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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Eine Chance für jedes Kind
Gültig ab: 22.03.2010 16:52
Autor: Sönke Petersen
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Eine Chance für jedes Kind

Bildung und Integration

Ob Schule, Ausbildung oder Arbeitsmarkt: Kinder von Einwanderern haben oft schlechtere Chancen als Kinder deutscher Eltern. Sollte die Politik die Verantwortung der Familien in den Vordergrund stellen oder stärker in Schulen, Ganztagsbetreuung und vorschulische Bildung investieren? Im Streitpunkt von BLICKPUNKT BUNDESTAG diskutieren darüber die familienpolitische Sprecherin der CDU /CSU -Fraktion Dorothee Bär und der Bezirksbürgermeister Berlin-Neuköllns Heinz Buschkowsky (SPD).

Integration

© Thomas Imo/photothek.net

Früher hießen sie Gastarbeiter und ermöglichten das deutsche Wirtschaftswunder. Heute nennen wir sie „Mitbürger mit Migrationshintergrund”. Die Bezeichnung für die bei uns lebenden Einwanderer mag fortschrittlicher und politisch korrekter sein - die Probleme sind geblieben, teilweise sogar größer geworden. Kein Wunder: Mit einem Anteil von deutlich über 15 Prozent an Ausländern und Migranten mit deutschem Pass liegt Deutschland auf Platz eins der Einwanderungsländer in Europa.

Die Einsicht, dass dies keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung sein kann, hat sich in der Politik, wenn auch noch nicht in der gesamten Gesellschaft, durchgesetzt. „Integration ist eine der wichtigen Zukunftsaufgaben der Bundesrepublik Deutschland”, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich angemerkt. Deutschland dürfe das Potenzial, das in den Zuwanderern liege, auf keinen Fall brachliegen lassen. Besonders den Kindern von Einwanderern, die nach einer OECD-Studie noch immer deutlich schlechtere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben, müssten „alle Chancen” gegeben werden.

Auch die Opposition fordert neue und zusätzliche Integrationsanstrengungen. Schon aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen könne Deutschland es sich nicht leisten, dass eine ganze Generation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund keine Zukunftschance habe. Denn jeder Schulabbrecher von heute sei ein Hartz-IV-Empfänger von morgen - mit allen Folgen für das soziale Gefüge in unserer Gesellschaft.

Trotz aller Anstrengungen und Teilerfolge bei der Integration von Migranten bleiben gravierende Mängel unübersehbar. Vor allem in der zweiten und dritten Generation der Zugewanderten, also bei den Kindern und Enkeln, häufen sich die alarmierenden Fakten: Die deutschen Sprachkenntnisse werden oft nicht besser, sondern schlechter; jeder fünfte Ausländer bricht die Schule ab; von den 20- bis 29-jährigen Ausländern haben über 30 Prozent keine abgeschlossene Schulausbildung. Mit der Folge deprimierender Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Woraus sich häufig wieder der Rückzug in die Parallelgesellschaft der eigenen Herkunft ergibt. Vor allem bei den Türken vermeldet eine neue Studie erhebliche Integrationsdefizite.

„Mit Zahlen um sich werfen ist leicht, die Realität verändern eher schwer.”
Dorothee Bär

Hat die Politik, hat die deutsche Gesellschaft der Integration bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, oder fehlt auch bei den Migranten selbst bisweilen der Wille zur Eingliederung, zum gesellschaftlichen Aufstieg? Wie weit ist es mit der gegenseitigen Toleranzbereitschaft bestellt? Muss die Devise - ähnlich wie bei Hartz IV - auch bei der Integration nicht nur fördern, sondern auch fordern heißen? Fragen, denen sich der Deutsche Bundestag neu zu stellen hat. Und dann natürlich: Wo im Einzelnen ansetzen? Einigkeit herrscht in Berlin darüber, dass der Schlüssel für eine bessere Integration die Sprachförderung, eine qualifizierte Ausbildung und ein verbesserter Zugang zum Arbeitsmarkt ist. Aber da stehen unterschiedliche familien- und bildungspolitische Leitbilder im Weg: Soll die Politik die Verantwortung der Familie und der Eltern in den Vordergrund stellen oder sollte der Staat statt immer neuer Transferzahlungen stärker als bisher direkt in Bildung, also in Schulen, Ganztagsbetreuung und vorschulische Bildung investieren?

