Inneres
Präsenz der Polizei, Flüchtlingspolitik, Bürgerrechte - die Parteien setzen unterschiedliche Schwerpunkte
Deutschland ist Integrationsland." Im innenpolitischen Teil ihres Wahlprogramms räumen CDU und CSU dem Zusammenleben von Deutschen und Migranten deutlich mehr Raum ein als vor früheren Wahlen. Allerdings seien auch in einem weltoffenen, toleranten Land wie der Bundesrepublik gute Deutschkenntnisse die Voraussetzung für Bildung, Ausbildung und eine gelungene Integration. Auch für die Union ist Integration heute "eine Schlüsselaufgabe." In der nächsten Legislaturperiode will sie dazu unter anderem das Angebot an Integrations- und Sprachkursen ausweiten, Zwangsheiraten schärfer ahnden und die Zahl der Schulabbrecher halbieren. "Erfolgreiche Integration bedeutet für uns Identifikation mit unserem Land, gleichberechtigte Teilhabe und Verantwortung." Ein kommunales Wahlrecht für alle Ausländer lehnen CDU und CSU allerdings ebenso ab wie doppelte Staatsbürgerschaften.
Im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus setzt die Union unter anderem auf eine sichtbare Präsenz der Polizei und den verstärkten Einsatz von Videokameras auf Straßen und Plätzen. Jugendliche Straftäter sollen zur Abschreckung auch in den sogenannten Warnarrest genommen werden können. Kriminelle Ausländer und Terrorverdächtige wollen sie schneller ausweisen. In Fällen akuter Terrorgefahr soll die Bundeswehr auch über das bisher erlaubte Maß hinaus im Inland eingesetzt werden dürfen.
Die SPD verfolgt bei der Integration eine ähnliche Linie wie die Union. Sie plädiert für verstärkte Anstrengungen in der Bildung und eine "Kultur der Anerkennung, die kulturelle Vielfalt nicht leugnet". Neben der besseren Anerkennung von Berufs- und Universitätsabschlüssen aus anderen Ländern versprechen die Sozialdemokraten auch eine großzügigere Praxis beim Nachzug von Ehegatten, eine leichtere Rückkehr von zwangsverheirateten Frauen und Mädchen sowie eine Asyl- und Flüchtlingspolitik, die die "humanen Spielräume" stärker nutzt. Doppelte Staatsbürgerschaften akzeptiert die SPD im Prinzip: "Die Menschen sollen sich mit dem Land ihrer Herkunft und mit Deutschland identifizieren."
Eine gute Bildungspolitik ist danach auch eine gute Sicherheitspolitik: "Es gibt einen Zusammenhang zwischen Armut, Chancenlosigkeit und Kriminalität." Im Kampf gegen die zunehmende Gewalt setzt die SPD auf eine schnelle Bestrafung jugendlicher Täter und ein noch strengeres Waffenrecht. Obwohl Deutschland bereits jetzt eines der restriktivsten Waffengesetze der Welt habe, sollen die Kontrollen von Sportschützen und Jägern verschärft werden.Größere Änderungen an den Anti-Terror-Gesetzen plant die Partei nicht: Die Sicherheitsbehörden seien in den vergangenen Jahren bereits personell verstärkt worden und auch technisch "auf der Höhe der Zeit." Den Einsatz der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr im Inneren lehnt die SPD weiter ab. Auch an der strikten Aufgabenteilung zwischen der Polizei und den Geheimdiensten will sie festhalten.
Auf gut funktionierende Nachrichtendienste möchte auch die FDP nicht verzichten. Allerdings pocht sie auf eine bessere parlamentarische Kontrolle und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden von Bund und Ländern. Zu einer funktionierenden Sicherheitsarchitektur gehören für die Liberalen auch eine neue nationale Küstenwache und effizientere Strukturen beim Zivil- und Katastrophenschutz. Das bestehende Nebeneinander dort müsse überwunden werden. Bundeswehreinsätze im Inneren, die über die schon bestehenden Möglichkeiten hinausgehen, lehnen auch die Liberalen ab. Auf keinen Fall dürfe Sicherheit zu Lasten der Freiheit gehen, fordert die FDP. Wörtlich heißt es in ihrem Wahlprogramm: "Eine Gesellschaft ist nicht freier, je intensiver ihre Bürger überwacht, kontrolliert und beobachtet werden." Und: "Seit 1998 hat ein dramatischer Abbau an Bürgerrechten stattgefunden."
