In der Familienpolitik hat sich innerhalb weniger Jahre ein Paradigmenwechsel vollzogen. Familienförderung zielt nicht länger vor allem darauf ab, Eltern finanziell zu stärken. Vielmehr legt die Große Koalition das Schwergewicht in der Familienpolitik heute auf eine verbesserte Vereinbarkeit von Kind und Karriere. Das Elterngeld, der Krippenausbau und das neue Unterhaltsrecht markieren den neuen Ansatz. Die Politik reagiert damit auf den gesellschaftlichen Wandel und beschleunigt ihn zugleich.
Die „Familien stehen im Zentrum
der Politik der großen
Koalition”, sagt die Bundeskanzlerin.
Diese Feststellung
Angela Merkels während der
Haushaltsdebatte im Bundestag zeigt,
dass die Zeiten, in denen ein Kanzler
Familienpolitik noch abschätzig als „Gedöns”
bezeichnen konnte, vorbei sind.
Mit dem Elterngeld, dem Ausbau der
Krippen und der Reform des Unterhaltsrechts
haben Union und SPD auf den
gesellschaftlichen Wandel in Deutschland
reagiert und neue Akzente gesetzt.
Eine bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf ist das familienpolitische
Leitmotiv der Koalitionäre. Denn
hier, so wird Bundesfamilienministerin
Ursula von der Leyen nicht müde zu erklären,
habe Deutschland noch enormen
Nachholbedarf.
Zu Beginn der „neuen Familienpolitik”
stand die Erkenntnis, dass in
Deutschland der Staat mit jährlich rund
185 Milliarden Euro zwar viel Geld für
die Familienförderung ausgibt, aber dennoch
Jahr für Jahr immer weniger Kinder
geboren werden. Seit den 90er-Jahren
dümpelt die Geburtenrate bei rund 1,3
Kindern pro Frau.
Ein weiterer Missstand: Viele junge,
oft gut ausgebildete Frauen fühlen
sich vor die Entscheidung gestellt, ob sie
Karriere oder Kinder wollen. Denn vor
allem in den alten Bundesländern mangelt
es an Betreuungsplätzen. Wie eine
Umfrage des Instituts für Demoskopie
Allensbach zeigt, hätte jede zweite derzeit
nicht berufstätige Mutter gern einen
Broterwerb, vorzugsweise eine Teilzeitstelle.
Doch vielerorts fehlt es an
Krippenplätzen
und Ganztagsschulen.
Nicht selten hapert es aber auch an
der partnerschaftlichen Arbeitsteilung
in der Familie. Denn selbst bei Doppelverdienereltern
sind Erziehung und
Betreuung der Kinder auch heute noch
primär Frauensache, wie die Allensbach-
Umfrage zeigt.
Die „neue Familienpolitik”, die
schon von der früheren rot-grünen Regierung
eingeleitet wurde und die CDUMinisterin
von der Leyen mit Hochdruck
und neuen Akzenten fortsetzt, bedeutet
einen Paradigmenwechsel. Ging es früher
in erster Linie darum, Familien finanziell
unter die Arme zu greifen, ist jetzt
das vorrangige Ziel, Eltern dabei zu unterstützen,
selbst für den Unterhalt ihrer
Kinder zu sorgen.
Das Elterngeld, das im vergangenen
Jahr das bisherige Erziehungsgeld
abgelöst hat, markiert diese veränderte
Schwerpunktsetzung. Die neue Geldleistung,
die in den ersten zwölf Monaten
nach der Geburt gezahlt wird, setzt
bei der Berufstätigkeit von Vater und
Mutter an. Denn es handelt sich um
eine Lohnersatzleistung. Wer von beiden
Elternzeit beantragt, erhält 67 Prozent
seines letzten Nettoeinkommens, maximal
1.800 Euro. Wer vor der Elternzeit
nicht erwerbstätig war, also vor allem
Arbeitslose, Studenten
und Hausfrauen,
bekommt den Sockelbetrag von 300
Euro. Zwei Monate
länger zahlt der
Staat, wenn beide Elternteile Elternzeit
beantragen.
Die leise Revolution
Um die beiden „Vätermonate” wurde
zu Beginn heftig gestritten. Vor allem
innerhalb der CSU gab es Widerstand,
von „Zwang zum Wickelvolontariat”
war die Rede. Inzwischen sind die Partnermonate
jedoch auch bei CDU und
CSU akzeptiert.
In der Gesellschaft hätten die Vätermonate
„eine leise Revolution ausgelöst”,
meint Familienministerin von der Leyen.
