Nikolaus Blome
Der Journalist hält nichts von Politikerverdrossenheit. Korrupt, faul, machtbesessen? Das sind Vorurteile, die er widerlegen will
Herr Blome, haben Sie ein schlechtes Gewissen gegenüber unseren Politikern?
Nein, habe ich nicht. Ich habe auch nicht das Gefühl, einem einzelnen Politiker etwas zu schulden oder dass ich etwas gutzumachen hätte. Die Idee für mein Buch entstand aus einer Frage, die sich Journalisten immer wieder stellen sollten: Ist es eigentlich richtig, was die Mehrheit denkt?
Immerhin schreiben Sie aber als Parlamentskorrespondent der "Bild" für eine Zeitung, die sich gerne auch mal lautstark über die faulen Politiker moniert…
"Bild" schreibt nicht über "die" faulen Politiker, sondern wenn, dann über einzelne, mit Namen genannte, faule Politiker. Ein Beispiel, über das wir ausführlich berichtet haben, war "Deutschlands faulster Politiker", wie die Schlagzeile lautete. Der betreffende Bundestagsabgeordnete ist von seinem Fraktionsvorstand gerügt worden wegen mangelnder Präsenz in Berlin und in seinem Heimatwahlkreis ebenso. Diese Geschichte haben wir minutiös recherchiert und- Sie sagen "lautstark" - groß gebracht. Aber wenn mancher Leser einen solchen Einzelfall verallgemeinert, dann sind nicht wir daran schuld.
Die Schlagzeile "Deutschlands faulster Politiker" drängt aber doch den Verdacht auf, dass es noch mehr faule Politiker gibt…
Natürlich gibt es Politiker, die faul sind. Aber der ganzen Berufsgruppe kann man dies deshalb beim besten Willen nicht vorwerfen. Was immer dabei herauskommt -Politiker arbeiten hart.
Sie haben gut zwei Dutzend der gängigen Vorurteile über Politiker zusammengetragen und widerlegen diese. Wo liegen denn die Ursachen für diesen schlechten Ruf?
Das liegt zum großen Teil an denen, die urteilen - am breiten Publikum. Es liegt an den Bürgern, die sich viele Widersprüchlichkeiten leisten beim Beurteilen ihrer Volksvertreter und sie nicht mit den gleichen Maßstäben messen, die sie an ihr eigenes Verhalten anlegen. Es liegt auch an Einzelfällen, wo Politiker der Vorbildfunktion, die sie haben, nicht gerecht werden. Aber die Bürger sollten sich die Frage stellen, ob solche Einzelfälle wirklich repräsentativ sind. Das bestreite ich energisch.
Und die Medien? Gibt der Tenor der Berichterstattung der breiten Öffentlichkeit denn nicht das schlechte Politikerimage vor?
Die Frage ist berechtigt, aber ich glaube nicht, dass dem so ist. Die Medien haben nicht diesen maßgeblichen Anteil am Entstehen und Verfestigen von Vorurteilen. Kommen wir noch einmal zurück auf das Beispiel mit dem "faulsten Politiker Deutschlands". Sie können doch nicht im Ernst verlangen, dass ein solcher Fall verschwiegen wird. Dann hätte die Presse eklatant versagt. Das Risiko, dass sich Menschen aus Einzelfällen ein falsches Gesamturteil bilden, darf nicht zur Folge haben, dass die Presse aufhört, über grobe Verfehlungen zu berichten. Man sollte nicht den Boten köpfen, nur weil er schlechte Nachricht bringt.
Sie verweisen auf mehrere Bücher, die im vergangenen Jahr erschienen sind, in denen Journalisten sich sehr kritisch mit der eigenen Arbeit auseinandergesetzt haben. Sie bezeichnen diese Bücher als eine an "Masochismus grenzende (Selbst-)Bezichtigungsliteratur". War es denn nicht an der Zeit, dass sich die Medien kritisch hinterfragen?
Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Medien kritisch hinterfragen. Und ich halte diese Bücher auch nicht für überflüssig. Eine Zunft, die eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Gefüge spielt, muss sich fragen, ob die eigenen Spielregeln noch die richtigen sind.
Aber?
Aber ich teile viele Thesen nicht, die diesen Büchern als Grundlage dienten. Ich halte zum Beispiel die kritisierte Nähe zwischen Journalisten und Politikern nicht für falsch, sondern für richtig. Natürlich nicht im Sinne einer gegenseitigen willfährigen Beeinflussung. Aber wie sollen der "Spiegel", die "FAZ" oder die "Bild" denn an die wirklich relevanten Geschichten herankommen, wenn sie nicht sehr nahe an die relevanten Akteure herangehen. Im System Medien-Politik ist Nähe unausweichlich. Gute Journalisten wissen, wo die Grenze ist. Gute Politiker übrigens auch.
