BERGBAU
Durch steigende Preise auf dem Weltmarkt wird die Förderung der deutschen Steinkohle wieder attraktiver
Spätestens seit dem Gezerre um das geplante Steinkohlekraftwerk Moorburg in Hamburg ist Kohle als Energieträger wieder in aller Munde. Auch in Nordrhein-Westfalen, dem klassischen Bergbauland, ist der Abgesang auf die traditionsreiche Industrie angesichts gestiegener Weltmarktpreise ins Stocken geraten. Noch im Sommer hatte die Zechengesellschaft RAG Deutsche Steinkohle mit der Stilllegung des Bergwerks Walsum das Ende des Kohlebergbaus in Duisburg verkündet. In anderen großen Ruhrgebietsstädten wie Dortmund, Essen oder Bochum gibt es schon lange keinen Bergbau mehr. Außer in einer Zeche an der Saar wird noch in sechs Bergwerken in Nordrhein-Westfalen das einst so gerühmte "Schwarze Gold" gefördert, in Gelsenkirchen, Hamm, Kamp-Lintfort, Bottrop, Marl und in Ibbenbüren.
Seit 150 Jahren wird im Ruhrgebiet unter schwierigen Bedingungen Kohle ans Tageslicht geholt. Bis zu 1.500 Meter tief müssen die Kumpel hierfür einfahren, während die Förderung in großen Bergbauländern wie Australien, China oder Südafrika teilweise im Tagebau möglich ist. So ist deutsche Kohle seit Jahrzehnten nur mit hohen Subventionen von zuletzt 2,4 Milliarden Euro im Jahr loszuschlagen. Diese Subventionen werden aber nach und nach gestrichen, sodass die letzte von öffentlichen Hilfen abhängige deutsche Zeche spätestens im Jahr 2018 dichtgemacht werden soll. Geregelt ist dies im Steinkohlefinanzierungsgesetz. Der Stilllegungsbeschluss muss im Jahre 2012 mit Blick auf die Lage an den Weltenergiemärkten noch einmal überprüft werden. Auch das steht im Gesetz, wie Norbert Römer betont, der Fraktionsvize der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Geht es nach seiner Fraktion, sollte mit Blick auf die stark gestiegenen Kohlepreise am Weltmarkt gar nicht bis 2012 gewartet werden. "Es wäre politisch vernünftig, noch vor dem Überprüfungstermin zu handeln", sagt die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft.
Kraft gräbt damit die Idee der SPD nach einem Sockelbergbau wieder aus, die nach langem politischem Streit um die Kohle mit der Einigung auf das Steinkohlefinanzierungsgesetz beigelegt schien. Es gehe da-rum, das technische Know-how der Bergleute zu erhalten. Die SPD-Politikerin kann sich vorstellen, dass hierfür notfalls auch weitere Subventionen lockergemacht werden. Angesichts der am Weltmarkt stark gestiegenen Kohlepreise würden die Absatzhilfen ohnehin immer geringer. Mit Blick auf die internationale Rohstofflage stellt auch die Bergbaugewerkschaft IGBCE das mühsam ausgehandelte Ausstiegsgesetz infrage. Wegen der rasanten Preisentwicklung an den Rohstoffmärkten wäre es besser, schon früher über ein Umsteuern beim Kohlebergbau nachzudenken, fordert IGBCE-Chef Hubertus Schmoldt.
Über 140 Dollar kostet derzeit die Tonne Kraftwerkskohle auf dem Weltmarkt, eine Verdoppelung gegenüber dem Durchschnittspreis 2007, berichtet der Verband der Kohleimporteure. Dazu kommen Frachtkosten von über 40 Dollar. Der Preis für Kokskohle hat sich sogar vervierfacht. Zeitweise waren die Preise noch höher, doch zeichnete sich zuletzt eine leichte Entspannung ab. "Dass sich der Kohlepreis in so kurzer Zeit so dramatisch nach oben entwickelt, hat keiner vorhergesehen", argumentiert Gewerkschaftschef Schmoldt. Jede weitere Zechenschließung sieht er als eine "vertane Chance".
"Ich könnte mir vorstellen, dass wir im Jahre 2012 froh sind, wenn wir noch auf heimische Lagerstätten zurückgreifen können", sagt auch RAG-Chef Bernd Tönjes. Jedenfalls dann, wenn sich die Entwicklung der Energiepreise fortsetzen sollte. "Es wird weltweit mehr Kohle benötigt als gefördert werden kann. Und die Schere geht in Zukunft immer weiter auseinander", untermauert Franz-Josef Wodopia, der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands Steinkohle, diese Position. Der Kohleverbrauch in Deutschland liegt bei rund 70 Millionen Tonnen pro Jahr. Rund zwei Drittel wurden im vergangenen Jahr auf dem Weltmarkt beschafft. Wenn 2018 die letzte deutsche Zeche ihre Schächte schließt, würde die Importabhängigkeit auf 100 Prozent zunehmen. "Wenn der Weltmarktpreis weiter steigt, ist die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Steinkohle eine konkrete Perspektive", sagt Werner Müller. Der Chef des Evonik-Konzerns gilt als Architekt des Kohlekompromisses und der RAG-Stiftung, die die Mittel zur Abwicklung des Bergbaus beschaffen soll. Der Ex-Bundeswirtschaftsminister regt an, in Richtung eines "politische Tauschgeschäfts" zu denken: Längere Laufzeiten deutscher Zechen gegen längere Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke.
