Politische Architektur
Eine facettenreiche Darstellung über den Reichstag und seinen Bauherrn
Die Politik ist eine dunkle Sache", befand einst der Architekt Hans Schwippert. Als ihm die Aufgabe angetragen wurde, die Pädagogische Hochschule in Bonn zum ersten Sitz von Bundestag und Bundesrat umzuformen, wollte er in diese "dunkle Sache" ausdrücklich "etwas Licht hineinbringen". Schwipperts Leitmotiv aus der Nachkriegszeit prägt die Architektur der Bauten mit politischer Funktion bis heute: Transparent sollen sie sein, leicht zugänglich, lichtdurchflutet. Darin erschöpft sich der Konsens über die Architektur von zeitgemäßen Staatsbauten allerdings auch.
Wie erbittert um den Umbau des Reichstags und den Neubau der Abgeordnetenbüros in den 1990er-Jahren gestritten wurde, beleuchtet der Politikwissenschaftler Nino Galetti. Der Bundestag sei Subjekt seiner Untersuchung, der Reichstag das Objekt. In seinem Buch über die Bauherrentätigkeit des Parlaments erörtert er ausdrücklich keine architektur-theoretischen Aspekte, sondern beschreibt vielmehr die politischen Entscheidungsprozesse. In der Diskussion über die Architektur der Macht schwingt allerdings die Debatte über die Macht der Architektur stets mit.
Nachdem der Deutsche Bundestag am 20. Juni 1991 nach erbitterten Auseinandersetzungen den Beschluss gefasst hatte, aus dem Provisorium Bonn nach Berlin umzuziehen, dauerte es nicht weniger als acht Jahre, bis die Abgeordneten in den renovierten und mit einer neuen Kuppel gekrönten Bau an der Spree umziehen konnten.
Das einst so repräsentative Palastgebäude des Baumeisters Paul Wallot aus dem Ende des 19. Jahrhunderts steht im Zentrum Galettis' Darstellung. Tatsächlich stand kein Gebäude so augenfällig für das Ende der Weimarer Republik wie der Reichstag mit seinem ausgebrannten Plenarsaal. Und kein anderer Repräsentationsbau aus der kurzen Phase der deutschen Demokratie stand in der Zeit der Teilung so unübersehbar an der Mauer wie eben dieser Torso - ein Mahnmal für die Einheit der Nation und die schmählich untergegangene Demokratie gleichermaßen. Dass der sanierungs- und umbaubedürftige Bau kein Solitär in der neuen Mitte Berlins bleiben würde, war nach dem Umzugsbeschluss von Bundestag und Bundesregierung evident. Und so schließt Galetti die politische Diskussion um den Spreebogen und das Band des Bundes in seine detailreiche Darstellung ein.
Galetti ruft dem Leser in Erinnerung, dass Sir Norman Foster, dessen Reichstagskuppel heute so selbstverständlich zum Stadtbild von Berlin zu gehören scheint, bei der Ausschreibung 1992 zunächst ganz andere Pläne vorbrachte: Der britische Architekt reichte einen Wettbewerbsentwurf ein, der an Monumentalität kaum zu überbieten war. Foster wollte den Reichstag entkernen und die historischen Außenmauern einen kreisrunden Plenarraum umschließen lassen. Der Parlamentsbau sollte in einer Höhe von 50 Metern von einem gewellten Baldachin aus Glas überspannt werden.
Das Motiv der Kuppel fand sich im Entwurf von Santiago Calatrava, der sich mit Norman Foster den ersten Preis bei der Ausschreibung um die Reichstagsgestaltung teilen musste. Auch Calatravas Entwurf ließ jegliche Zurückhaltung vermissen. Die "große Geste" wurde zu einem architektonischen Motiv, das sich schließlich auch im Neubau des Kanzleramtes nach dem Entwurf von Axel Schultes und Charlotte Frank niederschlug. Offenbar antizipierten die Architekten den Abschied der deutschen Politik von einer Bescheidenheit, der diese in Bonn noch verpflichtet war.
Nino Galetti lässt die Entscheidungen der Bundestagsabgeordneten über Entwürfe, über Realisierbarkeit und Kosten - oder auch ihre Haltung zu Christos Verhüllung des Reichstagsgebäudes - Revue passieren. "Die Geschichte der Parlamentsbauten spiegelt die politische und psychologische Verfassung der bundesdeutschen Gesellschaft und ihrer politischen Elite wider", schreibt er und lobt die Protagonisten der einzelnen Fraktionen. Weder hätten sie sich populistischen Forderungen nach billigen Alternativen gebeugt, noch auf provisorische Halbheiten eingelassen.
Dem Leser bietet der Autor ein facettenreiches Bild vom Selbstverständnis der Parlamentarier, die in zwei Legislaturperioden entscheidende Weichenstellungen für die politische Ästhetik des Landes getroffen haben. Verbissen sie sich oft in Details, so schufen sie in der wiedervereinigten Hauptstadt doch einen neuen Stadtteil: funktional und repräsentativ, offen und nicht geschichtsvergessen.
Galetti, heute Mitarbeiter der Konrad Adenauer Stiftung, hat kein Lesebuch vorgelegt. Vielmehr handelt es sich um die sorgfältig recherchierte und vornehm gestaltete Dissertation eines Politologen, der die demokratiegeschichtliche Bedeutung des Umzugsbeschlusses und der Entscheidungen über das architektonische Gesicht der Demokratie in Berlin aus den vorliegenden Quellen herauskristallisiert und mit Aussagen von Zeitzeugen andickt.
Die Republik war nicht reich an Symbolen. Es fehlte zumal an solchen, die positiv besetzt waren und in Ost wie in West die Chance hatten, akzeptiert zu werden. Mit der Kuppel auf dem Reichstag ist ein solches Symbol gesetzt. Hier gehen Bürger ein und aus, hier sind Fremde willkommen, von hier oben schaut der Souverän den Parlamentariern auf die Finger. Die Kuppel von Norman Foster prägt das Bild des Bundestags und der politischen Ikonografie von heute. Es lohnt sich, der Geschichte dieser Kuppel nachzuspüren.
Der Bundestag als Bauherr in Berlin. Ideen, Konzepte, Entscheidungen zur politischen Archi-tektur (1991-1998).
Droste Verlag, Düsseldorf 2008; 411 S., 74 ¤