ARBEITSMARKT
Breit gefächertes Themenfeld vom »Green New Deal« bis zur Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit
Wo ist die Untergrenze für die Entlohnung von Arbeit? In den Programmen zur Bundestagswahl legen die Parteien einen Schwerpunkt auf die Arbeitsmarktpolitik. Dabei gibt es klein aussehende, aber weit reichende Unterschiede: Zwischen dem Mindesteinkommen, das die Union will, und dem Mindestlohn, den SPD, Grüne und Linke fordern, liegen trotz des Gleichklangs Welten.
Für die CDU/CSU ist wichtig, "dass die Lohnfindung nicht verstaatlicht wird, sondern Aufgabe der Tarifpartner bleibt". Sie propagiert: "Wer Vollzeit arbeitet, soll in der Regel von seinem Einkommen leben können." Dies soll durch das Arbeitnehmerentsendegesetz gewährleistet werden. An dessen Stelle trete, wo die Tarifbindung fehlt, das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Und: "Zur Verhinderung von Lohndumping wollen wir das Verbot sittenwidriger Löhne gesetzlich klarstellen."
"Mit dem Mindestlohn werden Arbeitsplätze zerstört", setzt sich die Union vom Noch-Koalitionspartner SPD ab. Stattdessen machen sich CDU und CSU für ein "Mindesteinkommen für Alle" stark, das ein menschenwürdiges Leben garantieren soll. "Falls erforderlich", werde dies durch eine "Kombination aus fairen Löhnen und ergänzenden staatlichen Leistungen" geschehen. Dabei gelte: "Wer arbeitet, muss mehr haben, als wer nicht arbeitet."
Kernbotschaft der SPD: "Unser Ziel ist ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn, der eine Grenze markiert, unter die Löhne nicht fallen dürfen" - festgesetzt von einer Kommission. Derzeit seien 7,50 Euro pro Stunde "eine sinnvolle Orientierungsmarke". Bei Vollzeitarbeit sollen Zuschüsse zum Einkommen - wie Kinderzuschlag und Wohngeld - so ausgelegt sein, "dass niemand, weil er oder sie Kinder hat, in die Grundsicherung für Arbeitsuchende abrutscht". Der Mindestlohn helfe auch, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen, weil viele Frauen noch in strukturell geringer bezahlten Bereichen arbeiteten.
Unmissverständlich stellt die FDP klar: "Die Tarifautonomie muss vor staatlichen Lohndiktaten geschützt werden." Deshalb lehnt sie Mindestlöhne ab und fordert stattdessen mehr Spielraum für betriebliche Regelungen. So soll der Kündigungsschutz "beschäftigungsfreundlicher" werden" und erst in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten gelten.
Die Grünen propagieren einen "Green New Deal": Eine Million Arbeitsplätze in den nächsten vier Jahren durch Investitionen in Ökologie, Bildung und Gesundheit - aber durch die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro die Stunde: Diese Forderungen der Grünen sind deckungsgleich mit dem SPD-Programm. Die Grünen propagieren ein "Progressivmodell", bei dem die Sozialversicherungsbeiträge bis zu einem Einkommen von 2.000 Euro sozial gestaffelt ansteigen und damit Geringverdiener von hohen Abgaben entlastet werden. Minijobs und Midijobs sollen im Gegenzug wegfallen. Zeitarbeitsbeschäftigte müssten "vom ersten Tag an wie die Stammbelegschaft bezahlt und behandelt werden".
Die Grünen machen klar: "Eine Schwächung der Tarifautonomie ist mit uns nicht zu machen." Ganz im Gegenteil sollten "auch und gerade in Branchen mit geringer Tarifbindung" die Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden.
Die Linke hat einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde in ihr Wahlprogramm geschrieben. Leiharbeit will sie "strikt begrenzen" . Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen wie die Stammbelegschaft zuzüglich einer "Flexibilitätsvergütung" sollen helfen, Leiharbeit zurückzudrängen - bei einer ohnehin maximalen Ausleihdauer von sechs Monaten.
