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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Neue Mehrheiten, neue Aufgaben
Gültig ab: 14.12.2009 16:52
Autor: Dr. Sönke Petersen
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Neue Mehrheiten, neue Aufgaben

Der 17. Deutsche Bundestag

Wenn der Wähler gesprochen hat, beginnt im Bundestag die Zeit der Weichenstellungen: Fraktionen und Ausschüsse bilden sich neu, Minister verlassen die Regierungsbank und nehmen im Plenum Platz, erfahrene Kollegen treffen auf Parlamentsneulinge, die ihre Rolle noch finden müssen. Die ersten Wochen im neuen Bundestag sind Tage des Rollenwechsels. Und sie sind Ausdruck dafür, dass Demokratie Herrschaft auf Zeit bedeutet, der Platz auf der Regierungsbank keine Dauergarantie für Macht und Einfluss beinhaltet.

Erste Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 27. Oktober 2009
Erste Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 27. Oktober 2009
© DBT/Studio Kohlmeier

Fast sichtbar scharrt er mit den Hufen, ungeduldig drängt er aufs Tempo: „Ich hoffe, dass es endlich losgeht!” Reinhard Brandl, frisch gewählter CSU-Bundestagsabgeordneter aus Ingolstadt, kann es kaum abwarten, bis er mit der konkreten Arbeit als Volksvertreter beginnen kann. Genau einen Monat hat er seit der Bundestagswahl auf diesen Tag warten müssen: Auf den Tag der Konstituierung des neuen, des 17. Bundestages und damit auf den Tag, an dem auch sein Mandat offiziell beginnt und er erstmals selbst auf einem der blau-violetten Stühle im Plenarsaal, dem Herzen des Bundestages, unter dem strengen Blick des großen Aluminiumadlers Platz nehmen darf. „Das ist ungeheuer spannend”, empfindet der 32-jährige Wirtschaftsingenieur die Situation. „In meinem Bauch kribbelt es erheblich.”

Reinhard Brandl (CDU/CSU)
Reinhard Brandl (CDU/CSU)
© photothek.net/Ute Grabowski

Ähnlich wie Reinhard Brandl geht es vielen der 202 Abgeordneten, die neu in den Bundestag eingezogen sind. Sie alle sind mit dem Gefühl nach Berlin gekommen, etwas bewegen zu wollen; zugleich spüren sie erstmals fast körperlich die Verantwortung, die nun auf ihnen lastet. DEM DEUTSCHEN VOLKE – so mahnt die Giebelinschrift über dem Westportal des Reichstagsgebäudes – solle sich das Parlament verpflichtet fühlen. So bekannt diese Verpflichtung jedem sein mag, ihre konkrete Wirkung entfaltet sie jetzt. „Überwältigend”, empfindet etwa Petra Crone das Gefühl, in diesem Gebäude, das wie kaum ein anderes für das Auf und Ab des deutschen Parlamentarismus steht, Politik für die Menschen in Deutschland machen zu können.

Petra Crone (SPD)
Petra Crone (SPD)
© laif/Dominik Butzmann

Dicke Bretter

Als Bürde sieht die 59-jährige Hausfrau, die für die SPD neu im Bundestag sitzt, die neue Aufgabe aber nicht, eher als Glück: „Ich gehe nicht mit Angst, sondern voller Lust und Zuversicht an die Arbeit.” Auch der neue Benjamin des Bundestages, der 23 Jahre alte Student und FDP-Abgeordnete Florian Bernschneider, will sich trotz aller erhabenen Gefühle („zum ersten Mal im Plenarsaal zu sitzen, ist schon bewegend”) nicht von seinen Zielen ablenken lassen. Und für die will er dicke Bretter bohren: „Ich möchte Politik nicht fürs nächste Wahlergebnis, sondern für künftige Generationen machen.”

