Afghanistan
Ein Foto-Comic erzählt über die Arbeit von »Ärzte ohne Grenzen« während der sowjetischen Besatzung
Karikaturisten aus dem Westen sind zögerlich geworden, wenn es um islamische Länder geht. TV-Kabarettisten üben gar eine Art Selbstzensur in Sachen Humor, überall lauern Fettnäpfe. Und jetzt soll ausgerechnet ein Comic den Lesern Afghanistan näherbringen? "Der Fotograf" enthält allerdings keinerlei provokative Zeichenstriche, sondern ist um Nüchternheit und Erinnerung bemüht.
Der im vergangenen Jahr verstorbene Fotoreporter Didier Lefèvre begleitete im Sommer 1986 ein Team der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" auf einem dreimonatigen Marsch von Pakistan nach Afghanistan. Unweit von Faizabad, wo heute ein Kontingent der Bundeswehr stationiert ist, kämpften damals die Mudschaheddin noch gegen die sowjetischen Besatzer. Der dreibändige Comic erzählt von dieser Reise. Der zweite Band, der jetzt auf Deutsch erschienen ist, befasst sich gezielt mit der Arbeit von "Ärzte ohne Grenzen" im afghanischen Widerstand. Der erste Band "In den Bergen Afghanistans" erschien Anfang 2008, der Dritte "Allein nach Pakistan" soll im Frühjahr 2009 folgen.
"Der Fotograf" beschreibt viele Details des Alltags, die sich im Schatten des Kriegs abspielen. "Jeden Tag kommen Kriegsverletzte, aber ein Großteil der Arbeit besteht aus alltäglichen Vorfällen: Krankheiten, Geburten, Haushaltsunfällen." All das liegt über 20 Jahre zurück. Die Nöte und Lebensverhältnisse der Bevölkerung aber haben sich zum Teil bis heute wenig verändert. Das verleiht dem Buch nebenbei traurige Aktualität.
Die Hälfte der Aufnahmen in beiden ersten Bänden sind Schwarz-Weiß-Fotografien. Diese lassen Land und Leute zwar oft rückständiger erscheinen, als sie tatsächlich sind. Der Foto-Comic entkommt dieser Falle jedoch, indem er Bildstrecken aneinander reiht wie bei einem Daumenkino. So gelingt es, Personen zum Leben zu erwecken, ihre Würde und Zerbrechlichkeit zu spiegeln.
Die Zeichnungen von Emmanuel Guibert stehen dabei in der Tradition französischer Comics wie Hergés "Tim und Struppi". Obwohl es ein Comic über den Krieg ist, findet sich Platz für Humor. Da ist aber auch die latente Angst des Autors angesichts einer ihm völlig fremden Umgebung. Wie viele Reisende erliegt der Fotograf am Ende der Faszination des Landes und erlebt Afghanistan als ein gewalttätiges Paradies.
Das gesamte Fotomaterial läuft ähnlich wie Streifen von Bildnegativen vor unseren Augen ab: chirurgische Eingriffe und Notoperationen quasi unter freiem Himmel, ohne moderne Hilfsgeräte. Überraschend zu lesen: Trotz der militärischen Fronten gelingt es dem Ärzteteam, sich Röntgenbilder aus einem russischen Krankenhaus zu besorgen. Oft aber können die Ärzte den Verletzten nur noch Trost spenden - weil jede Hilfe zu spät kommt. Neben dem Fotografen ist Julie, die die Mission anführt, die zweite Heldin im Comic. Sie kennt die Verhältnisse vor Ort: "Jedenfalls wurde die Burka zu einem idiotischen und übertriebenem Symbol gemacht. Was für Frauen wirklich zählt, ist Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung, Arbeit und Gerechtigkeit. Klamotten sind Nebensache."
Im Jahr 2004 führte der Mord an fünf Mitarbeitern zum Abbruch aller Missionen von "Ärzte ohne Grenzen" in Afghanistan. "In der gegenwärtigen Situation", heißt es im Vorwort des Comics, "wird humanitäre Hilfe zunehmend durch politische und militärische Akteure instrumentalisiert. Bis sich dies ändert, beobachten Ärzte ohne Grenzen die prekäre Situation von außen."
Es ist symptomatisch, dass die deutsche Übersetzung erst jetzt, fünf Jahre nach dem französischen Original erscheint. Comics für Erwachsene haben in Deutschland etwas Anrüchiges. Die Generation der Eltern hat vielfach verhindert, dass die Gattung als Literatur ernst genommen wird. "Wir starten erst einmal vorsichtig mit 3.000 Exemplaren", erläutert eine Verlagsvertreterin. Weltweit hat sich "Der Fotograf" allerdings bereits rund 200.000 Mal verkauft - in acht Sprachen. Zu wünschen wäre, dass der Comic es in das ein oder andere Schaufenster schafft. Der Einblick in ein Kapitel Afghanistan der 1980er-Jahre wird hier viel plastischer als in den meisten Artikeln oder TV-Berichten über diese Zeit.
Didier Guibert, Emmanuel Lefèvre, Frédéric Lemercier:
Der Fotograf. Band 2: Ärzte ohne Grenzen.
Edition Moderne, Zürich 2008; 80 S., 24 ¤