Die gesetzliche Höchstarbeitszeit muss nach Ansicht der Linken auf 40 Wochenstunden begrenzt werden. Die 35-Stunden-Woche und weitere tarifliche Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich will sie "mit den Gewerkschaften durchsetzen". Praktika sollen mit mindestens 300 Euro im Monat vergütet werden. Die Rechte von abhängig Beschäftigten mit Kindern müssten gestärkt werden - von Kündigungsschutz bis Arbeitszeitmodellen, mit denen die "Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Familienarbeit und individueller Lebensgestaltung verbessert wird".
Die Union will mehr Sicherheit für Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren; dazu die Förderung der privaten Altersvorsorge zur Verhinderung künftiger Altersarmut. Daher drängt sie darauf, den Freibetrag beim Schonvermögen (Sozialgesetzbuch II) "pro Lebensjahr wesentlich zu erhöhen" und die selbstgenutzte Immobilie umfassender zu schützen.
"Fördern und Fordern": Die Union beschwört dieses Prinzip, an dem die Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgerichtet sein soll. Das heißt: Der Anreiz zur Arbeitssuche soll durch neue Hinzuverdienstregelungen und durch konsequente Missbrauchsbekämpfung verstärkt werden.
Der "Verteidigung und Stärkung der Arbeitnehmerrechte" misst die SPD einen hohen Stellenwert zu - vom Kündigungsschutz bis zur Wahl von Betriebsräten. "Wir brauchen starke Gewerkschaften", propagiert sie. Sie will Leiharbeitsverhältnisse besser absichern - von einer Lohnuntergrenze bis zum Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Die SPD beklagt, dass Qualifizierungs- und Karrierechancen von Teilzeitbeschäftigten oftmals noch unzureichend und die Bezahlung nicht existenzsichernd sei. Besonders betroffen seien Frauen. Sie verspricht: "Wir werden Maßnahmen ergreifen, die die rechtlichen Bedingungen für die (Wieder-) Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung verbessern und mehr Teilnahmemöglichkeit an beruflicher Qualifizierung bieten."
Alleinstellungsmerkmal der FDP: "Wir wollen die Bundesagentur für Arbeit auflösen." Den Arbeitssuchenden solle auf kommunaler Ebene "bürgerfreundlicher, unbürokratischer und schneller" geholfen werden. Hartz IV einschließlich der Leistungen für Wohnen und Heizung sollen nach den Vorstellungen der Liberalen in einem Bürgergeld aufgehen, bei dem zugleich pauschal auch die übrigen Sozialtransfers berücksichtigt werden. Der Bürgergeldanspruch für einen Alleinstehenden ohne Kinder beträgt nach FDP-Vorstellungen 662 Euro pro Monat. Das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger will die FDP deutlich anheben.
Die Linke setzt sich für die Abschaffung von Hartz IV ein. An Stelle von Hartz IV solle eine "bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung" treten. Als Sofortmaßnahme müsse eine Regelsatz-Anhebung auf 500 Euro erfolgen. Die Linke fordert ein "Zukunftsprogramm für zwei Millionen Arbeitsplätze" - mit jährlichen Investitionen von 100 Milliarden Euro in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruktur und Verkehr. Zudem solle ein 100 Milliarden umfassender "Zukunftsfonds" eingerichtet werden - "für die zukunftsfähige, sozial-ökologische Entwicklung industrieller Arbeitsplätze".
Die Grünen wollen eine Grundabsicherung, "die es mit der Selbstbestimmung und der Würde von Menschen ohne Arbeit oder in sonstigen Notlagen ernst nimmt". Daher müssten die Regelsätze für Hartz-IV-Bezieher sofort auf 420 Euro erhöht werden, verlangen sie. Zudem gelte es, die Zumutbarkeitsregelungen zu entschärfen und zusätzlichen Verdienst anders zu bewerten. Neben den 100 Euro, die jetzt schon nicht angerechnet werden, solle jeder darüber verdiente Euro mit mindestens 50 Prozent bei den Arbeitslosen verbleiben - bis zu einer Höhe von 400 Euro.