FAHRGASTRECHTE
Kommt der Zug zu spät, haben Kunden künftig ein Recht auf Entschädigung
Morgens war die Welt noch in Ordnung. Der Zug in Kiel fuhr pünktlich los. Aber in Frankfurt begann schon das Theater. Ein ICE war ausgefallen - wegen eines Schadens am Triebkopf, so lautete ein Gerücht, das von irgendwoher stammte. Also auf den nächsten ICE warten. Der kam mit gehöriger Verspätung. Dem Reisenden wurde irgendwo im Großraum Stuttgart klar, dass er den letzten Regionalexpress, der ihn eigentlich an sein Ziel bringen sollte, nicht mehr erreichen würde. Die Hochzeit seines Neffen Hendrik würde ohne ihn stattfinden. Ihm blieb nichts anderes übrig, als dem Brautpaar am nächsten Tag zu gratulieren.
Künftig soll es in Fällen wie diesem eine Entschädigung von der Bahn geben. Am 24. April beschloss der Bundestag auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ( 16/12715) einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/11607) mit den Stimmen der Koalition. Die parlamentarische Opposition votierte gegen die Vorlage.
Vorgesehen ist unter anderem, dass Eisenbahnunternehmen für Verspätungen und Ausfälle von Zügen haften müssen. Bei einer Verspätung ab 60 Minuten sollen die Unternehmen 25 Prozent des Fahrpreises erstatten; bei einer Verspätung von mehr als zwei Stunden sind es 50 Prozent. Dieser Betrag muss auf Wunsch auch in bar ausgezahlt werden.
Außerdem ist das Eisenbahnunternehmen verpflichtet, bei einer Verspätung ab 60 Minuten Erfrischungen oder, wenn eine Übernachtung erforderlich wird, eine Hotelunterkunft anzubieten. Zeichnet sich eine Verspätung von mehr als 60 Minuten ab, kann der Fahrgast auch von der Reise absehen und die Rückerstattung des Fahrpreises verlangen. Das Parlament setzt damit eine EU-Verordnung um, die das Europaparlament und der Rat im Oktober 2007 beschlossen hatten.
Der Bundestag beschloss, dass auch für Fahrten, die nicht ausschließlich in die Nachtzeit fallen, die Nutzung eines anderen Verkehrsmittels als eines Zuges (beispielsweise ein Taxi) möglich ist. Der Zeitpunkt für die fahrplanmäßige Ankunftszeit muss zwischen Mitternacht und 5 Uhr früh liegen. Da insbesondere auf dem Land der letzte fahrplanmäßige Zug schon vor 20 Uhr fährt, dürfe der Fahrgast ein anderes Verkehrsmittel benutzen. Damit wurde ein Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen. Der Höchstbetrag für die Erstattung der notwendigen Aufwendungen wurde von ursprünglich 50 Euro auf 80 Euro angehoben. Zur Beilegung eventueller Streitigkeiten kann der Reisende eine unabhängige Schlichtungsstelle anrufen.
Anträge der FDP ( 16/9804) und der Grünen ( 16/1146) wurden von der Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Beide Oppositionsfraktionen hatten noch weitergehende Rechte für Bahnkunden verlangt.
Als einen "guten Tag für Verbraucherinnen und Verbraucher" bezeichnete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Alfred Hartenbach (SPD), die Gesetzesnovelle. Bahnkunden bekämen "endlich" mehr Rechte. Nach "mühsamem Ringen" sei ein Kompromiss gefunden worden. Das neue Recht könne - unter der Vorraussetzung, dass der Bundesrat mitspiele - bereits mit Beginn des Sommerfahrplans in Kraft treten. Weitergehende Forderungen lehnte der Staatsseketär ab: Sie seien unwirtschaftlich und könnten unter anderem zu Preissteigerungen führen.
Günter Krings (CDU) umriss die Aufgaben der Abgeordneten: Sie seien seiner Meinung nach "gefragt, Probleme zu lösen, Missstände zu beseitigen und den teilweise leidgeprüften Fahrgästen auch effektiv zu helfen". Das neue Gesetz sei dazu geeignet. Die erreichten Verbesserungen seien "realistisch", aber nicht "utopisch". Auf die seiner Meinung nach "peinliche Tatsache", dass die Bundesregierung erst durch eine EU-Verordnung gezwungen werden musste, Fahrgästen überhaupt ein Recht auf Entschädigung zu geben, wies Hans-Michael Goldmann (FDP) hin. Es sei schade, dass die Regierung "nahezu unverändert" die EU-Vorlage übernommen habe, so Karin Binder (Die Linke). In einem von ihrer Fraktion vorgelegten Entschließungsantrag ( 16/12723) forderte sie unter anderem, ab einer Verspätung von 30 Minuten eine Entschädigung von 25 Prozent des Reisepreises zu gewähren. Das Parlament lehnte den Antrag ab. In der Großen Koalition herrsche eine "falscher Denkweise", fand Anton Hofreiter (Grüne): Der Schutz der Unternehmen sei ihr wichtiger als Schutz der Fahrgäste. Der Fahrgastverband Pro Bahn begrüßte dagegen, dass die Fahrgastrechte im Falle von Verspätungen endlich unternehmensübergreifend geregelt werden. "Der Fahrgast ist nun nicht mehr Bittsteller, sondern kann seine Rechte auch rechtlich einfordern", so der Bundesvorsitzende Karl-Peter Naumann.z