Florian Bernschneider (FDP) und Alterspräsident Heinz Riesenhuber (CDU/CSU)
Der jüngste Abgeordnete Florian Bernschneider (FDP) und Alterspräsident Heinz Riesenhuber (CDU/CSU)
© Caro/Andreas Teich

Über der konstituierenden Sitzung des Bundestages liegt eine Mischung aus fröhlicher Aufbruchstimmung und verhaltener Melancholie. Ein bisschen erinnert die Atmosphäre an den ersten Schultag nach den großen Ferien: Man freut sich, sich wiederzusehen, interessiert sich für „die Neuen” und denkt ein wenig beklommen an jene, die es nicht wieder geschafft haben. Besonders bei den Wahlgewinnern ist die Stimmung prächtig. Viele der 93 FDP-Abgeordneten sind voller Stolz. Man scherzt, lacht und fotografiert sich. Nur der Senkrechtstarter der FDP, der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler, kann nicht so recht teilhaben: Er muss an diesem Tag einsam auf der Bundesratsbank Platz nehmen, weil er kein Abgeordneter und noch nicht als Bundesminister vereidigt ist. Auch bei der Union herrscht eitel Sonnenschein. Stolz blickt Fraktionschef Volker Kauder auf den Doppelblock seiner auf 239 Sitze angewachsenen Fraktion. Sein Blick signalisiert Zuversicht: Hängepartien mit knappen Mehrheiten wird es in dieser Legislaturperiode kaum geben.

Wahl des Präsidiums
Bei der Wahl des Präsidiums am Tag der Konstituierung des 17. Deutschen Bundestages
© DBT/Werner Schüring

Gemischte Stimmung dagegen im Oppositionslager. Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke freuen sich zwar über kräftige Zugewinne und dass die Opposition im Deutschen Bundestag mit der SPD insgesamt größer geworden ist. Bei den Sozialdemokraten herrscht allerdings eher Katerstimmung. Hier im Plenarsaal wird für jeden spürbar, wie stark die SPD durch das Wählervotum geschrumpft ist: Nur noch 146 statt wie zu Beginn der vorherigen Wahlperiode 222 Sitze, davon nur noch drei statt wie bislang fünf Plätze in der wichtigen ersten Reihe. Peer Steinbrück, eben noch geachteter Finanzminister, sitzt ebenso wie die einst mächtige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in der fünftletzten Reihe. Sichtbarer Ausdruck dafür, dass Demokratie Herrschaft auf Zeit bedeutet, der Platz auf der Regierungsbank keine Dauergarantie für Macht und Einfluss beinhaltet.

Sitzverteilung im 17. Deutschen Bundestag
Sitzverteilung im 17. Deutschen Bundestag
© DBT/MC

Als spüre er den Schmerz der SPD in ihrer neuen Oppositionsrolle, tröstet der mit 84,6 Prozent der Stimmen souverän wiedergewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Sozialdemokraten in seiner Rede zur Konstituierung des 17. Bundestages: „Die demokratische Reife eines politischen Systems ist nicht an der Existenz der Regierung zu erkennen, sondern am Parlament und vor allem am Vorhandensein einer Opposition und ihrer politischen Wirkungsmöglichkeiten. Regiert wird immer und überall. Die Opposition macht den Unterschied, und ihre Bedeutung steht und fällt mit dem Gewicht des Parlaments als Vertretung des ganzen Volkes.”

Gewählt, aber nicht gesalbt

An den gesamten neuen Bundestag gewendet, mahnt Lammert Selbstbewusstsein an, vor allem auch gegenüber der Bundesregierung: „Der Bundestag muss und darf sich nicht hinter anderen Verfassungsorganen verstecken. Er ist nicht Hilfsorgan, sondern Herz der politischen Willensbildung in unserem Land. Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament bestimmt und kontrolliert die Regierung.”

