RÜCKBLICK
Ein Streifzug durch 16 Bundestagswahlen
Als die Westdeutschen am 14. August 1949 den ersten Bundestag wählten, sahen sich manche an die Parteienzersplitterung der Weimarer Republik erinnert: Neben der CDU/CSU als stärkster Kraft mit 31,0 Prozent, der SPD mit 29,2 Prozent und der FDP mit 11,9 Prozent hatten die Wähler Abgeordnete von sieben weiteren Parteien in das Parlament entsandt, von der - 1956 verbotenen - KPD bis zur "Deutschen Konservativen Partei - Deutschen Rechtspartei" (DKP-DRP).
Das lag auch am "Wahlgesetz zum ersten Bundestag". In ihm war zwar eine Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in die Volksvertretung festgelegt, doch musste sie nur in einem Bundesland übersprungen werden, um Mandate erringen zu können. So trat etwa die DKP-DRP nur in vier Ländern an und kam insgesamt auf 1,8 Prozent, in Niedersachsen aber auf landesweit 8,1 Prozent und damit auf fünf Mandate.
Konrad Adenauer (CDU), zuletzt Präsident des Parlamentarischen Rates, setzte nach der Wahl in der Union ein Regierungsbündnis mit der FDP und der Deutschen Partei (DP) statt einer auch möglichen großen Koalition durch. Am 15. September wurde er mit nur einer Stimme Mehrheit zum "Gründungskanzler" gewählt.
Bei der zweiten Bundestagswahl 1953, bei der es erstmals Erst- und Zweitstimmen gab, war die Fünf-Prozent-Hürde verschärft: Nun mussten mindestens fünf Prozent aller bundesweit abgegebenen Zweitstimmen oder - wie 1949 - mindestens ein Direktmandat errungen werden, um entsprechend dem Zweitstimmenergebnis ins Parlament einzuziehen.
Die Union konnte 1953 massiv zulegen und bildete eine Koalition mit FDP, DP und dem im Parlament neu vertretenen "Gesamtdeutschen Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten". Dieser hatte 5,9 Prozent der Stimmen geholt, während Abgeordnete der DP (3,3 Prozent) und des Zentrums (0,8 Prozent) nach Wahlabsprachen mit der Union in den Bundestag gelangten. Als die DP 1957 noch einmal aufgrund solcher Absprachen neben Union, SPD und FDP ins Parlament einzog, galt bereits ein neues Bundeswahlgesetz, das sich nicht wie seine Vorgänger von 1949 und 1953 auf nur jeweils eine Bundestagswahl bezog, sondern allgemein galt. Mit dem Gesetz, das auch die Briefwahl einführte, wurde die zur Umgehung der Fünf-Prozent-Hürde erforderliche Zahl an Direktmandaten auf drei erhöht.
Bei der Wahl von 1957, an der erstmals auch die Saarländer teilnahmen, errang die Union mit 50,2 Prozent die absolute Mehrheit - was zum einzigen Mal in der Bundestagsgeschichte gelingen sollte. Vier Jahre später dann waren CDU/CSU, SPD und FDP nach der Wahl von 1961 im Bundestag unter sich - und blieben das bis 1983.
Nachdem die Union 1961 die absolute Mehrheit wieder verloren hatte, machte die FDP eine Koalition vom Rücktritt Adenauers während der neuen Wahlperiode abhängig. 1963 folgte dem damals 87-Jährigen als Kanzler sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, unter dem die CDU/CSU bei der Wahl 1965 wieder Stimmengewinne verbuchen konnte. Die fortgesetzte Koalition mit der FDP zerbrach indes schon im Folgejahr, und so kam es ohne erneutes Wählervotum von 1966 bis 1969 zur ersten großen Koalition unter dem neuen Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU), der damals dem Bundestag nicht angehörte - wie auch sein Vize Willy Brandt (SPD).
Letzterer konnte nach zwei vergeblichen Anläufen als Kanzlerkandidat nach der Wahl 1969 den CDU-Kanzler ablösen: Zwar war die Union mit 46,1 Prozent erneut stärkste Kraft geworden, doch verständigten sich SPD und FDP auf die sozialliberale Koalition. Sie wurde bei der Bundestagswahl von 1972, bei der erstmals das aktive Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt war, bestätigt; die SPD überrundete die Union als stärkste Fraktion. Zugleich wurde die höchste bislang bei Bundestagswahlen erreichte Wahlbeteiligung registriert: Hatte sie 1949 bei 78,5 Prozent gelegen und danach um die 87 Prozent gependelt, betrug sie nun 91,1 Prozent und sackte auch 1976 nur leicht ab, als sich die SPD/FDP-Koalition unter Brandt-Nachfolger Helmut Schmidt (SPD) erneut gegen die Union durchsetzte, die indes wieder stärkste Fraktion wurde. Bei der Wahl 1980 fand sich ebenfalls eine Mehrheit für die sozialliberale Koalition, doch wurde Schmidt im Herbst 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt.
Nach vorzeitiger Parlamentsauflösung wurde die neue Koalition von Union und FDP unter Helmut Kohl (CDU) im März 1983 bestätigt, ebenso wie bei den Wahlen 1987, 1990 und 1994: Mit 16 Jahren absolvierte Kohl die längste Amtszeit aller Kanzler.
Bei der Wahl von 1983 gelang mit den Grünen erstmals seit 30 Jahren einer neuen Partei der Sprung ins Parlament. Im Gegensatz zu 1987 verpassten sie bei der ersten gesamtdeutschen Wahl Ende 1990 im Westen den Wiedereinzug, während in den neuen Ländern die Listenverbindung Bündnis 90/Die Grünen die in West und Ost damals separate Fünf-Prozent-Hürde nahm und als Bundestagsgruppe ins Parlament kam. Auch die PDS überwand 1990 die Ost-Hürde und zog in Gruppenstärke in den Bundestag ein, ebenso 1994, als sie unter fünf Prozent blieb, aber vier Direktmandate holte, während die nun vereinigten Ost- und West-Grünen wieder in Fraktionsstärke auftraten.
Das gelang der PDS erst 1998, als die Wähler wieder die SPD zur stärksten Kraft machten und den Weg für die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ebneten. Bei deren Bestätigung 2002 blieben für die PDS dagegen nur zwei Direktmandate. Als Linkspartei kam sie dann bei der vorgezogenen Neuwahl 2005 erneut auf Fraktionsstärke, wobei die Wahlbeteiligung mit 77,7 Prozent den vorherigen Tiefstwert von 77,8 Prozent im Jahr 1990 unterbot. Die Union wurde knapp vor der SPD größte Fraktion und stellte in der zweiten großen Koalition mit Angela Merkel (CDU) die erste Frau an der Spitze der Regierung.