Zu einer "bürgerrechtsorientierten Innenpolitik" gehört demnach auch eine Art Grundrecht auf Datenschutz. Außerdem will die FDP die Meldedaten der Bürger besser schützen, das alte Bankgeheimnis wiederherstellen und die umstrittene Datenspeicherung auf Vorrat beenden. Den Umbau des Bundeskriminalamtes (BKA) zu einem "deutschen FBI" lehnt sie ebenso ab wie das automatische Erfassen von Kfz-Kennzeichen oder die Nutzung von Mautdaten zur Strafverfolgung.
Die Linkspartei beruft sich bei ihren innenpolitischen Forderungen unter anderem auf den italienischen Schriftsteller Umberto Eco: "Demokratie heißt nicht, dass die Mehrheit Recht hat. Die Mehrheit hat das Recht, zu regieren." Die Partei selbst bekämpft nach eigenen Angaben vor allem "eine konservative Sicherheitspolitik, die einseitig die Polizei aufrüstet und immer neue Strafvorschriften schafft". Der Ausbau des Bundeskriminalamtes zu einer zentralisierten Polizei müsse daher gestoppt und der Einsatz der Bundeswehr als Hilfspolizei verhindert werden.
Zu den weiteren Forderungen der Linken gehören unter anderem die völlige Aufgabe aller Geheimdienstaktivitäten, ein deutlich besserer Datenschutz und eine Rückkehr zum alten, 1992 gelockerten Asylrecht. Dabei sollen auch Frauen, die vor geschlechtsspezifischer Gewalt wie der Genitalverstümmelung fliehen, Asyl in Deutschland erhalten. Die Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnheimen, ihre Unterstützung mit Hilfe von Sachleistung anstatt von Geld und das Verbot, zu arbeiten, lehnen die Linken als diskriminierend ab.
Darüber hinaus plädiert Die Linke für einen Ausbau der Prozesskosten- und Beratungshilfe für Einkommensschwache, für höhere Geldstrafen für Vermögende - und für eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen soll danach offensiver geführt und der Einsatz von V-Leuten des Verfassungsschutzes in der NPD beendet werden. Den Feinden der Demokratie müsse der deutsche Staat entschieden entgegen treten.
In den innenpolitischen Kapiteln des Programms von Bündnis 90/Die Grünen spielen der Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte der Bürger ebenfalls eine zentrale Rolle. "Die Bedrohung durch Terrornetzwerke", heißt es dort, "kann nicht durch zentralisierte und ungezielte Massenüberwachung bekämpft werden." Überdies werde Deutschlands bewährte Sicherheitsarchitektur durch die zunehmende Verschmelzung von Polizeiarbeit und Geheimdiensten gefährdet und geschwächt. Dieser "Politik des permanenten Ausnahmezustandes" erteilen die Grünen eine klare Absage: "Wer im Namen der Sicherheit die Freiheit opfert, der verliert am Ende beides." Die Grünen lehnen auch die Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat und die umstrittene Online-Durchsuchung ab. Der Datenschutz gehört für die Grünen nicht nur ins Grundgesetz - bei Verstößen sollen Opfer in Zukunft auch Anspruch auf Schadenersatz haben. "Der Mensch hat ein Recht darauf, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden", betonen die Grünen.
Zu einer modernen Innenpolitik zählen die Grünen auch das kommunale Wahlrecht für Ausländer, einen erleichterten Familiennachzug, eine großzügigere Flüchtlingspolitik und eine bessere Integration am Arbeitsplatz. Das Waffenrecht wollen die Grünen sogar noch strenger formulieren als die SPD. So soll der Besitz von Schusswaffen in privaten Wohnungen grundsätzlich verboten sein, Sportwaffen dürften nur noch in den Vereinen gelagert werden; großkalibrige Waffen sollen für den Schießsport generell verboten werden.