Über diese Fragen führt BLICKPUNKT BUNDESTAG ein Streitgespräch mit der familienpolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Dorothee Bär und dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln Heinz Buschkowsky (SPD), in dessen Bezirk sich Migrationsprobleme wie nirgends sonst in Deutschland widerspiegeln und der darüber ein Mann der deutlichen Aussprache geworden ist.

Heinz Buschkowsky und Dorothee Bär

© DBT/photothek.net/Thomas Köhler

Blickpunkt Bundestag: Frau Bär, welche Dimension hat die Integrationsfrage für unsere Gesellschaft?

Dorothee Bär: Integration ist eine entscheidende Zukunftsfrage für unser Land. Die Bereitschaft zur Integration ist aber keine Einbahnstraße: Sie gilt für diejenigen, die schon immer hier leben, genauso wie für die, die neu zu uns kommen. Integration hat zudem eine langfristige Dimension. Wir müssen aufpassen, dass sich keine Parallelgesellschaften bilden. Und die Bürger mit einem Migrationshintergrund sollen dieselben Startchancen bekommen wie alle anderen auch. Nur so können die Ziele Integration und solidarische Gesellschaft erreicht werden.

Blickpunkt : Die Integrationsprobleme sind eher größer statt kleiner geworden. Tickt da eine gesellschaftspolitische Zeitbombe?

Heinz Buschkowsky: Die Dimension des Themas ist vielen tatsächlich erst in den letzten Jahren bewusst geworden, als die Fehlentwicklungen bei den bildungsfernen Schichten und den Menschen mit Migrationshintergrund wirklich nicht mehr zu übersehen waren. Davor war es ein Thema für Feinschmecker, für Doktorarbeiten. Leider hat sich die Politik viel zu langsam und viel zu theoretisch mit den massiven Problemen beschäftigt. Dabei haben wir nun wirklich keinen Erkenntnismangel, sondern ein Handlungsdefizit.

Blickpunkt : Zieht sich die Politik diesen Schuh an, Frau Bär?

Dorothee Bär
Dorothee Bär
© DBT/photothek.net/Thomas Köhler

Bär: Meine Partei, die CSU, hatte hier immer klare Positionen. Wir haben nie etwas verklärt, haben nicht freudig wie andere nach Multikulti gerufen, sondern stets auf notwendige Anstrengungen hingewiesen, etwa beim Erlernen der deutschen Sprache. Dafür hat man uns früher heftig kritisiert. Jetzt wissen alle, wie unabdingbar der Spracherwerb für die Integration ist.

Buschkowsky: Sprache und Bildung - das ist der Schlüssel, wenn wir von Integration sprechen. Das gilt sowohl für Migranten wie für deutschstämmige Menschen. Denn nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund verpassen den Weg in die Gesellschaft. Jeder, der nicht in die Gesellschaft integriert wird, ist ein Riesenproblem, ein soziales wie finanzielles, denn die Gesellschaft, und damit wir alle, bezahlen die Kosten des Reparaturbetriebes.

Blickpunkt : Wann fängt Bildung an? Wo muss man ansetzen? In der Familie, bei den Eltern, im Kinderhort?

Bär: Bildung beginnt schon in der Schwangerschaft, im Bauch der Mutter. Auch hier lernen die Kinder schon. Bildung bedeutet ja nicht nur, dass man mathematische Formeln erlernt und sich fit macht für einen Abschluss, sondern Bildung hat auch viel mit Herzenswärme, mit Werten und Bindungen zu tun. Insofern ist es zu kurz gegriffen, wenn man nur auf Kindergärten und Schulen blickt, so wichtig sie natürlich für Bildung und Erziehung sind.

Buschkowsky: Der Kindergarten ist die entscheidende frühkindliche Bildungsinstitution, insbesondere in einer Gesellschaft wie der unseren, die sich zu einer Ein-, maximal Zwei-Kinder- Familie entwickelt hat. Da findet die Sozialisation der Kinder kaum noch untereinander statt, als Ersatz dient nun der Kindergarten. Über seine Sozialisierungsfunktion hinaus muss er heute aber noch mehr leisten: die Vermittlung der deutschen Sprache. Viele der Kinder, die heute zur Schule kommen, beherrschen die deutsche Sprache gar nicht oder nur radebrechend. Das ist ein Manko, das meist nicht mehr aufgeholt werden kann.

