IRAK-KRieg
Bob Drogin über Biowaffen, Geheimdienste - und einen Schwindler
Ende Januar 2003 übermittelte Lewis "Scooter" Libby, Stabschef von US-Vizepräsident Dick Cheney, Außenminister Colin Powell ein 48 Seiten langes, einzeilig beschriebenes Rede-Manuskript. Der Vier-Sterne-General a.D. sollte den Vortrag am 5. Februar vor dem UN-Sicherheitsrat halten, um die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die USA zu Recht einen Krieg gegen den Irak führen wollen. Der Text wimmelte von demagogischen Vorwürfen gegen das Regime Saddam Husseins und gipfelte in der Feststellung, der Irak bedrohe die Vereinigten Staaten und den Weltfrieden. Vizepräsident Cheney drängte den Außenminister, die Rede in voller Länge zu halten, auch wenn dies fünf Stunden dauern sollte. Notfalls könne er den Vortrag über mehrere Tage verteilen. Powell lehnte ab. Aber nicht die Länge der Rede sollte sich als verhängnisvoll erweisen, sondern ihr Inhalt.
Dem amerikanischen Chefdiplomaten missfiel, dass die CIA den Text nicht überprüft hatte. Als Erstes löschte er sämtliche Passagen aus dem Entwurf, die eine Zusammenarbeit Saddam Husseins mit dem Terrornetzwerk Al-Qaida und eine Beteiligung der Iraker an den Anschlägen vom 11. September 2001 unterstellten. Diese Behauptungen hatte niemand verifiziert und zeugten von "reinem Wunschdenken", meinte Powell. Als Nächstes strich er die Passagen, wonach der Irak versucht habe, in Afrika beträchtliche Mengen Uran zu kaufen. Dies hatte Präsident George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation versichert, ohne Belege dafür zu haben. Da es keine Beweise für ein irakisches Atomwaffenprojekt gab, löschte Powell auch diesen Passus.
Kurzum: Der Ex-Soldat weigerte sich, vor der Weltöffentlichkeit haltlose Anschuldigungen gegen den Irak zu wiederholen, die ihm "Cheneys Leute" glaubten, auftischen zu können: "Ich wusste, was auf dem Spiel stand, und ich wusste, dass die Welt aufmerksam zusah."
Einzig "zuverlässig" schien Powell der CIA-Bericht über Biowaffenfabriken und rollende Biowaffenlabors zu sein. Deshalb baute der US-Außenminister darauf seine Anklage gegen den Irak vor dem UN-Sicherheitsrat auf. "Sämtliche Analytiker und die gesamte CIA-Führung standen dazu", betonte er. Ausschlaggebend war für Powell die Tatsache, dass diese Informationen aus Deutschland stammten, dessen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder sich unmissverständlich gegen den Irak-Krieg und eine deutsche Beteiligung daran aussprach. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hatte den USA seine Erkenntnisse über das irakische Biowaffen-Projekt in fast 100 schriftlichen Berichten übermittelt.
