Rente - für ihn "sozialpolitisch unverantwortlich"; der Bundeswehreinsatz auf dem Balkan - Beteiligung an einem "völkerrechtswidrigen Krieg"; das Schröder-Blair-Papier - "der Abschied vom eigenen Wahlprogramm". Da habe er sich gefragt: Ist das sozialdemokratische Politik? Bin ich noch in der richtigen Partei? Seine Antwort darauf fand Frank Spieth kurz nach der Verkündung der "Agenda 2010": "Nein", hat er sich gesagt und sein SPD-Parteibuch zurückgegeben.
Seit 2005 ist Spieth nun gesundheitspolitischer Sprecher der Linkspartei und Obmann seiner Fraktion im Gesundheitsausschuss. Neben seiner parlamentarischen Arbeit ist er Verwaltungsratsvorsitzender der AOK Thüringen. Spieth ficht heute für eine solidarische Bürgerversicherung und einen flächendeckenden Mindestlohn. Für die Rücknahme der "Hartz"-Gesetze und der Rente mit 67 ist er - wie es das Selbstverständnis seiner Partei geradezu gebietet - ohnehin. Als kompromissloser Beton-Linker wird Spieth gleichwohl nicht gesehen. Vielmehr gilt er, auch bei Gesundheitspolitikern anderer Fraktionen, als konstruktiver und kenntnisreicher Fachmann. Keine Frage: Der Gewerkschafter ist in Spieth noch lebendig.