Bär: Sie werfen da ziemlich viel in einen Topf, Herr Buschkowsky. Kinder sind von Natur aus neugierig, die muss man nicht zum Jagen tragen. Ob schon Dreijährige im Kindergarten vorschulisch getrimmt werden sollten, ist durchaus umstritten. In Bayern haben wir Deutsch-Vorbereitungskurse vor der Schule eingerichtet. Die Folge ist, dass in Bayern kein einziges Kind eingeschult wird, das die deutsche Sprache nicht beherrscht. Das gilt sowohl für Migrantenkinder wie für Kinder aus bildungsfernen Schichten.

Blickpunkt : Was halten sie davon, das letzte Kindergartenjahr als Vorschuljahr zur Pflicht zu machen?

Bär: Dazu sehe ich keine Notwendigkeit. In Bayern haben wir im dritten Kindergartenjahr eine Quote von über 98 Prozent. Die restlichen zwei Prozent erreichen wir über die Vorbereitungskurse. Dennoch hätte ich nichts gegen ein kostenfreies, zugleich verpflichtendes Vorschuljahr. Aber das ist Ländersache. Und einige von ihnen, wie Bayern, finanzieren schon jetzt über den Länderfinanzausgleich die Kindergärten anderer Länder mit. Das erscheint mir nicht gerade gerecht.

Buschkowsky: Prozentzahlen sagen wenig aus. Gezählt werden nämlich Kindergartenverträge, nicht anwesende Köpfe. Wie viele Kinder sind wirklich jeden Tag da? Für wie viele Kinder ist die Kita nur eine Kindergarage, wo sie abgestellt werden und nicht wirklich am Bildungsangebot teilnehmen. Abstrakte Prozentzahlen sind Totschlagargumente, um sagen zu können: Wir müssen nichts tun, es ist alles geregelt.

Blickpunkt : Ihre Partei, die CSU, Frau Bär, setzt stark auf die häusliche Erziehung, will diese mit einem Betreuungsgeld attraktiver machen. Konterkariert das nicht jedes Integrationsbemühen?

Bär: Wir haben einen ganzheitlichen Ansatz, indem wir den Eltern die Wahlfreiheit geben wollen. Was soll daran schlecht sein? Die Lage einer Familie ist doch vielseitiger, als es etwa Herr Buschkowsky und die SPD zugestehen wollen. Wir malen nicht schwarz-weiß, sondern unterstützen unterschiedliche Lebensmodelle. Und deshalb wehre ich mich gegen den Vorwurf, dass derjenige, der sein Kind drei Jahre zu Hause lassen möchte, seinem Kind schlechte Startchancen gibt. Das Gegenteil kann der Fall sein.

„In Ruhe lassen ist keine Integration.”
Heinz Buschkowsky

Buschkowsky: Ich halte es, gelinde gesagt, für völlig überholt, wenn man eine finanzielle Belohnung dafür gibt, dass Eltern ihr Kind nicht in den Kindergarten geben. Das ist ein falscher Schritt nach hinten. Es geht nicht darum, einen Kitabesuch zu erzwingen, aber der Bedarf an Krippenplätzen ist doch da und den muss man dann auch finanzieren. Ich finde es auch richtig, dass gerade dort, wo es an sozialer Kompe- tenz zu Hause fehlt, die Kinder in den Kindergarten sollten. Leider sind das auch die Familien, die oft mit Geld nicht umgehen können. Da wird das Betreuungsgeld nicht in den Beitrag für den Sportverein, sondern in Alkohol und Zigaretten gesteckt. Weil durch die finanziellen Anreize Kinder von Chancengerechtigkeit und Bildungserwerb letztlich ferngehalten werden, halte ich die Herdprämie für eine bildungs- und migrationspolitische Katastrophe.

