Eignet sich das Vergaberecht, um soziale und ökologische Zwecke zu verfolgen? Die Sachverständigen konnten sich in dieser Frage am 13. Oktober nicht einigen, als sie in einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses zur geplanten Reform des Vergaberechts ( 16/10117) Stellung nahmen. Zur Debatte standen zudem Anträge der FDP ( 16/9092), der Linksfraktion ( 16/6930, 16/9636) und von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/6791, 16/8810) zu diesem Thema. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass für die Auftragsausführung zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden können, die "insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben".
Zentral ist dabei die Frage, ob von Auftragnehmern verlangt werden kann, dass sie sich "tariftreu" verhalten, vor allem also die tariflichen Löhne zahlen. Hermann Summa, Richter am Oberlandesgericht Koblenz, sagte, man müsse akzeptieren, dass es in der EU Mitgliedstaaten gebe, deren Preis- und Lohnniveau unterhalb des deutschen liege. Der EG-Vertrag erlaube jedem Unternehmen, diesen Wettbewerbsvorteil in einem anderen Mitgliedsland auszunutzen. Einzige Ausnahme aus EU-rechtlicher Sicht sei die Entsenderichtlinie, umgesetzt im deutschen Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wenn sich die Politik auf einen gesetzlichen Mindestlohn einigen würde, so Summa, könnte ein Bieter, der nicht gewährleisten kann, diesen Lohn zu zahlen, wegen "Unzuverlässigkeit" vom Verfahren ausgeschlossen werden.
Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung räumte ein, dass derzeit nur nach dem Entsendegesetz für "allgemeinverbindlich" erklärte Tarifverträge zur Grundlage des Vergaberechts gemacht werden können. Schulten warb dafür, die "Allgemeinverbindlichkeit" von Tarifverträgen in Deutschland zu stärken. Während in Deutschland nur 1,5 Prozent der Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt würden, seien es in Frankreich 90 Prozent. Gregor Asshoff von der Industriegewerkschaft Agrar-Bauen-Umwelt sprach die "wahrscheinlich dominierende kommunale Praxis" bei der Auftragsvergabe an, dass einige Kriterien akzeptiert würden und andere nicht, je nachdem wie teuer und wie aufwendig sie seien. Wenn man beispielsweise das Verbot der Kinderarbeit wirksam durchsetzen wolle, müssten die Anbieter Zertifizierungen vorlegen, die von glaubwürdigen Zertifizierungsstellen stammen.
Christoph Schäfer vom Gesamtverband Textil und Mode bestätigte, dass in diesem Fall objektive Nachweise benötigt würden. Zertifikate kosteten "richtig viel Geld". Diese Kosten müssten auf die Angebote aufgeschlagen und damit letztlich vom Steuerzahler bezahlt werden. Niels Lau vom Bundesverband der Deutschen Industrie sprach von "vergabefremden Kriterien", die besser woanders als im Vergaberecht umgesetzt werden sollten. Sie führten zu einem hohen Aufwand bei der Leistungsbeschreibung und bei der Kontrolle, zu Mehrkosten und Verzögerungen, die "nicht gewollt sein können". Felix Pakleppa vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes wies auf den vorhandenen Mindestlohn in der Baubranche hin, dessen Überprüfung in der Praxis "problematisch" sei. Würde dies im Vergaberecht eingeführt, gäbe es mehr Bürokratie, so Pakleppa.
Der Entwurf sieht auch vor, den Mittelstand bei der Auftragsvergabe noch eher zum Zuge kommen zu lassen, indem die Klausel, dass Aufträge in Fach- und Teillose aufzuteilen sind, verstärkt werden soll. Während Alexander Barthel (Zentralverband des Deutschen Handwerks) diese Änderung ausdrücklich guthieß, stieß sie bei Michael Werner (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie) auf wenig Gegenliebe. Der Zwang zur Vergabe in Losen kollidiere mit der Forderung nach wirtschaftlichem Einkauf und sparsamer Verwendung von Steuergeldern.