Belletristik
Klaus Modick erzählt einen Campus-Roman als Polit-Thriller
Moritz Carlsen ist Schriftsteller. Er hat eine Schreibblockade, hofft, seine "Gedankenfluchten" zu bündeln, ist chronisch knapp bei Kasse und befände sich in einer Lebenskrise, wenn, ja wenn nicht dieser Anruf ihn eines Tages erreicht hätte. Johannes Schöffe, ein Freund aus Studientagen in Hamburg lädt ihn ein, nach Amerika zu kommen. Und sogar noch besser: Carlsen soll für zwei Semester "Writer in residence" sein, als solcher kreatives Schreiben und literarisches Übersetzen unterrichten, und zwar am Centerville College in Vermont, wo Schöffe mittlerweile Professor für Germanistik ist. Das passt Carlsen dann doch sehr gut, und so könnte ein jovialer Campus-Roman seinen Lauf nehmen. Tut er auch, nur dass sein Autor Klaus Modick seinem alter ego Moritz Carlsen in eine spannende, geheimnisvolle, politisch brisante Affäre laufen lässt.
"Jovial" - gerade dieses Wort hat es Modick angetan, denn unablässig lächeln die Menschen, denen Carlsen begegnet, klopfen ihm auf die Schulter, nicken ihm zu. Das fängt bei den Berliner Polizisten an, die die amerikanische Botschaft bewachen, in denen Carlsen sich mit allerlei Hindernissen ein Visum besorgen muss, und hört beim Einreise-Check-in der Vereinigten Staaten noch lange nicht auf. "Jovial" verweist dabei auf eine vielleicht durchaus ernst gemeinte, aber in der Regel auch oberflächliche, vordergründige Freundlichkeit, eine sonnige Fröhlichkeit, die unverbindlich ist und die schlagartig ins Gegenteil umschlagen kann: amerikanische Mentalität.
Modick hat daher, wie sich zeigt, auch einen Roman über die Widrigkeiten und Absurditäten des amerikanischen Bürokratismus und Sicherheitswahnsinns geschrieben, was allerdings erst einmal Staffage, erzählerisches Beiwerk ist, um die Stimmung, die Carlsen in Vermont erfährt, zu zieren. Der Irak-Krieg ist selbstverständlich auf dem Campus präsent, jedoch beschäftigen Carlsen vielmehr die nicht unattraktiven Studentinnen in seinen Seminaren. Handelt es sich also wirklich nur um die dann in der Tat joviale Geschichte zwischen alterndem Schriftsteller und junger, ihn anhimmelnder Frau? Geht es um die Soziologie des akademischen Lebens in der amerikanischen Provinz?
Modicks Texte leben vielmehr von einem zugleich realitätskonformen, hintergründigen, klugen und ‚flotten' Erzählvermögen. Im vorliegenden Roman "Die Schatten der Ideen", der an Modicks Buch "Zuckmayers Schatten. Vermonter Journal" (2004) anknüpft und dessen realen Gehalt fiktiv verarbeitet, wird denn auch mit der Spannung zwischen präziser Beobachtung des profan Alltäglichen in Politik und Gesellschaft und der sich daran aufreibenden Vergangenheit gespielt.
So findet Carlsen im Gasthaus seines Colleges unvermutet Schreibkladden, Aktenordner und Briefe. Sie bergen eine durchaus dunkle Geschichte, gewähren Einblick in das Leben und Schicksal eines aus Deutschland 1935 emigrierten Historikers, der in den Mühlen der McCarthy-Ära regelrecht zermalmt wird. Carlsen ist diesem Fall auf der Spur, der in der Erzählgegenwart vertuscht werden soll, so dass der Roman schließlich zum Polit-Thriller avanciert,
Worum es Modick allerdings eigentlich geht, ist die Funktionsweise und Antriebskraft von Literatur. Der gesamte Plot, der Gastaufenthalt am College, die verstaubten Aufzeichnungen, all das erscheint letztendlich als jener "Ideentreibstoff", als "spirituelle Energie", die eine magische Gedächtnismaschine, die irgendwann Thema wird, in Aussicht stellt und die die Titel gebenden "Schatten der Ideen" benennt. Modicks Buch lädt somit ein, über Erinnerung als Motor des Schreibens zu sinnieren. Das ist aktuell, vielschichtig und setzt sich überaus genau mit sozialen Phänomenen, politischen Folgen und literarischen Formen auseinander - in tatsächlich jovialer Art und Weise.
Die Schatten der Ideen. Roman.
Eichborn Verlag, Berlin 2008; 456 S., 19,95 ¤