Und auch nach Einschätzung von Allensbach-
Chefin Renate Köcher „hat
sich bei den Vätern spürbar etwas getan”.
Den Wandel belegt der im Oktober
veröffentlichte Elternzeitbericht
der
Bundesregierung,
der ein positives Gesamturteil
der Bevölkerung und eine
deutlich gestiegene Beteiligung der Väter
an der Betreuung des Neugeborenen
feststellt. Tatsächlich schnellte der
Anteil der Väter, die wegen der Kindererziehung
eine berufliche Auszeit nehmen,
von 3,5 Prozent im Jahr 2006
auf 14 Prozent im laufenden Jahr in
die Höhe. Den Männern fällt es offenbar
leichter als früher, vor ihre Chefs zu
treten und eine Babypause zu fordern –
schließlich müssten sie ansonsten auf
das staatliche Geld verzichten. „Mit
den Partnermonaten schaffen wir eine
Bewusstseinsänderung nicht nur bei
den jungen Vätern, sondern auch in
den Chefetagen der Unternehmen”,
beobachtet
die Vorsitzende
des Familienausschusses
des Bundestages, Kerstin
Griese (SPD).
Allerdings beschränkt sich das
Gros der männlichen Elternzeitler bisher
auf die zwei Partnermonate, während
die Mütter in der Regel zwölf
Monate nehmen. Um diesen Unterschied
zu verringern, will Familienministerin
von der Leyen die Vätermonate weiter
ausdehnen.
Nicht alle Familien haben indes
von der Reform profitiert. Gut die Hälfte
der Eltern bekommt nur den Sockelbetrag
von 300 Euro, zum Teil ergänzt durch
einen Geschwisterbonus. Vor allem Hausfrauen,
Arbeitslose und Studenten sind
die Verlierer der Umstellung. Denn das
frühere Erziehungsgeld in gleicher Höhe
wurde zwei Jahre lang gezahlt.
Mit dem Elterngeld will die Große
Koalition erklärtermaßen erreichen, dass
die Mütter schneller als bisher wieder
in den Beruf zurückkehren. Zum einen
braucht die Wirtschaft angesichts
des Fachkräftemangels vor allem die
qualifizierten Frauen. Zum anderen zeigt
der im vergangenen Sommer von der
Bundesregierung vorgelegte Armutsund
Reichtumsbericht, dass Kinder nur
selten in prekären Verhältnissen leben,
wenn beide Eltern berufstätig sind. „Die
beste Prävention von Kinderarmut ist
die Erwerbstätigkeit der Eltern”, betont
Familienausschussvorsitzende Griese.
Auch die von Familienministerin
von der Leyen gestartete „Krippenoffensive”
dient dem Ziel, die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie zu erleichtern.
Bis 2013 soll sich die Zahl der
Betreuungsplätze für unter Dreijährige
auf 750.000 verdreifacht haben. Bislang
gibt es in den alten Bundesländern nicht
einmal für jedes zehnte Kleinkind ein
Angebot. In Ostdeutschland liegt die
Quote dagegen schon heute bei rund einem
Drittel. Diese Größenordnung soll in
fünf Jahren bundesweit erreicht werden.
Die starke Ausrichtung der Familienförderung
auf berufstätige Eltern
ist in der Koalition nicht unumstritten.
„Wir dürfen die Menschen nicht in ein
bestimmtes Familienmodell drängen”,
warnt der familienpolitische Sprecher
der Unionsfraktion im Bundestag, Johannes
Singhammer. „Die Eltern sollen
echte Wahlfreiheit haben und selbst entscheiden,
wie sie ihre Kinder betreuen.”
Die Union hat denn auch durchgesetzt,
dass Eltern, die ihre Kinder in
den ersten Jahren zu Hause selbst betreuen,
ab 2013 ein Betreuungsgeld erhalten
sollen. Die entsprechende Passage im
„Kinderförderungsgesetz” ist allerdings
vage gehalten. Eine spätere Regierung
soll die Details und die Höhe der
Leistung
regeln. Im Gespräch sind 150
Euro im Monat. Doch ob die neue Geldleistung
für Einverdienerfamilien wirklich
kommt, steht in den Sternen. Denn
nicht nur die SPD ist strikt dagegen,
sondern auch FDP, Grüne und Die
Linke. Die Kritiker des Betreuungsgeldes
warnen, dass gerade bildungsferne
Eltern lieber das Bargeld als den
Krippenplatz nehmen würden – zum
Nachteil ihrer Kinder.
