STIMMAUSZÄHLUNG
Aus der Wahlkabine in Dittersbach zum Bundeswahlleiter nach Berlin
Die Bilder erreichten uns unlängst aus Afghanistan: Mit Wahlurnen schwer bepackte Lastesel, die insbesondere aus den zerklüfteten Bergregionen an der Grenze zu Pakistan die Wahlzettel zum Ort der Auszählung bringen sollten - ein Weg voller Risiken und Schwierigkeiten. Das sieht im Deutschland des Jahres 2009 selbstverständlich anders aus. Etwa in dem 600-Seelen-Dorf Dittersbach, gelegen in der bergigen Oberlausitz an der Grenze zu Polen, zwischen Görlitz und Zittau. In der zu Bernstadt auf dem Eigen gehörenden Gemeinde sind am 27. September 450 Wahlberechtigte dazu aufgerufen, ihre Stimme bei der Wahl des 17. Deutschen Bundestages abzugeben. Sie tun dies im Ortschaftsbüro "Alte Schule", erzählt der Bernstädter Bürgermeister Gunter Lange. In seinem Amtsbereich gibt es insgesamt vier Wahlbezirke, die dem Wahlkreis 158 Görlitz angehören.
Punkt 18 Uhr schließt auch in Dittersbach das Wahllokal im Wahlbezirk 03. Vor Ort werden dann durch den Wahlvorstand öffentlich die abgegebenen Stimmzettel ausgezählt. Unter Aufsicht des Wahlvorstehers, der gleichzeitig der Ortsvorsteher ist. Kann eigentlich jeder Wahlvorsteher werden? Im Grunde ja, sagte Lange, aber: "Wir haben natürlich unsere Stammbesetzungen. Schließlich wollen wir als Verwaltung, dass es auch gut funktioniert." Die ausgezählten Ergebnisse übermittelt der Wahlvorsteher als "Schnellmeldung" telefonisch ins Bernstädter Rathaus. Was, wenn es nun in der Leitung knistert, der Wahlvorsteher nuschelt oder sich in einer Spalte vertut? "Die Zahlen werden noch zweimal rückgefragt und abgeglichen", beruhigt der Kreiswahlleiter Günther Rausch.
Liegen in Bernstadt die Auszählungsergebnisse aller vier Wahllokale und auch das Ergebnis der Briefwahl vor, werden sie online als "vorläufiges Ergebnis" nach Kamenz geschickt. Dort befindet sich das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen. In Kamenz unterwirft man die Zahlen einer Plausibilitätskontrolle. "Logische Fehler" sollen so erkannt werden, sagt Rausch - etwa wenn die Zahl der angeblich abgegebenen Stimmen über der der Wahlberechtigten liegt.
Kreiswahlleiter Rausch hat derweil die Gemeinden seines Wahlkreises im Überblick. Nachdem auch er noch einmal die Plausibilität der Ergebnisse überprüft hat, muss er den Wahlkreis "freischalten". Damit werden die Zahlen durch das Statistische Landesamt als "vorläufiges Ergebnis" des Wahlkreises freigegeben. Frühestens gegen 22 Uhr, sagt Rausch, sei damit zu rechnen.
In Kamenz werden die Ergebnisse der Zweitstimmen aus ganz Sachsen entgegen genommen und zum sogenannten Landesergebnis komplettiert. Das wird dann an den Bundeswahlleiter weitergeleitet. Liegt das gesamte Bundesergebnis vor, wird in Kamenz ausgerechnet, wie viele Vertreter welcher Parteien aus Sachsen über die Landeslisten in den Bundestag einziehen werden. Die Landeswahlleiterin, Professor Irene Schneider-Böttcher, Präsidentin des Statistischen Landesamtes Sachsen, verkündet dann gegen 24 Uhr das vorläufige Endergebnis für ihr Bundesland.
Während also die Ergebnisse in aller Regel online übermittelt werden, ist die Wahlentscheidung per Mauklick (noch) nicht möglich. Wer am Wahlsonntag das Wahllokal nicht aufsuchen kann oder will, hat jedoch die Möglichkeit der Briefwahl, die in den vergangenen Jahren eine immer größere Bedeutung erlangte. Da inzwischen nicht mehr begründet werden muss, warum man am Wahltag nicht persönlich seinen Wahlzettel ausfüllen kann, wie noch bei der Wahl 2005, dürfte sich der damals erreichte Wert von 18,5 Prozent weiter erhöhen.
Angewiesen auf die Briefwahl sind die im Ausland lebenden Deutschen. Die Antragsfrist für diejenigen, die nicht mehr in Deutschland gemeldet sind für die Eintragung in das Wählerverzeichnis ist allerdings am 6. September 2009 abgelaufen. Deutsche, die während ihres Aufenthalts im Ausland weiterhin in Deutschland gemeldet sind, werden von Amts wegen in das Wählerverzeichnis ihrer Gemeinde eingetragen und können ihr Wahlrecht durch Briefwahl ausüben, so sie bei ihrer ehemaligen Heimatgemeinde einen entsprechenden Antrag gestellt haben.
In Ländern, in denen der Postweg als unzuverlässig gilt, lässt das Auswärtige Amt die Mitnutzung des Kurierweges zu. Möglich ist das nicht nur in Mauretanien und der Mongolei, sondern auch in Russland und Argentinien. Ihr Wahlkreuz machen können auch Soldaten, die sich im Auslandseinsatz befinden - ebenfalls per Briefwahl. Ihre Wahlentscheidung wird mit der Feldpost in die heimatliche Briefwahlurne geschickt.
Ob einer der berühmtesten im Ausland lebenden Deutschen sein Wahlrecht ausübt, ist unklar. Joseph Ratzinger, jetzt Papst Benedikt XVI., hat zwar einen deutschen Pass und damit auch ein Wahlrecht. Doch schon bei der Wahl 2005 verwies der Vatikan darauf, dass Benedikt immerhin "Oberhaupt eines anderen Staates" sei. Die Wahlunterlagen sind ihm jedenfalls "wie jedem anderen Bürger auch" an seine deutsche Meldeadresse zugestellt worden, ist aus der Verwaltung seiner Heimatgemeinde Pentling zu erfahren. Ob der Heilige Vater die Briefwahlunterlagen angefordert hat, will man indes nicht sagen. Letzte Gewissheit über das Wahlverhalten des Oberhaupts der katholischen Kirche wird es wohl nicht geben. Und das ist auch gut so: Schließlich gilt auch für Joseph Ratzinger das Wahlgeheimnis.