Kuba
Der ehemalige Botschafter Bernd Wulffen analysiert die Lage auf der Karibikinsel und Raúl Castro
Ob das sozialistische System Kubas den Tod Fidel Castros überlebt, ist seit Jahren eine vieldiskutierte und immer noch offene Frage. Jedenfalls hat sein Abtreten von der offiziellen Bühne nicht zum Zusammenbruch des Regimes geführt. Vielmehr wurde im Februar 2008 sein Bruder Raúl Castro neuer Vorsitzender des Staatsrates und Oberkommandierender der Streitkräfte. Mit dieser neuen Phase kubanischer Politik und dem weitgehend unbekannten Hauptakteur Raúl Castro setzt sich Bernd Wulffen auseinander.
Wulffen, deutscher Botschafter in Havanna zwischen 2001 und 2005, hatte bereits in einer früheren Veröffentlichung (Eiszeit in den Tropen, Ch. Links Verlag 2006) über seine Erfahrungen aus jener Zeit berichtet, als nach dem Protest der europäischen Staaten gegen die Verurteilung von 75 Oppositionellen seitens Kuba zwar die diplomatischen Beziehungen nicht offiziell abgebrochen, aber "eingefroren" wurden.
Wulffen räumt ein, dass noch keineswegs klar erkennbar ist, ob es sich bei der aktuellen Entwicklung um einen wirklichen Umbruch handelt und wohin der neue Weg letztlich führt. Dennoch hält er ein Fragezeichen hinter dem Buchtitel "Kuba im Umbruch" nicht für erforderlich, da sich die Karibikinsel in einer Phase des "Erwachen aus der Erstarrung" befinde und Ansätze eines beginnenden Transformationsprozesses beobachtbar seien.
Der Ex-Diplomat versucht eine biografische Annäherung an Raúl Castro, der auch vielen Kubanern Rätsel aufgibt. Gezeichnet wird das Bild eines durch absolute Loyalität zum älteren Bruder geprägten, früher auf Moskau-Linie befindlichen Hardliners, der es erfolgreich verstanden hat, sich in Partei und Militär eine eigene Machtbasis zu schaffen.
Wulffen analysiert die Bereiche Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik, teils verbunden mit einer historischen Einbettung und einer Fülle von statistischen Angaben. Die Mehrheit der Bevölkerung lebe am Existenzminimum, die Schattenwirtschaft blühe, die einzig funktionierenden Betriebe seien die rund 200 Unternehmen der Streitkräfte-Holding, die als Ersatz für den Privatsektor anzusehen seien. Mehr Privatinitiative wäre jedoch eine Grundbedingung für sozio-ökonomische Verbesserungen.
Im innenpolitischen Kapitel legt Wulffen das aktuelle Personaltableau der kubanischen Führung dar. Interessant ist der Überblick über die verschiedenen Oppositionsströmungen, die allerdings weder über einen gemeinsamen Nenner noch eine einigende Führungspersönlichkeit verfügten. Der "unsichtbaren", systemimmanenten Opposition traut Wulffen bei anhaltender Politik eines "reinen Machtkonservatismus" zwar einen Putsch gegen Raúl Castro zu. Allerdings falle es schwer, den tatsächlichen Einfluss dieser Kräfte zu gewichten.
Das außenpolitische Kapitel ist geprägt von einem historischen Rückblick auf die Moskauorientierung Kubas, die Spannungen mit den USA, die Rolle Kubas in der Bewegung der Blockfreien sowie den langjährigen Revolutionsexport in lateinamerikanische und afrikanische Länder. Von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung Kubas sei die Frage einer möglichen Neuordnung der Beziehungen zu den USA. Es bleibe abzuwarten, ob - erleichtert durch einen Regierungswechsel in den USA - auf beiden Seiten ein entideologisierter Kurs eingeschlagen werde.
Wulffen spart kein kritisches Thema aus, nennt Missstände beim Namen, sei es die Erstarrung des politischen Systems, die ineffiziente und vor Korruption nicht gefeite Bürokratie oder die Verletzung der Menschenrechte. Er legt den Finger selbst in Wunden, die im Ausland immer noch als Vorzeigeprojekte der kubanischen Revolution dargestellt werden, etwa das Bildungs- und Gesundheitswesen.
Im Verlauf der Lektüre wachsen trotz der optimistischen Ausgangsthese die Zweifel, ob in Kuba über den formellen Machtverzicht Fidel Castros hinaus wirklich bereits ein Umbruch oder gar ein beginnender Transformationsprozess eingesetzt hat. Immer wieder macht Wulffen deutlich, dass die Riege alter und bewährter Kämpfer sich an die Macht klammert, begleitet durch permanente Ratschläge des alten "máximo líder" vom Krankenbett aus. Es wird nicht immer klar, ob und bis zu welchem Maß die Notwendigkeit von Reformen von der neuen Führung erkannt wird. Die "Undurchdringlichkeit des ,Zuckerrohrvorhangs', der die Machtpyramide in Kuba umgibt", klagt Wulffen, setze analytische Grenzen.
Zentral für einen offenen Wandel wäre der "Abbau von Angst" und ein "gewisses Maß an Freiheit". Doch Wulffen mahnt zur Vorsicht. Die "zwiespältige Persönlichkeit Raúl Castros könnte dem im Wege stehen", da dieser sein fehlendes Charisma bereits in der Vergangenheit durch Härte zu kompensieren versucht habe. Wulffen lässt keinen Zweifel daran, dass Raúl notfalls die Streitkräfte zum Machterhalt einsetzten wird.
Es bleibt also beim alten Grundsatz "Innerhalb der Revolution alles, außerhalb der Revolution nichts". Damit stellt sich die Frage, ob grundlegende Reformen überhaupt gewollt und möglich sind. Systemkompatible Reformen und ein Paradigmenwechsel sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Politik einer "kontrollierten Evolution", die sich auf kleinere wirtschaftliche Reformen beschränkt, den Machtanspruch von Partei und Militär aber uneingeschränkt aufrechterhält, dürfte auf Dauer neue Widerstände hervorrufen.
Kuba im Umbruch. Von Fidel zu Raúl Castro.
Ch. Links Verlag, Berlin 2008; 271 S., 16,90 ¤