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratuliert Norbert Lammert zu dessen Wiederwahl als Bundestagspräsident
© DBT/Thomas Köhler/photothek.net

Noch eine dritte Botschaft gibt der Präsident den Abgeordneten mit auf den Weg in die neue Legislatur: „Wir sind gewählt, aber nicht gesalbt; nicht für immer, sondern für ganze vier Jahre; mit einem befristeten Auftrag, für den es keine automatische Verlängerung gibt. Wir sind nicht das Volk, sondern die Volksvertretung. Die Wähler wissen ebenso gut wie wir, manchmal vielleicht sogar besser, dass wir nicht über Wasser gehen können. Deshalb sollten wir auch keinen anderen Eindruck vermitteln.”

Derart mit Aufmunterungsbotschaften gestärkt, begibt sich der Bundestag an die Arbeit. Schon einen Tag nach seiner Konstituierung steht die Wahl der Bundeskanzlerin auf der Tagesordnung – die Bestellung einer handlungsfähigen Regierung gehört zu den Kernaufgaben des Deutschen Bundestages. Keine Routineangelegenheit – auch wenn die Mehrheit der neuen schwarz-gelben Koalition mit 20 Stimmen über der erforderlichen „Kanzlermehrheit” Überraschungen kaum erwarten lässt. Dass bei geheimen Abstimmungen individuelle Enttäuschungen und Vorbehalte dennoch eine Rolle spielen können, muss dann Angela Merkel aber doch erfahren: Bei ihrer Wahl zur zweiten Kanzlerschaft haben neun Abgeordnete aus dem eigenen Koalitionslager ihr Kreuz nicht bei ihrem Namen gemacht. Ein kleiner Schönheitsfehler, über den die Kanzlerin hinweglächelt. Sie weiß ihren Platz in der Geschichte schon jetzt sicher: Zwar ist das Außergewöhnliche ihrer ersten Kanzlerschaft – erstmals eine Frau, erstmals aus Ostdeutschland und jüngste aller Bundeskanzler – verblasst, dafür ist sie nun die bisher einzige Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik, die mit unterschiedlichen Koalitionen regiert.

Bundestagspräsident Norbert Lammert
Bundestagspräsident Norbert Lammert
© DBT/Marc-Steffen Unger

Es folgen wichtige Tage der Selbstorganisation des Bundestages und seiner fünf Fraktionen. Wenn rund ein Drittel der Abgeordneten neu im Parlament ist und ein Austausch zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen stattfindet, setzt sich ein gewaltiges Rollenwechselspiel in Gang. Es erhält noch zusätzlichen Schwung dadurch, dass einige, die es gar nicht erwartet hatten, in die Regierung und zu Parlamentarischen Staatssekretären berufen werden. Deshalb heißt es nun: Wer wird was im Bundestag? Wer geht in welchen Fachausschuss? Wie weit können dabei persönliche Wünsche berücksichtigt werden? Wer wird Obmann oder Berichterstatter seiner Fraktion? Welche Fraktion erhält welchen Ausschussvorsitz? Wer steigt innerhalb der eigenen Fraktion auf – oder ab? Das sind wichtige erste Weichenstellungen, die nicht selten über spätere Karrieren entscheiden können.

Knifflige Raumfragen

Und dann sind da noch die schwierigen Raumfragen, die zu klären sind. Sie beginnen damit, dass der Anspruch der fünf Fraktionen, auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes gleichzeitig zu tagen, kaum noch zu erfüllen ist. Das liegt vor allem am personellen Zuwachs der kleineren Fraktionen, die bislang in den Ecktürmen des Reichstagsgebäudes Platz fanden, nun aber dort aus allen Nähten platzen. Der Geschäftsführer der Fraktion Die Linke, Ulrich Maurer, sagt: „Wir sitzen hier wie die Heringe.”

