Es ging nicht um dicke Joints und den damit verbundenen Rausch. Bei einer Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses am 15. Oktober stand das Helfen im Mittelpunkt. Die medizinische Verwendung von Cannabis, so die überwiegende Mehrheit der geladenen Sachverständigen, könne vielen "austherapierten" Schmerzpatienten helfen. Aus diesem Grund verlangten sie auch die Übernahme der Kosten von Cannabis-Medikamenten - wie etwa Dronabinol - durch die Gesetzlichen Krankenkassen. Mehrheitlich abgelehnt wurde hingegen der Vorschlag einer Freigabe des Cannabis-Anbaus. Grundlage der Anhörung bildeten Anträge der Linksfraktion ( 16/9749) sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ( 16/7285).
Selbstmedikation sowie Legalisierung und Besitz von Cannabis lehnte die Bundesärztekammer "als nicht zielführend" ab. Cannabionide bedürften einer kontrollierten Zugabe und würden zudem erst beim Versagen zugelassener Arzneimittel eingesetzt. Die dazu derzeit nötige Beantragung einer Ausnahmegenehmigung wurde von der Bundesärztekammer als "zu kompliziert und zeitaufwändig" kritisiert.
Aus der Sicht von Professor Hans Rommelspacher von der Freien Universität Berlin gibt es erheblichen gesetzlichen Handlungsbedarf beim Einsatz von Cannabioniden. Diesen Handlungsbedarf erkenne er vor allem in Richtung einer Kostenübernahme der Dronabinol-Behandlung seitens der Krankenkassen. Trotz intensiver Recherche erschließe sich ihm im Übrigen nicht, wieso dieses Medikament so teuer sei und monatliche Kosten von 300 bis 400 Euro verursache. Auch Rommelspacher lehnte eine Freigabe des Cannabis-Anbaus ab, da dann keine medizinische Überwachung möglich sei.
Der Verfassungsrechtler Lorenz Böllinger von der Universität Bremen sprach von einem "verfassungsmäßigen Grundrecht auf Cannabis als Medizin". "Die jetzigen Regelungen zwingen Schmerzpatienten in die Kriminalität", so Böllinger. Wer die hohen Kosten für Dronabinol nicht aufbringen könne und deshalb auf die illegale Droge Cannabis zurückgreifen möchte, werde in eine "strafrechtliche Arena von Schwarzmarkt und Strafverfolgung" getrieben. Der Gesetzgeber dürfe dazu nicht länger schweigen.
Die kontrollierte Cannabis-Abgabe sei sowohl in den Niederlanden als auch in Kanada wegen enttäuschend geringer Inanspruchnahme gescheitert, sagte Professor Hans-Georg Kress von der Universität Wien. Es sei kein Grund zu erkennen, warum ein solches Projekt in Deutschland erfolgreicher sein sollte. Ziel müsse hingegen die arzneimittelrechtliche Zulassung von Dronabinol sein. Damit würde man auch die Strafverfolgungsproblematik "elegant" lösen.
Der Berufsverband der Schmerztherapeuten unterstützt ohne Vorbehalt die vorliegenden Anträge auf Erleichterung bzw. Freigabe von Cannabis zur medizinischen Behandlung. Der positive therapeutische Effekt sei belegt, hieß es. Die bisher fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung sei angesichts des derzeitigen Standes der medizinischen Forschung und den vorliegenden ärztlichen Erfahrungen "überfällig".
Solange der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland, den Nutzungsnachweis für die Gabe von Cannabiszubereitungen nicht erbringe, könne eine Verordnung von Dronabinol nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehen, stellte deren Vertreter fest. Aufgrund vorhandener Versorgungsalternativen und fehlendem Nutzungsnachweis sei kein Versorgungsdefizit zu erkennen, hieß es weiter. Ein Unterlaufen des Nutzungsnachweises für Cannabis-Zubereitungen lasse sich sowohl medizinisch als auch wissenschaftlich nicht begründen und sei daher nicht gerechtfertigt.