Bär: Herr Buschkowsky bringt hier vieles durcheinander, unterscheidet zum Beispiel nicht zwischen Kita und Kindergarten. Es geht um Kinder zwischen 12 bzw. 14 Monaten und drei Jahren. Niemand von uns will ein Kind von über drei Jahren vom Kindergarten fernhalten. Und deshalb ist Ihr Wort von der Herdprämie nicht nur falsch, sondern auch diffamierend. Warum können wir nicht positiv über die Familie reden? Und: Wer das Betreuungsgeld kritisiert, weil er den Familien einen sinnvollen Umgang mit dem Geld nicht zutraut, muss auch andere Geldtransferleistungen ablehnen und nur noch Gutscheine ausgeben. Im Übrigen: Missbrauch gibt es überall. Bei Hartz IV, beim Asyl, bei den Steuern. Deshalb: Bitte ein bisschen weniger Polemik und etwas mehr Differenzierung, Herr Buschkowsky.

Heinz Buschkowsky
Heinz Buschkowsky
© DBT/photothek.net/Thomas Köhler

Buschkowsky: Ich werfe durchaus nicht alles in einen Hut! Frau Bär tut so, als ob diese Fragen ein Randproblem in einer ansonsten eher heilen Welt seien. Die aber gibt es leider nicht! Die Bevölkerungsschichten mit starken Sozialisationsdefiziten sind keineswegs kleinste Minderheiten mehr. Die Hilfen zur Erziehung liegen inzwischen bei über 6,4 Milliarden Euro im Jahr mit jährlichen Steigerungsquoten von zehn Prozent. Gerade die migrantische Bevölkerung und ihre Kinder brauchen eine besondere Förderung. Denn alle Studien belegen: Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind die am stärksten benachteiligten Kinder in Deutschland.

Blickpunkt : Üben finanzielle Angebote in Migrantenfamilien einen starken Reiz aus?

Buschkowsky: Eindeutig ja, jedenfalls bei vielen Familien. Die Fixierung auf monetäre Anreize ist hier besonders hoch. Deshalb müssen wir besonders hier eine starke Stimulanz für einen Kindergarten- und Schulbesuch ausüben. Sonst haben die Kinder keine Chance, sich vom Milieu zu emanzipieren und zu einem selbstbewussten Lebensentwurf zu finden.

Bär: Richtig ist: Wenn die Grundlagen nicht in den ersten Jahren gelegt werden, sind die Folgekosten später wesentlich höher. Bildungspolitik ist die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts. Kinder ohne ausreichenden Schulabschluss belasten die Gesellschaft dauerhaft. Das gilt für alle Kinder aus problematischen Verhältnissen, nicht nur für Migrantenkinder. Deren Quote in Krippen und Kindergärten wächst im Übrigen in Bayern ständig.

Blickpunkt : Die familienpolitischen Trans- ferleistungen des Staates sind immens hoch, allein das Kindergeld kostet jährlich 35 Milliarden Euro. Wäre es sinnvoller, die Ausgaben umzuschichten und statt individuell in die Familien lieber direkt in Bildungseinrichtungen zu investieren?

Buschkowsky: Die Bundesrepublik wendet drei Prozent ihres Bruttosozialprodukts für die Förderung von Familien auf, liegt aber in der Effizienz aller OECDStaaten an drittletzter Stelle. Das deutet darauf hin, dass unser System verkehrt ist. Ich glaube, wenn wir 50 Prozent der familienpolitischen Aufwendungen in die Infrastruktur und Dienstleistung für die Kinder investierten - also in Krippen, Kindergärten, Ganztagsschulen, Essen in der Schule - wären wir erheblich weiter. Würden wir das Kindergeld, für das der Staat jährlich 35 Milliarden Euro ausgibt, halbieren, könnten wir jedem Bundesland eine Milliarde jährlich zusätzlich geben, um damit in Schulen und Kindergärten zu investieren. Dann hätten wir die Bildungsrepublik, von der die Kanzlerin immer spricht. Und mit der Integration wären wir auch weiter.

Bär: Ich bin für viele Argumente offen, warne aber vor dem Glauben, man könne in der Bildungs- und Familienpolitik alles mit Geld regeln und lösen. Mit Zahlen um sich werfen ist leicht, die Realität verändern eher schwer. Die Bevölkerung würde sicherlich auch sehr kritisch verfolgen, ob sich wirklich etwas zum Positiven verändert, wenn man ihr einerseits konkret Leistungen kürzt, um sie andererseits abstrakt einzusetzen. Es geht ja nicht nur um die Infrastruktur von Kindergärten, sondern vor allem um die Qualität von Bildung und Integrationsmaßnahmen.

