Kongo
Die Geschichte des Rebellenführers Assani
Endlich nimmt der deutschsprachige Buchmarkt einen wichtigen Teil Afrikas wahr. Nach Dominic Johnsons akribischem Sachbuch über die vor Rohstoffen strotzende Demokratische Republik Kongo (früher Zaire) zwischen Krieg und Noch-Nicht-Frieden lässt Lieve Joris ihre Leser mit Rebellenführer Assani leiden und kämpfen. Die preisgekrönte belgische Autorin, die ihr Verlag in die Nähe des legendären Afrika-Reporters Ryszard Kapu?scin?ski rückt, traf den hochgewachsenen Kommandanten 1998 in der Bergbaustadt Lubumbashi. Sie hielt über Jahre Kontakt mit ihm und erfuhr immer neue Versatzstücke aus seiner ruhelosen Existenz zwischen Buschkrieg und mörderischen Machtkämpfen im Hauptstadt-dschungel von Kinshasa.
Assanis Vorfahren stammten aus dem heutigen Ruanda, als Junge hütete er Rinder im ostkongolesischen Hochland, zum Schulbesuch stieg er ins Tal hinab. Seine hohe, schmale Erscheinung machte ihn zum "Tutsi", und als 1994 im benachbarten Ruanda Hunderttausende Tutsi und gemäßigte Hutu ermordet werden und sich die Täter nach ihrer Niederlage in den Ostkongo absetzen, verschärfen sich die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Junge Männer wie Assani werden als Tutsi bedroht, sie wollen sich nicht länger demütigen lassen und schließen sich Rebellengruppen an. 1996 marschieren sie mit dem früheren Schmuggler Laurent-Désiré Kabila an der Spitze im feuchtheißen Kinshasa ein und entmachten Diktator Mobutu.
Als erfolgreicher Rebellenführer gehört Assani, nun ständig umgeben von seinem Trupp Kindersoldaten, zur neuen Machtelite, deren Mitglieder sich unaufhörlich misstrauisch beäugen und gelegentlich umbringen lassen. Präsident Kabila drückt ihm bei einer Unterredung mit vom Whisky glasigen Augen ein Bündel Hundertdollarscheine in die Hand, wenig später muss Assani vor Kabilas Schergen um sein Leben fürchten. Der Präsident wendet sich von seinen Unterstützern aus dem Osten ab und findet dank üppig sprudelnder Einnahmen aus dem Verscherbeln von Bodenschätzen neue Verbündete, darunter Zimbabwes Gewaltherrscher Mugabe. In Kinshasa werden Tutsi gejagt, Assani geht erneut in den Busch. Hundertausende retten mit der Flucht in den Regenwald buchstäblich nur ihre nackte Haut, viele verschwinden für immer hinter der grünen Wand. Bahnhofsvorsteher Mwansa hat mehr Glück, er wird in Assanis Machtbereich zum Chefkonstrukteur tonnenschwerer fahrbarer Untersätze aus Eisenbahnfragmenten, die den Nachschub durch die Wildnis sichern. Das ist eine Geschichte, wie Afrika, die Verallgemeinerung sei erlaubt, sie schreibt.
Bei anderen Episoden stellen sich Zweifel ein. Assani, wie die Autorin ihren Helden nennt, wird im Vorwort als "verschlossen" vorgestellt, deshalb überrascht es kaum, dass auch nach jahrelangem Kontakt Lücken in der Biografie bleiben. Beim Niederschreiben in einem belgischen Kloster füllte Joris die Leerstellen mit "Ersonnenem", "um der Wirklichkeit gerecht zu werden". Aber welches waren die Lücken, die es zu füllen galt? Etwa die Gefühlszustände des unter andauernder Hochspannung agierenden Asketen, der nur Milch und Fanta trinkt? Oder die breit dargestellten Beziehungen zu Frauen wie Aimée, die er nie anrührt, und Devota, die er zur Mutter seiner Kinder macht? Und warum sind "die Ruander", unter deren Anleitung immerhin Assani zum Rebellen wurde, durchweg finstere Unsympathen? Dagegen bleibt die Autorin wortkarg bei Assanis möglicher Beteiligung an Massakern und Vergewaltigungen, ohne die eine langjährige Rebellen-Laufbahn kaum denkbar ist.
Lieve Joris hat einen spannenden Kongo-Thriller geschrieben - mit sorgfältig recherchierten Informationen zur Kultur, aus der Assani stammt, zu Kriegsalltag und blutigen Kämpfen unter den Raffzähnen der Nach-Mobutu-Ära. Aber mit Ryszard Kapu?scin?ski hat das nichts zu tun.
Die Stunde der Rebellen. Begegnungen mit dem Kongo.
Malik Verlag, München 2008; 288 S., 18 ¤