ScientologY
Die Journalisten Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck haben sich an die Versen der Organisation geheftet und eine umfangreiche Anklageschrift gegen die »totalitäre Psycho-Sekte« vorgelegt
Wirklich gemütlich war es in Deutschland für Scientology nie. Seit die Organisation, die sich selbst als Kirche bezeichnet, in den 1970er-Jahren begann, auch in Deutschland Niederlassungen aufzubauen, schlägt ihr hierzulande Misstrauen und Kritik entgegen. Doch in den vergangenen Monaten haben sich die Angriffe verändert: Nachdem die Internet-Bewegung "Anonymus" erklärte, es sei ihr Ziel, Scientology "zu zerschlagen", kam es mehrfach zu Attacken auf die Scientology-Homepage und weltweite gehen die Gegner der Sekte verstärkt auf die Straße. Nicht selten sind sie maskiert - mit Guy-Fawkes-Masken, die aus dem Film "V wie Vendetta" stammen, in dem ein einsamer Held gegen ein totalitäres Regime kämpft. Und auch in der "Kriegserklärung" an Scientology, die "Anonymus" im Internet veröffentlichte, schwingt ein Pathos mit, das an Hollywood erinnert: "Wissen ist frei. Wir sind Anonymus. Wir sind die Legion. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht."
Die Auseinandersetzung entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Immerhin tritt "Anonymus" gegen eine Organisation an, die von einem ehemaligen Science-Fiction-Autor gegründet wurde und zu deren Glaubensgrundsätzen es gehört, dass ein galaktischer Herrscher namens Xenu vor Millionen von Jahren das Problem der Überbevölkerung auf den Planeten damit löste, dass er Millionen von Menschen unter Drogen setzte, auf die Erde brachte und sie dort mit Wasserstoffbomben vernichtete. Übrig blieben ihre entkörperten Seelen - die "Thetane". Das Ziel der Scientologen ist es, deren ursprüngliche Fähigkeiten zu erlangen - und "clear", rein, zu werden.
Oberflächlich betrachtet, mutet dies wie die Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe hysterischer Internetfreaks und äußerst fantasiebegabten Science-Fiction-Jüngern an. Doch das ist zu kurz gegriffen. Weltweit mahnen Kritiker der Sekte, dass es sich bei Scientology um mehr handelt als eine kleine Gruppe spinnerter Hubbard-Fans - sie halten die Organisation zu Recht für gefährlich. Zu ihnen gehören auch Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck.
Die beiden Journalisten recherchieren schon seit Jahren über so genannte Psycho-Sekten und haben sich dabei insbesondere auf Scientology konzentriert. Vor 15 Jahren veröffentlichten sie ihren Report "Der Sekten-Konzern", 1997 folgte der Band "Psycho-Sekten". In diesem Jahr legten sie nochmals nach: In "Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will" präsentieren Nordhausen und von Billerbeck auf insgesamt 616 Seiten ihre Einschätzung der Organisation. Und die ist verheerend: Scientology sei eine "totalitäre Psycho-Sekte" mit "eigenem Geheimdienst, Umerziehungslagern und mafiaartigen Methoden", die einen "Krieg gegen Europa" führe.
Das Autorenduo hat gründlich recherchiert, um die Gefährlichkeit von Scientology zu belegen: mit Zitaten aus internen Dokumenten der Organisation, Interviews mit Kritikern und ehemaligen Mitgliedern von Scientology, mit Auswertungen von Filmaufnahmen, Gerichtsakten und parlamentarischen Untersuchungsberichten. Herausgekommen ist eine Anklageschrift gegen den "Psycho-Konzern" - die den Leser leider allzu oft überfordert und letztlich an den eigenen Ambitionen scheitert.
Das liegt größtenteils an der Struktur des Buches. Auf fast 70 Seiten setzen sich Nordhausen und Billerbeck allein mit dem "Scientology-Star" Tom Cruise auseinander, der weltweit wie kein Zweiter zum Gesicht der Organisation wurde. Um zu zeigen, wie groß der Einfluss von Scientology in Hollywood mitlerweile ist und welche Rolle Cruise dabei spielt, werden "Bild" und "Morgenpost" ebenso zitiert wie der britische Klatsch-Autor Andrew Morton. Selbst die tausendfach kolportierte Geschichte, die Cruise-Ehefrau Katie Holmes habe die gemeinsame Tochter schweigend gebären müssen, darf nicht fehlen.
Es ist schlicht ärgerlich, dass Autoren derartige "Beweise" heranziehen, wenn sie die Gefährlichkeit von Scientology belegen wollen. Denn das eigentlich Problematische an Scientology ist nicht, dass sei sie einen durchgedrehten Schauspieler Wunderliches via "Youtube" verkünden lässt, sondern dass ihre Ideologie menschenverachtend und extremistisch ist. Das und nicht die Tatsache, dass Tom Cruise öffentlich den Gebrauch von Psychopharmaka einer an Wochenbettdepressionen leidenden Schauspielerkollegin angegriffen hat, ist auch der Grund dafür, warum Scientology bereits seit 1997 in Deutschland durch verschiedene Verfassungsschutzämter der Länder beobachtet wird.
Erst im Februar 2008 urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster, dass Scientology künftig auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet werden darf, weil es klare Hinweise auf "verfassungsschutzfeindliche Bestrebungen" gebe und die Scientology eine Gesellschaftsordnung anstrebe, mit der zentrale Verfassungswerte wie die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft gesetzt oder wenigstens eingeschränkt würden. Das bayerische Innenministerium bescheinigt der Organisation, eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" zu sein, das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg hält sie für eine "finanziell sehr schlagkräftige Organisation" mit einer starken "paramilitärisch organisierten" Unterorganisation. Bereits 2004 hat der Politikwissenschaftler Stefan Braun belegt, dass es sich bei Scientology klar um eine "extremistische Religion" handelt, die Mitglieder bei Verfehlungen in Lagern mit "weitreichenden Schikanen, körperlicher Züchtigung und Unterweisungen" diszipliniere und deren Gründer Ron Hubbard ein Gesellschaftssystem angestrebt habe, das "Wesensmerkmale eines autoritären Regimes in sich vereinigt".
Es ist nicht so, dass Nordhausen und von Billerbeck diese Informationen nicht liefern - aber sie sind verschüttet in einem Sammelsurium von wichtigen und vernachlässigenswerten Details, die unstrukturiert angehäuft werden. Das macht es nahezu unmöglich, sich ein klares Bild von Scientology mit ihren Strukturen, Grundsätzen und Aktivitäten zu machen. Erschwerend hinzu kommt eine allzu metaphernlastige und dramatisierende Sprache: Von der "dunklen Seite der Macht" und dem "Scientology-Krieg" ist da ebenso die Rede wie von "Träumen von der Machtergreifung" und dem "Kampfplatz Frankreich". All das vernebelt den Blick auf die Fakten: Auch wenn die Organisation öffentlich behauptet, über rund zehn Millionen Mitglieder zu verfügen, schätzen die deutschen Behörden, dass es weltweit nicht mehr als 100.000 bis 150.000 Scientologen gibt. In Deutschland seien es rund 8.000.
In ihrem engagierten Versuch, Scientology zu entlarven und dafür so viele Beweise wie möglich zu sammeln, haben die Autoren sich übernommen. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen.
Frank Nordhausen, Liane von Billerbeck Scientology. Wie der Sekten-konzern die Welt erobern will.
Ch. Links Verlag, Berlin 2008; 616 S., 19,90 ¤