Vermutlich bis Weihnachten wird es dauern, bis jeder Abgeordnete für sich und seine Mitarbeiter die richtigen Büroräume gefunden hat. Auch hier gilt es für die Verantwortlichen, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bekommen: Da wollen Fraktionen und Landesgruppen möglichst eng beieinander sein, da sollen die Ausschussvorsitzenden und ihre Stellvertreter nahe ihrem Ausschuss sitzen. Prestigegedanken kommen noch hinzu: Als jemand, der es geschafft hat, gilt der, der im weitläufigen Parlamentsviertel möglichst nahe am Reichstagsgebäude seine Büroräume hat.

Spätestens bis zum neuen Jahr 2010 sollen alle Anfangsschwierigkeiten überwunden sein. Bis dahin müssen sich Regierungs- wie Oppositionsfraktionen formiert und taktisch gut aufgestellt haben. Die neue schwarz-gelbe Koalition drückt schon jetzt aufs Tempo. Denn die Zeit drängt. Ihr Regierungsprogramm ist zeitlich ambitioniert, erlaubt keine Leerläufe. Da wird auch der Bundestag insgesamt unter Beweis stellen müssen, wie stark das Wort von Präsident Norbert Lammert über ihn zutrifft: „Hier schlägt das Herz der Demokratie, oder es schlägt nicht.”

„Die Wähler wissen ebenso gut wie wir, manchmal vielleicht sogar besser, dass wir nicht über Wasser gehen können. Deshalb sollten wir auch keinen anderen Eindruck vermitteln.”
Norbert Lammert (CDU)

Der 17. Deutsche Bundestag besteht aus 622 Abgeordneten. Er ist damit das drittgrößte Parlament in Europa. Nur Großbritannien mit 646 und Italien mit 630 Mitgliedern liegen noch vor dem Bundestag. Dass die gesetzliche Zahl seiner Mitglieder – 598 – um 24 Abgeordnete überschritten wird, liegt an den Überhangmandaten, die durch unser Wahlsystem aus Verhältnis- und Persönlichkeitswahl entstehen können. Alle Überhangmandate sind diesmal der Union zugefallen.

Obwohl knapp ein Drittel der Abgeordneten neu in den Bundestag eingezogen sind, hat sich das Parlament altersmäßig gegenüber seinem Vorgänger kaum verändert: Statistisch ist der Durchschnittsabgeordnete des 17. Bundestages 49,24 Jahre alt, im letzten Bundestag waren es 49,3 Jahre. Die jüngste Fraktion sind Bündnis 90/Die Grünen mit einem Durchschnittsalter von 46,62 Jahren. Die älteste ist die SPD mit 51,64 Jahren. Es folgen mit 49,23 Durchschnittsjahren die Unionsabgeordneten, die Linken mit 48,57 und die Liberalen mit 47,52 Jahren. Der jüngste Abgeordnete ist mit 23 Jahren Florian Bernschneider (FDP), der älteste mit 74 Jahren Heinz Riesenhuber (CDU).

Dem neuen Parlament gehören 418 Männer und 204 Frauen an. Damit beträgt der Frauenanteil 32,8 Prozent. Das ist nahezu identisch mit dem Wert am Ende der 16. Wahlperiode (32,1 Prozent). Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Faktionen. Selbst der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel war es ein bisschen peinlich: Da müsse sich etwas ändern, sagte sie mit Blick auf die noch nicht einmal 20 Prozent an weiblichen Mitgliedern in den eigenen Unionsreihen, mit denen sie weit unter dem Durchschnitt bleibt. Auch der neue Koalitionspartner hat Nachholbedarf. Nicht einmal jeder vierte Mandatsträger bei der FDP ist weiblich.

Dass der Frauenanteil im 17. Bundestag dennoch leicht, um 0,7 Prozent, gestiegen ist, liegt an den drei Oppositionsparteien, bei denen schon länger eine Quote gilt. In der stark geschrumpften SPD-Fraktion konnten zumindest die Frauen ihre Position ausbauen (von 36 auf 38,5 Prozent). Bei den Grünen mit 54,4 Prozent sind die weiblichen Mitglieder traditionell in der Mehrheit. Erstmals schafften dies auch die Frauen bei der Linkspartei mit 52,6 Prozent.

