Bald wird in Deutschland wieder flächendeckend plakatiert: Damen in dezenten Blazern und gesetzte Herren mit Krawatten werden freundlich und seriös zugleich von Wänden und Litfasssäulen blicken, um für die Wahlen zum Europäischen Parlament am 7. Juni zu werben. Allerdings lassen sich viele Jugendliche von diesen Motiven nicht begeistern. Auch Barbara Lata (im Bild in der Mitte) geht es so: "Ich gucke mir die Wahlplakate nicht an, weil sie mich nicht ansprechen", sagt sie. Das Poster, das die angehende Mediengestalterin selbst entworfen hat, wird allerdings bald deutschlandweit die Blicke auf sich ziehen können. Zusammen mit drei anderen Schülern einer Aachener Berufschule hat die 22-Jährige es gestaltet und damit den Plakatwettbewerb "Schöner wählen" gewonnen. Dieser wird von der Bundesregierung, dem Europäischen Parlament und der Kommission in Brüssel veranstaltet.
"Mit der Aktion wollen wir Jugendliche dazu anregen, sich intensiver mit dem Thema Europawahlen zu beschäftigen", erläutert Angelika Joosten, die den Wettbewerb betreut. Selbst sie war überrascht von der Resonanz: Mehr als 5.000 Jugendliche grübelten, fotografierten, layouteten und schickten insgesamt 1.612 Entwürfe ein. Die fünf schönsten davon sollen jetzt in die Kampagne zur Mobilisierung von Erstwählern einbezogen werden: 10.000 Plakate werden von jedem Motiv gedruckt, dazukommen 100.000 Postkarten und e-Postcards, die man im Internet verschicken kann.
Barbara Lata vom Siegerteam überlegte sich zuerst, welches Motiv Wähler in ihrem Alter ansprechen könnte. Shoppen schien ihr ein gutes Thema, denn die Qual der Wahl empfindet man sowohl im Schuhgeschäft als auch in der Wahlkabine. Der Entwurf überzeugte die Jury. "Wählerisch? Solltest Du auch sein..." steht in weißen Buchstaben auf einem europablauen Feld. Auf dem Bild sieht man die schlanken, gebräunten Beine einer Frau, in den Händen hält sie bunte High-Heels, vor ihr häufen sich Sandalen und Schuhkartons. Arme und Beine bilden ein Kreuz, was die Botschaft des Plakats verstärkt: "Kreuz auf. Kreuz an" steht da in einem Kranz von Europasternchen. Und wer die Frau auf dem Bild ist? "Meine Chefin bei der Werbeagentur, wo ich arbeite", sagt Lata. Unterstützt wurde Barbara Lata von ihrem Berufschulteam: Daniel Koerver (21, rechts im Bild), Yashar Khosravani (24, links) und Claudia Lo Cicero (22). Sie alle haben die Ausbildung zum "Mediengestalter für Print und Digital" im vergangenen Herbst begonnen, der Umgang mit Grafikprogrammen und Werbemotiven ist ihnen vertraut. Gute Ausgangsbedingungen also für den Wettbewerb, recherchieren mussten die vier eigentlich nur zum politischen Hintergrund der Europawahlen.
Beim drittplazierten Team war es anders herum: Für den Leistungskurs Sozialkunde aus Adenau in der Hocheifel war eher der Umgang mit professionellen Layout-Programmen fremdes Terrain. Der Slogan "Schock deine Eltern! Geh wählen!!!" stand für den Kurs von Lehrer Dietmar Schug als Erstes fest. Das Foto von zwei Schülern dazu, die sich auf einer Bank fläzen, entstand gleich nebenan, auf dem Pausenhof der Schule. Layoutet wurde das Plakat mit PowerPoint, und fast wäre die Teilnahme an einer kaputten Kamera gescheitert, erzählt Schug.
Beim zweitplazierten Team von einer Chemnitzer Berufsakademie wurde - wie bei vielen anderen Gruppen - eine Teilnehmerin gleichzeitig als Model verpflichtet. "Du sprichst 30.000 Wörter am Tag, aber zum Wählen fehlt dir die Stimme?" steht auf dem Plakat. Die 17-jährige Julia Hofmann posiert dazu mit karierten Schleifchen in den schwarz und blond gefärbten Haaren. Mit einer Hand verdeckt sie ihren Mund, ihre Fingernägel sind tiefrot lackiert. "Julia ist ein flippiges Mädel, wir dachten, das passt gut zur Zielgruppe", erklärt ihre Teamkollegin Amelie Abendroth (22). Bald könnten die Plakate mit Julia in vielen Städten hängen - ganz ohne Blazer oder Krawatte.