6. April 2011
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"Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste
Informations- und Kommunikationsforum der Welt und trägt
maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei."
So lautet der erste Satz des Einsetzungsbeschlusses der
Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, den der
Kommissions-Vorsitzende Axel E. Fischer (CDU/CSU) am 6. April 2011
vor elf Bloggern und drei Bloggerinnen zitierte. Selten in der
Geschichte der Enquete-Kommission wurde die Bedeutung des Satzes so
greifbar wie in dieser Runde: Die internationalen Blogger und
fünf deutsche Abgeordneten kamen im Rahmen einer Bloggerreise
auf Einladung des Auswärtigen Amtes im Bundestag zusammen.
Durch Besuche bei Verfassungsorganen, Medien und
Nichtregierungsorganisationen können die Blogger die
politische Situation in Deutschland kennenlernen.
Informationen aus erster Hand
Im Gegenzug bot das Treffen den Mitgliedern der Internet-Enquete
die wertvolle Chance, sich aus erster Hand über die
Erfahrungen der Blogger zu informieren: "Wir sind froh, dass wir
die Gelegenheit haben, mit Ihnen zu sprechen", begrüßte
Fischer die internationalen Gäste im Jakob-Kaiser-Haus des
Deutschen Bundestag und stellte die Arbeit der Enquete-Kommission
vor.
Fragen von beiden Seiten dokumentierten das gegenseitige
Interesse. So fragten die Abgeordneten die Besucher, wie ihre
Erfahrungen mit Repressionen seien, wie sich andere Staaten
politisch beziehungsweise auf parlamentarischer Ebene mit der
Zukunft des Internet auseinander setzten und wie Bemühungen
zum Beispiel der deutschen Enquete-Kommission aus der
Außenperspektive wahrgenommen würden.
Tunesien: Situation verbessert, aber instabil
Die Blogger gaben einen Eindruck über die sehr
unterschiedlichen Voraussetzungen in ihren jeweiligen
Herkunftsstaaten. In Tunesien, so berichtete ein Teilnehmer, sei
die Situation für Blogger vor der Revolution katastrophal
gewesen. Es habe verschiedene Typen von Bloggern gegeben, etwa
politische Aktivisten, die am stärksten verfolgt wurden und
von denen viele inhaftiert wurden.
Zudem habe es Blogger aus Akademikerkreisen gegeben. Sie seien
teilweise in der Lage gewesen, die Zensurmethoden der Regierung zu
umgehen und hätten technische Wege gefunden, ihre Meinung zu
äußern. Die Revolution habe die Situation grundlegend
verändert, das Internet werde nicht mehr als Gefahr gesehen
und der Staat gebe sich progressiv und modern. Die Aufgabe der
Blogger sei nun, dafür zu sorgen, dass die früheren
Zustände für immer der Vergangenheit angehören und
eine größere Nähe zu den Regierenden herzustellen.
Von großem Interesse sei es deshalb, in Staaten wie
Deutschland Informationen darüber zu sammeln, wie die
Meinungsfreiheit rechtlich und gesellschaftlich fest etabliert
werden könne.
Regierung gegen Internetaktivisten
Blogger aus anderen Staaten berichteten auch von aktuellen
Repressalien. Blogs würden gelöscht, die Regierung gehe
gezielt gegen Internetaktivisten vor. Einige Aktivisten hätten
lange Freiheitsstrafen erhalten. Berichtet wurde auch über
Organisationen, die die Regierungslinie unterstützten, indem
sie spezielle Software gegen Kritiker entwickle, die kritische
Meinungen aus sozialen Netzwerken herausfiltere oder automatische
Löschmechanismen zur Kontrolle von Blogs etabliere.