Ein labiler irakischer Ingenieur, dem die CIA den Codenamen "Curveball" gab, hatte dem BND schon 1999 von Bagdads angeblichen Biowaffen erzählt. Niemand - weder das Weiße Haus noch CIA-Chef George Tenet - wies den amerikanischen Außenminister darauf hin, dass die brisanten Informationen über die Biowaffen nur aus dieser einzigen Quelle stammten. Keiner teilte Powell mit, dass der BND am Ende selbst diese Aussagen anzweifelte und dass der BND-Resident in Washington "Curveball" als "Schwindler" bezeichnete. Erst 14 Monate nach der Invasion in den Irak erfuhr der US-Außenminister, dass seine Argumentation vor dem UN-Sicherheitsrat auf falschen Informationen beruhte. Rückblickend bezeichnete er seinen Auftritt deshalb als "Schandfleck" auf seiner Karriere als Soldat und Politiker. Der international hoch angesehene Außenminister war einer Täuschungskampagne der Neo-Konservativen im Weißen Haus zum Opfer gefallen, deren einziges Ziel darin bestand, um jeden Preis einen Krieg gegen den Irak anzetteln zu können. Letztlich hätte Präsident Bush wohl auch ohne Saddams angebliche Biowaffe den Angriffsbefehl gegeben. Das behaupten zumindest Kenner der Materie. "Das Weiße Haus glaubte, was es glauben wollte", versicherte der ehemalige CIA-Abteilungsleiter für Europa, Tyler Drumheller. In seinem Insider-Bericht "Wie das Weiße Haus die Welt belügt" (Diederichs Verlag, 2007) kritisierte er die Bush-Administration und entlastete Deutschland dabei von dem Vorwurf, bei der Suche nach Kriegsgründen das Weiße Haus unterstützt zu haben. Drumheller berichtet, er habe seine Vorgesetzten wiederholt von seinen Zweifeln an "Curveballs" Geschichte in Kenntnis gesetzt. Gleichwohl habe er weder bei CIA-Chef Tenet noch der damaligen Nationalen Sicherheitsberaterin, Condoleezza Rice, Gehör gefunden. Auch wenn der CIA-Insider Drumheller ein bemerkenswertes Buch veröffentlicht hat, letztlich handelt es sich doch um eine Selbstverteidigungsschrift gegen den Vorwurf, er habe seine Regierung falsch informiert. Für die Bush-Administration wollte der Autor nicht den Sündenbock spielen.
Eine viel überzeugendere und umfassendere Studie über "Curveball" hat jetzt Bob Drogin, Journalist bei der "Los Angeles Times" und Pulitzer-Preisträger, vorgelegt. Der Geheimdienstexperte beschäftigt sich mit Fragen der Nationalen Sicherheit und verfügt über ausgezeichnete Kontakte in der Szene. Der investigative Autor geht an die Wurzel der schicksalhaften Lügengeschichte im Vorfeld des Irak-Krieges und beschäftigt sich auch intensiv mit den Personen, die aus Deutschland ihren Teil dazu beitrugen.
Um es vorwegzusagen: Drogin rechnet mit keinem der in seinem Buch erwähnten Akteure oder Institutionen ab, handele es sich nun um den BND, die CIA, das Bundeskanzleramt oder das Weiße Haus. Stattdessen erzählt er sachlich eine sensationelle Geschichte über die Arroganz und Dummheit der deutschen und amerikanischen Geheimdienste, über deren mangelnde Professionalität und grobe Verantwortungslosigkeit. Zu den wenigen positiven Personen in seinem Buch gehört der damalige Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, ein "gesetzestreuer Polizist", der es der CIA nicht erlaubt habe, in Deutschland frei zu operieren.
Der Journalist beobachtet fasziniert, wie ein depressiver Flüchtling aus dem Irak die beiden Geheimdienste BND und CIA täuschen konnte, um in Deutschland Asyl zu bekommen. Dabei herausgekommen ist eine hollywoodreife Story mit interessanten Details über die Tätigkeit der US-Geheimdienste in Deutschland, ihre Verhörtechniken und die Mechanismen der internationalen Politik auf höchster Ebene. Letztlich geht es dabei um die dunkle Seite der Realpolitik der größten und mächtigsten Demokratie der Welt.
Interessant sind auch die Berichte der US-Inspekteure im Irak, die keine gefährlichen Substanzen entdeckten. Ihre Aussage: "Solche Waffen hat es nie gegeben", wurde von Washington nicht nur einfach ignoriert. Um wiedergewählt zu werden, sprach Präsident Bush während des Wahlkampfes 2004 wiederholt von Beweisen für ABC-Waffen, die man im Irak gefunden habe. Zuvor hatte der US-Sonderbeauftragte für irakische Massenvernichtungswaffen, David Key, dem Präsidenten persönlich versichert, dass sie nicht existieren.
Codename Curveball. Wie ein Informant des BND den Irak-Krieg auslöste.
Econ Verlag, Berlin 2008; 431 S., 22,90 ¤