Mehr als hundert Berufe

Auf den ersten Blick scheint der Bundestag weiterhin eine Dienstleistungsgesellschaft zu repräsentieren: Eine klare Mehrheit der Abgeordneten kommt aus diesem weit gefassten beruflichen Umfeld. Fast jeder dritte Parlamentarier war vorher im Staatsdienst tätig. Ein reines Beamtenparlament ist der Bundestag dennoch nicht, denn insgesamt sind mehr als 100 verschiedene Berufe in ihm vertreten.

An der Spitze der Berufsrangliste liegen mit 143 oder gut 22 Prozent die Juristen. Besonders hoch ist der Juristenanteil mit rund 30 Prozent bei Union und FDP. Die meisten Juristen geben Rechtsanwalt als Beruf an, den viele auch neben dem Mandat ausüben. Zweitgrößte Berufsgruppe sind die Ingenieure (39), gefolgt von Volks- und Betriebswirten (37). Stark vertreten sind auch die Lehrer, bei denen die SPD die Nase vorn hat. Deutlich zugenommen haben die Abgeordneten mit Berufsangabe Journalist (15) und Gewerkschaftssekretär (14). Als Unternehmer bezeichnen sich 13 Parlamentarier. Rückläufig ist die Berufsbezeichnung Politologe (jetzt 17, bislang 28). Die Zahl der Ärzte (9) und Landwirte (11) ist im Vergleich zur vergangenen Wahlperiode etwa gleich geblieben. Dafür sank die Zahl der Pastoren: Im neuen Bundestag gibt es nur noch drei Seelsorger. Noch geringer ist die Zahl der klassischen Arbeiter. Neben dem wiedergewählten Maurer Anton Schaaf stieß bei der SPD als zweiter der Bergmann Michael Gerdes hinzu. Studenten können dagegen nicht klagen: Sie sind mit sechs Kommilitonen im Bundestag vertreten.

Nicole Bracht-Bendt (FDP)
Nicole Bracht-Bendt (FDP)
© FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag

Zu den Farbtupfern im neuen Parlament gehört Nicole Bracht-Bendt. Die FDP-Abgeordnete aus Buchholz in der Nordheide ist gelernte Tischlerin. Zwar übt sie ihren Beruf seit Jahren nicht mehr aus, weil sie sich in der Landespolitik und in der Betreuung alter und behinderter Menschen engagiert hat, aber einen „Stuhl bauen kann ich noch immer sehr gut”, sagt sie. Es sei etwas Schönes und Befriedigendes, ein selbst gebautes Möbelstück in der Hand zu halten. Deshalb komme auch in die gerade neu gebaute Garage wieder eine Hobelbank. Vor der Arbeit im Bundestag hat sie keine Manschetten: „Ich bin kein ängstlicher oder unsicherer Typ.” Als Themen hat sie sich Frauen und Senioren auf die Fahnen geschrieben. Daneben ist sie Mitglied der Kinderkommission.

Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen)
Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen)
© Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Auch Agnes Krumwiede dürfte den Bundestag bereichern. Denn das Motto der grünen Neuabgeordneten heißt: Mit Musik geht alles besser. Kein Wunder: Die 32-Jährige ist ausgebildete Konzertpianistin. Bis in den Wahlkampf hinein hat sie noch Konzerte gegeben, und sie findet: „Auch dem Bundestag könnte ein bisschen musischer Anflug nicht schaden.” Die ersten Tage im Parlament waren für sie „zwar leicht chaotisch, aber auch spannend: Ich mag es, in etwas Neues einzutauchen und neue Herausforderungen zu sehen.” Dass sie dafür ihre Klavierschule in Ingolstadt auflösen muss, trägt sie mit Fassung. Die politische Arbeit komme nun eben an erster Stelle. Überdies: „Es gibt genug hervorragende Pianisten, wie Sand am Meer.” Im Bundestag will sie sich für die Interessen der Künstler einsetzen. Viele von ihnen würden in prekären Verhältnissen leben. „Kulturelle Bildung” für alle – und zwar von Kindesbeinen an – ist ihr weiteres zentrales Anliegen. Aber ausschließlich auf Kulturelles will sich die Bayerin nicht festnageln lassen. Schließlich sei sie keine Einspurpolitikerin. „Wir brauchen einen ökologischen und gesellschaftlichen Wandel.” Und dafür sei Kultur „die Brücke für ein neues Denken.”

Jan van Aken (Die Linke)
Jan van Aken (Die Linke)
© argus/Peter Frischmuth

„Jetzt geht es darum, die Weichen für die Zukunft ganz neu zu stellen”, sagt der 48-jährige Biologe Jan van Aken, der neu für die Fraktion Die Linke im Bundestag sitzt. Der Mann weiß, wovon er spricht: Schon seit vielen Jahren ist er aktiv in der Friedens- und Abrüstungspolitik tätig. 1999 gründete er das Sunshine-Projekt zur Ächtung biologischer Waffen; von 2004 bis 2006 war er Biowaffeninspekteur bei den Vereinten Nationen; bis Anfang 2009 arbeitete er als Gentechnikexperte bei Greenpeace International. Offenbar weiß auch seine Fraktion, was sie an ihm hat: Sie wählte den Newcomer aus dem Stand zu einem ihrer stellvertretenden Vorsitzenden. „Ich habe hier einen Superstart”, freut sich denn auch van Aken. Abgehoben wirkt er dennoch nicht: „Wenn ich hier im Bundestag unter dem Adler sitze, ist das schon etwas ganz Besonderes”, meint er fast etwas demütig. Für die nächsten vier Jahre hat er sich sehr konkrete Ziele gesetzt: „Richtig erfolgreich würde ich mich fühlen, wenn die Bundeswehr nicht mehr in Afghanistan ist und wir weniger Waffen exportieren würden als heute.”

Professoren gibt es eine ganze Reihe im Bundestag. Aber ein Professor für internationale Weinwirtschaft, wie sich beruflich der FDP-Mann Erik Schweickert nennt, ist denn doch eine Rarität. Sogar weltweit. Der 37-jährige Professor aus Pforzheim lehrt und forscht in Geisenheim (Rheingau) über alles, was mit Wein zusammenhängt. Auch darüber, welcher Wein sich wo am besten verkaufen lässt. „Man muss die verschiedenen Geschmäcker kennen, wenn man international erfolgreich sein will”, sagt Schweickert. „Die Engländer lieben zum Beispiel eher schwere Rotweine, die Deutschen dagegen den fruchtigen Typ.” Schweickert wuchs in der ältesten badischen Sektkellerei auf. Mit seiner Arbeit im Bundestag möchte er den deutschen Wein noch erfolgreicher machen – und ihn – wie viele andere Bereiche auch – von seiner Ansicht nach unnötigen staatlichen Regeln befreien.

Langweilig wird es bei so unterschiedlichen Talenten im neuen Bundestag wohl nicht. Und der CSU-Abgeordnete Reinhard Brandl, dem es anfangs nicht schnell genug gehen konnte mit der Arbeit im Bundestag, ist inzwischen auch zufrieden: Seine Fraktion hat ihn in seinen Wunschausschuss Bildung und Forschung geschickt. „Jetzt kann ich endlich mit der inhaltlichen Arbeit beginnen”, freut sich der Bayer. Die ersten Termine mit kompetenten Gesprächspartnern stehen schon in seinem Terminkalender.

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Text: Sönke Petersen 
Erschienen am 17. Dezember 2009


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