Sehen Sie nicht die Tendenz, den persönlichen Verfehlungen von Politikern den Vorzug vor den Sachthemen zu geben?
Ja, diese Tendenz gibt es. Und das ist gut so. Warum? Glaubwürdigkeit wird in der Politik immer mehr zum entscheidenden Kriterium. Die Sachthemen werden immer komplexer und komplizierter, und die Bürger investieren laut Umfragen immer weniger Zeit, sich über diese Themen zu informieren. Aber über die Frage, wer glaubwürdig ist als Politiker, darüber glauben die Menschen sehr wohl, urteilen zu können. Und zur Glaubwürdigkeit gehört die Vorbildfunktion - einschließlich des privaten Lebenswandels. Nicht jeder Politiker, der eine Hartz-IV-Erhöhung fordert, muss selbst Hartz-IV beziehen, um glaubwürdig zu sein. Aber Horst Seehofer hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn er zum Zwecke der politischen Selbstdarstellung mit seinem Familienleben in den Medien hausieren geht und gleichzeitig seine Freundin in Berlin schwängert.
Sie zitieren Franz Müntefering mit dem Satz: "Die Verdrossenen sind an ihrer Verdrossenheit selbst mehr schuld als die Politik." Sie fügen hinzu, dass er diesen Satz erst nach seinem Rückzug aus der vordersten Reihe der Politik äußerte. Nun kehrt er zurück. Wird er denn den Mut haben, den Satz so zu wiederholen?
Das hat er schon. Zuletzt, als er mein Buch in Berlin vorgestellt hat. Und in einem schönen Text in der "Zeit" hat er durchdekliniert, dass es ein Wahrnehmungsproblem bei den Bürgern gibt. Dass sie ein enormes Maß an Verachtung und gleichzeitig ein enormes Maß an Idealisierung in die Politik projezieren. Eine solche Haltung kann nur Verdruss und Vorurteile produzieren.
Welches unter den kursierenden Vorurteilen ist denn das unfairste?
Es gibt drei Gruppen von Vorurteilen. Unfaire, unwahre und unsinnige. Unwahr ist, dass Politiker faul sind. Das kann man nachweisen, sie arbeiten rund 80 Stunden in der Woche. Ob dabei immer etwas Segensreiches herauskommt, ist eine andere Frage. Unsinnig ist der Vorwurf, sie streben alle nur nach Macht. Ja, nach was denn sonst? Wer in der Opposition bleibt, tut seinen Wählern keinen Gefallen. Schließlich wird er gewählt, um seine Positionen auch durchzusetzen. Und unfair ist es, von einem Politiker etwas zu verlangen, was nach menschlichem Ermessen nicht zu leisten ist. Zum Beispiel die Forderung, immer Klartext zu reden. Immer Klartext reden können sie nicht, wenn das Publikum gleichzeitig Selbstkontrolle fordert. Sie haben ja gesehen, wie Kurt Beck an zwei, drei unbedachten Äußerungen gescheitert ist, und die Kommentatoren schrieben, in dieser Situation hätte er sich doch unter Kontrolle haben müssen. Im übrigen bezweifele ich ein wenig, dass die Menschen jeden Tag wirklich Klartext, die Wahrheit hören wollen.
Welches Vorurteil müssen sich Politiker denn am ehesten selbst zuschreiben?
Ich will es nicht an einem einzelnen Vorurteil festmachen. Aber Politiker werfen sich gerne gegenseitig Dinge vor, die letztlich nichts anderes sind als ein Vorurteil. Sie beschuldigen sich beispielsweise gegenseitig der Verschwendung von Geldern, meinen damit aber lediglich, dass das Geld ihrer Meinung nach falsch eingesetzt wird. Transportiert wird aber unter dem Strich nur das Vorurteil der Verschwendung. Damit beschädigt sich die politische Klasse selbst.
Und was fordern Sie von den Wählern?
Ein bisschen mehr Fairness, Gelassenheit und die Bereitschaft, die zu einfachen Urteile in Frage zu stellen, zu prüfen, ob das Urteil nicht doch bloß ein Vorurteil ist. Das bisschen Mühe sollte einem unsere Demokratie schon wert sein.
Das Interview führte Alexander Weinlein
Faul, korrupt und machtbesessen? Warum Politiker besser sind als ihr Ruf.
wjs Verlag, Berlin 2008; 160 S., 16 ¤