Vorrang beim Unterhalt
Dass nicht mehr die Hausfrau, sondern
die berufstätige Mutter im Zentrum
der familienpolitischen Initiativen der
Großen Koalition steht, zeigt noch
eine weitere Reform, die von der Öffentlichkeit
bislang wenig beachtet
wird: die Novellierung des Unterhaltsrechts.
Unter dem Motto „Vorrang
für die Kinder” setzte Bundesjustizministerin
Brigitte Zypries die tiefgreifende Änderung durch, die auf lange Sicht viel mehr noch als der Krippenausbau
oder das Elterngeld die Familienwelt
verändern wird. Der Gesetzgeber
müsse auf den gesellschaftlichen Wandel
reagieren, argumentiert SPD-Ministerin
Zypries unter Hinweis auf die hohe
Scheidungsrate und die Zunahme von
„Patchworkfamilien” und nicht ehelichen
Lebensgemeinschaften mit Kindern.
Immerhin sind laut Statistik bei jeder
zweiten Scheidung Minderjährige betroffen.
Und nur noch drei Viertel der
Kinder wachsen heutzutage in einer klassischen
Familie auf, bei der Vater und
Mutter verheiratet sind. Dagegen leben
26 Prozent der Minderjährigen in einer
nicht ehelichen Lebensgemeinschaft oder
bei einem alleinerziehenden Elternteil.
Die Unterhaltsrechtsreform sieht
vor, dass die finanziellen Ansprüche von
Kindern stets Vorrang vor denen der geschiedenen
Expartner haben. Im zweiten
Rang folgen die Ansprüche der Mütter
von kleinen Kindern, unabhängig davon,
ob sie mit dem Unterhaltspflichtigen
verheiratet sind oder nicht. Erst dann
kommt der Expartner dran, der keine
minderjährigen Kinder zu versorgen
hat.
Geschiedene müssen sich nach einer
Erwerbstätigkeit umsehen, wenn ihr
jüngstes Kind drei Jahre wird. Bisher
dauerte die Schonfrist mindestens acht
Jahre. Damit hat der Gesetzgeber eheliche
und nicht eheliche Kinder nicht
nur beim Unterhalt, sondern auch im
Anspruch auf Betreuung durch die
Mutter rechtlich gleichgestellt. Denn
die Drei-Jahres-Frist galt in der Vergangenheit
nur für ledige Mütter.
Die Reform erleichtert die Gründung
einer Zweit- oder Drittfamilie.
Reicht das Geld des Unterhaltspflichtigen
nicht für alle, wird immer die jüngste
Beziehung – wenn Kinder vorhanden
sind – gegenüber den früheren begünstigt.
Weil solche Mangelfälle nicht die
Ausnahme, sondern die Regel sind, zählt
neben den Geschiedenen auch das Gros
der Scheidungskinder zu den Verlierern
der Reform: Wenn die Mutter – selten
ist es der Vater – als Alleinerziehende
weniger Unterstützung vom Expartner
erhält und sie keinen oder nur einen
schlecht bezahlten Job findet, steigen
mit ihr auch die Kinder sozial ab.
Mit dem neuen Unterhaltsrecht hat
die Koalition das klare Signal gegeben,
dass Mütter durch eine Ehe nicht mehr
abgesichert sind, sondern nur durch die
eigene Berufstätigkeit. Vollzeitmütter
dürften
deshalb auch im Westen immer
seltener werden. Und weit mehr
Kinder als heute werden von klein auf
bis ins Jugendalter ganztags betreut
werden. Um diesen Trend auch durch
entsprechende Angebote vor Ort zu fördern,
stellt der Bund nicht nur für neue
Krippen, sondern auch für zusätzliche
Ganztagsschulen erhebliche Steuermittel
zur Verfügung.
Kampf gegen Kinderarmut
Vor allem die SPD kämpft seit Langem
dafür, einen größeren Anteil der staatlichen
Familienförderung in den Ausbau
der Kinderbetreuungsinfrastruktur zu
stecken und dafür die finanzielle Unterstützung
über das Kindergeld oder
steuerliche Freibeträge einzufrieren oder
gar zurückzuschrauben. Nur bei Sachleistungen,
so argumentiert Bundesfinanzminister
Peer Steinbrück (SPD), sei
sichergestellt, dass die Mittel tatsächlich
bei den Kindern ankämen und deren
frühkindliche Bildung förderten. Kindergeld
könne dagegen auch von den Eltern
für Dosenbier oder Flachbildschirme
zweckentfremdet
werden.
Tatsächlich gibt Deutschland mit
0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) im internationalen Vergleich relativ
Text: Dorothea Siems
Erschienen am 19. November 2008