Die Diskussion um ein Ende des Zechensterbens ist in Nordrhein-Westfalen schon zur politischen Debatte geworden. Der Zugang zu den heimischen Lagerstätten dürfe für kommende Generationen nicht verschüttet werden, fordert die SPD durch Fraktionsvize Römer. Auch innerhalb der CDU-FDP-Landesregierung gibt es Streit über die Kohle. FDP-Fraktionschef Gerhard Papke sieht in der Haltung des CDU-Koalitionspartners einen "Affront" und wertet die Zustimmung der CDU-Minister Helmut Linssen (Finanzen) und Christa Thoben (Wirtschaft) zur Bergbauplanung der RAG als "Ungeheuerlichkeit". Der Aufsichtsrat der Zechengesellschaft hatte auf seiner Sitzung Anfang Juni eine längere Laufzeit für die Kokskohlenzeche Ost in Hamm zugestimmt. Statt wie zunächst geplant Ende 2009 soll der Pütt jetzt erst im September 2010 dichtgemacht werden. Die RAG sieht dies als Ausgleich für das beschlossene vorzeitige Ende ihrer letzten Saarzeche als Folge des heftigen Grubenbebens im Februar.
Dieser Beschluss habe keinerlei Bindungswirkung. "Über die Verwendung von Steuergeld" entscheide schließlich das Parlament und "nicht einfach ein Steinkohlekonzern", wettert Papke. Der FDP-Mann befürchtet eine Belastung der Steuerzahler mit einem "zweistelligen Millionenbetrag" durch den längeren Betrieb der Zeche Ost. Papke müsse alle Faktoren in seine Rechnung einbeziehen, stellt dagegen Wilhelm Bonse-Geuking, der Chef der RAG-Stiftung, klar. Der längere Abbau der Kokskohlefelder liefere der RAG einen erheblichen Deckungsbetrag. Der Staat werde wegen höherer Erlöse allein 2008 rund 500 Millionen Euro an der Kohle sparen, 100 Millionen davon allein Nordrhein-Westfalen.
Grund hierfür ist, dass wegen der steigenden Kohlepreise die Differenz zu den höheren deutschen Förderkosten schrumpft. Koks ist nach einer RAG-Kalkulation auf dem Weltmarkt heute schon teurer als deutsche Ware, wenn die Kohle auf einer modernen Zeche gefördert und die Altlasten für den Bergbau nicht umgelegt werden müssen. Grund genug für die Zechengesellschaft, Pläne für den Aufschluss einer neuen Kokskohlengrube aus der Schublade zu holen. Unternehmenschef Bernd Tönjes ist nach eigenem Bekunden mit ausländischen Investoren im Gespräch, die Interesse gezeigt haben, das Ende 2007 eingestellte Genehmigungsverfahren zum Aufschluss einer solchen Zeche wieder aufzunehmen und ein ganz neues Bergwerk nordöstlich von Hamm am Rande des Ruhrgebiets zu errichten. Zur Finanzierung allein des Genehmigungsverfahrens müssten Schätzungen zufolge 5 bis 6 Millionen Euro aufgebracht werden. Das Verfahren war Ende 2007 eingestellt worden. Der RAG fehlte schlichtweg das Geld.
RAG-Chef Müller hatte das Zechenprojekt schon 2005 initiiert. Die Erkundungen des Geländes liefen unter dem Namen Donar. Im Bereich des geplanten neuen Bergwerks liegt nach bisherigen Erkenntnissen ein Kohlevorrat von etwa 100 Millionen Tonnen. Das Bergwerk soll eine Jahresförderung von rund drei Millionen Tonnen erbringen und 2.500 bis 3.000 Arbeitsplätze bieten. Der Aufschluss der Grube würde nach ersten Schätzungen Investitionen von 800 Millionen bis über eine Milliarde Euro erfordern. Stiftungschef Bonse-Geuking warnt vor Euphorie. Wer in ein Rohstoffgeschäft investiere, dürfe nicht nur die Preise sehen, sondern müsse auch die Kostenstruktur der Wettbewerber im Auge haben. Im Übrigen stelle sich die Frage weder für die Stiftung noch für den RAG-Konzern, die beide hierfür keine Mittel aufbringen dürften. Diese könnten nur von einem privaten Investor kommen.
Das war vor Jahren schon Müllers Idee. "Das Bergwerk Donar soll ohne öffentliche Mittel aufgeschlossen und durch private Inves-toren finanziert werden", stellte er seinerzeit fest. "Es gibt schon Leute, die sich gemeldet haben", sagt Kohlesprecher Wodopia vieldeutig. Die Stahlindustrie ist nicht interessiert. ThyssenKrupp-Manager Ingo Batzel, sagt, sein Unternehmen werde sich nicht in dieser Form in der Rohstoffbeschaffung engagieren. Aktuell sei zwar eine wirtschaftliche Förderung von Kokskohle in Deutschland möglich. Allerdings lägen die Förderkosten in Kanada bei 60 bis 70 Euro, in Australien noch deutlich niedriger als in Hamm. Sollten die Transportkosten weiter sinken und die Kokspreise wieder auf ihr langjähriges Durchschnittsniveau von rund 100 Euro zurückfallen, wäre die deutsche Zeche unwirtschaftlich. Eine Investition sei erst sinnvoll wenn die Kokskohlenpreise langfristig über den deutschen Förderkosten lägen.