VERTRAG VON LISSABON
Erste Beratung der Begleitgesetze - Experten sehen Weg frei für Ratifizierung
Nur acht Wochen nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Vertrag von Lissabon scheint die Ratifizierung des EU-Reformvertrags in greifbare Nähe gerückt zu sein: Am 26. August 2009 hat der Bundestag die von Karlsruhe angemahnten Regelungen in erster Lesung beraten. Direkt im Anschluss an die Plenardebatte bewerteten Staats- und Europarechtsexperten die Vorlagen als überwiegend verfassungskonform: "Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind erfüllt", sagte etwa Christian Calliess, einer der zwölf Sachverständigen in der gemeinsamen Anhörung der Europaausschüsse von Bundestag und Bundesrat.
Insgesamt fünf Gesetzentwürfe haben die Fraktionen in unterschiedlichen Konstellationen eingebracht. Dazu gehören ein neues Begleitgesetz, das die zentralen Forderungen der Richter "Punkt für Punkt" gesetzlich regelt, wie Thomas Oppermann (SPD) in der Debatte sagte. Das Integrationsverantwortungsgesetz ( 16/13923), soll sicherstellen, dass die Rechte von Bundestag und Bundesrat ausgeweitet werden. Es sieht unter anderem vor, dass die Bundesregierung bei bestimmten Vertragsänderungen sowie bei Änderungen des Gesetzgebungsverfahrens die Zustimmung des Bundestags und gegebenfalls des Bundesrats einholen muss - durch Gesetz oder Beschluss. Die Regelungen zur Subsidiaritätsklage sind in ein zweites Gesetz ( 16/13924) aufgenommen worden, das systematisch zum Integrationsverantwortungsgesetz gehört. Es darf aber aus rechtstechnischen Gründen erst nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ausgefertigt und verkündet werden.
Über dieses Pflichtprogramm hinaus verständigten sich die Regierungsfraktionen mit FDP und Grünen darauf, "das eine oder andere, was das Bundesverfassungsgericht nebenbei angemerkt hat, in eine sichere Form zu gießen", sagte Jörg van Essen (FDP). Dazu gehört - drittens - ein Beteiligungsgesetz ( 16/13925), das die bislang unverbindliche Vereinbarung vom September 2006 zwischen Bundestag und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union (BBV) in ein Gesetz (EUZBBG) überführt. Dort sind vor allem die in Artikel 23 des Grundgesetzes garantierten und in der Praxis wichtigen Unterrichtungspflichten der Bundesregierung konkretisiert. Parallel dazu haben CDU/CSU, SPD und FDP - viertens - ein entsprechendes Gesetz ( 16/13926) für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern (EUZBLG) eingebracht - "nach konstruktiven Verhandlungen mit dem Bundesrat", betonte Hartmut Koschyk (CDU/CSU).
Gesetzentwurf Nummer fünf ist eine Vorlage der Linksfraktion ( 16/13928), die auf Änderungen des Grundgesetzes abzielt. Vorgesehen ist unter anderem, die Bundesregierung bei Verhandlungen auf europäischer Ebene an die Stellungnahmen des Bundestags zu binden. Außerdem greift die Linksfraktion eine Anregung des Verfassungsgerichts auf: ein Verfahren, in dem das Gericht prüfen können soll, ob EU-Rechtsakte mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das sei wichtig, betonte Fraktionschef Gregor Gysi, "wenn wir die Menschen mitnehmen wollen".
Bis auf die Linksfraktion zeigten sich alle Fraktionen zufrieden mit dem Ergebnis der Verhandlungen - und auch der weitere Ablauf steht schon fest: Am 2. September will der federführende Europaausschuss die Erkenntnisse der beiden Anhörungstage in Beschlussempfehlung und Bericht umsetzen, um die abschließende Lesung und Schlussabstimmung im Plenum am 8. September zu ermöglichen. Der Bundesrat könnte dann in seiner Sitzung am 18. September zustimmen und danach der Bundespräsident die Gesetze ausfertigen und verkünden. Erst mit dem Inkrafttreten - so die Bedingung der Richter - darf Horst Köhler die Ratifizierungsurkunde in Rom hinterlegen.
Einziger möglicher Stolperstein: neue Klagen in Karlsruhe. Einer der Antragsteller im ersten Lissabon-Verfahren, Peter Gauweiler (CSU), gab sich im Gespräch mit dieser Zeitung allerdings zurückhaltend: "Ich bin mit dem Paket zufrieden, natürlich vor allem im Vergleich zu dem, was vor einem Jahr auf dem Tisch lag. Das ist ein riesiger Fortschritt." Gauweiler und sein Prozessvertreter, Dietrich Murswiek, sprechen sich jedoch für einen Vorbehalt, also eine zusätzliche Erklärung bei der Ratifizierung aus. Nur so könnten mögliche Widersprüche zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen und solchen nach dem Grundgesetz vermieden werden. Hintergrund der Forderung: Das Bundesverfassungsgericht hat den Vertrag von Lissabon "nach Maßgabe der Gründe" seiner Entscheidung für verfassungskonform erklärt. Juristen streiten nun darüber, ob die Bundesregierung sicherstellen muss, dass der Vertrag nur in der Auslegung für Deutschland verbindlich wird, die sich aus den Urteilsgründen ergibt. Die Mehrheit der Sachverständigen hat dies abgelehnt; jedenfalls sei es keine zwingende Vorgabe des Gerichts. Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) ging in der Plenardebatte sogar noch einen Schritt weiter: "Das schadet Europa.