Blogs: wichtigste Informationsquelle
Dass fehlende Meinungsfreiheit eng mit anderen Problemen
verknüpft ist, zeigten die Berichte einiger anderer
Teilnehmer. Das größte Problem sei aus seiner Sicht
Korruption und Armut, erläuterte ein Blogger. Ein anderer
benannte mafiöse Strukturen und Wirtschaftskorruption als
Probleme, die in der Folge Blogs zur wichtigsten unabhängigen
Informationsquelle machten. Die staatlichen Medien seien von der
Regierung kontrolliert, sagte ein Teilnehmer, was das Internet zu
einem "kleinen Fenster zur Freiheit" mache.
"How do you control blogs?"
Einige Fragen der Blogger zielten auf konkrete Fragen zum
Internet ab. So wollte ein Teilnehmer wissen, ob es ein spezielles
Internet-Recht in Deutschland und Regelungen zum Urheberrecht im
Internet gebe und ob Internetseiten grundsätzlich denselben
Status hätten wie Massenmedien. Und schließlich: Wie
werden in Deutschland Blogs kontrolliert? Sie würden nicht
kontrolliert, erläuterten die Abgeordneten. Grundsätzlich
gelte das Prinzip der Meinungs- und Medienfreiheit. Betreiber
würden belangt, wenn sie Personen beleidigten oder gegen das
Gesetz verstießen, doch selbst extremistische Parteien
könnten nur durch einen Beschluss des Verfassungsgerichts
verboten werden.
Die Abgeordneten legten dar, dass es allerdings auch in Deutschland
Grenzen gebe. In Fällen, in denen etwa verfassungswidrige
Ansichten im Internet vertreten werden, müsse entschieden
werden: Ist das noch freie Meinungsäußerung oder bereits
verfassungswidrig und ein Verstoß gegen die freiheitliche
Grundordnung? Darüber würden Gerichte urteilen. An dieser
Stelle werde jedoch das Problem der internationalen
Rechtsdurchsetzung deutlich, denn Inhalte, die zum Beispiel in den
USA veröffentlicht und in Deutschland als verfassungswidrig
gelten, kämen im Internet trotzdem bei uns an. Allerdings, so
der Tenor bei den Abgeordneten, sei das im Vergleich mit den
Problemen mancher der anwesenden Blogger allenfalls "Jammern auf
hohem Niveau".
Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Unabhängigkeit von der
Wirtschaft
Tatsächlich haben einige Staaten neben Fragen der
Netzpolitik noch ganz andere Probleme zu lösen. Deutlich wurde
das durch die Fragen eines Teilnehmers nach dem Thema
Sozialversicherung. Das deutsche System sei für ihn
interessant, da seine Regierung gerade dabei sei, ein
Sozialversicherungssystem zu entwickeln. Und so bezog sich die
letzte Frage eines Bloggers an die Abgeordneten dann auch nicht auf
das Internet, sondern auf die Demokratie im Allgemeinen: Welche
Ratschläge die Abgeordneten an junge Demokratien haben?
Meinungsfreiheit, freie Wahlen mit öffentlichen
Auszählungen, Unabhängigkeit von einzelnen
Wirtschaftsunternehmen, antworteten die Abgeordneten –
Grundlagen, die sich die junge Bundesrepublik Deutschland vor
über 65 Jahren unter dem Eindruck der Diktatur ganz bewusst
gegeben hat.
Hintergrund: Bloggerreise des Auswärtigen
Amtes
Der Besuch im Bundestag stand für die Blogger gleich zu
Beginn ihrer achttägigen Deutschlandreise auf dem Programm. In
den kommenden Tagen reisen sie unter anderem nach Hamburg. Geplant
sind auch Treffen mit deutschen Bloggern und anderen
Medienvertretern. Neben dem Zusammentreffen mit den
Enquete-Mitgliedern stand im Bundestag eine Einführung
über die deutsche Blogosphäre durch den Journalisten
Robin Meyer-Lucht und ein Vortrag des Medienrechtlers Jan
Mönikes über die rechtlichen Rahmenbedingungen für
Blogger in Deutschland auf dem Programm.