Blickpunkt : Fördern ist die eine Seite der Integrationspolitik. Wie ist es um die andere Seite - das Fordern - bestellt?

Buschkowsky: Wer sich dem Sprachund Integrationskurs entzieht, hat offenkundig keinen ausgeprägten Integrationswillen. Wer die Schulpflicht für disponibel hält und seine Kinder nicht am Schwimmunterricht und an der Klassenreise teilnehmen lässt, beharrt stark an tradierten Rollenmustern und Familienriten. Beides geht nicht. Deshalb muss man sich diesem Thema stellen. Die Frage ist nur: Wie? Ich verweise gerne auf die Niederlande. Dort ist das Fördernetz sehr dicht, zugleich aber die Kooperationspflicht sehr viel höher als bei uns. Es gilt der Grundsatz: Keine Prävention ohne Repression. Die Gesellschaft streckt dir die Hand der Solidarität entgegen, sie erwartet aber, dass du deine eigene Kompetenz - jeder kann etwas - einsetzt. Wenn du das nicht tust, ziehen wir unsere Hand wieder weg und das bedeutet: kein Geld. Eine Gesellschaft muss das Selbstbewusstsein besitzen, im Interesse aller das eigene Regelwerk auch durchzusetzen. Ethnische Rabatte darf es nicht geben. In Ruhe lassen ist keine Integration.

Integrationspolitik

© DBT/photothek.net/Thomas Köhler

Bär: Zu den Erziehungspflichten von Eltern gehört auch, die Integration ihrer Kinder in die Gesellschaft zu unterstützen. Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn sich Eltern diesem Auftrag nachweislich zum Schaden der Kinder entziehen. In der Praxis kann das auch gut über das Geld funktionieren. Viele Sanktionsmöglichkeiten haben wir nicht. Eines ist mir noch wichtig: Es gibt innerhalb der Migrantenschaft einen nach Herkunftsländern sehr unterschiedlich ausgeprägten Integrationswillen. Wir sollten auf keinen Fall alle Migranten über einen Kamm scheren. Insgesamt ist die Bilanz durchaus positiv.

Zur Person

Dorothee Bär, geboren 1978 in Bamberg, ist familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion. Während ihres Politikstudiums in München und Berlin arbeitete sie als Journalistin und wurde 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 2009 ist Bär stellvertretende Generalsekretärin der CSU.

www.dorothee-baer.de

Heinz Buschkowsky (SPD), geboren 1948 in Berlin, widmet sich seit mehr als dreißig Jahren der Kommunalpolitik in Berlin-Neukölln. Seit 2001 ist er Bezirksbürgermeister des Berliner Stadtteils, in dem sich Migrationsprobleme wie nirgends sonst in Deutschland widerspiegeln.

www.berlin.de/ba-neukoelln

Standpunkte
der Fraktionen:
Was muss getan werden, um benachteiligten Kindern eine Perspektive zu bieten und die Entstehung von „Parallelgesellschaften” zu verhindern? Was soll die Politik tun: Die Verantwortung der Eltern in den Mittelpunkt stellen oder mehr in Schulen und Betreuungsangebote investieren?
 
CDU/CSU Integration kann nur gelingen, wenn die Integrationskräfte unserer Gesellschaft nicht überstrapaziert werden. Die Aufnahmebereitschaft der deutschen Gesellschaft und die Integrationsbereitschaft der Zuwanderer gehen dabei Hand in Hand. Grundvoraussetzung für eine geglückte Integration ist das Beherrschen der deutschen Sprache. Integrationskurse gehören zu den wirksamten Instrumenten der Sprachförderung. Das Elternhaus spielt für Erziehung und Integration die zentrale und verantwortliche Rolle. Integrationskurse für Eltern an Kindergärten und Schulen sind unumgänglich. Es muss deshalb möglich sein, Eltern mit mangelhaften Deutschkenntnissen zur Kursteilnahme zu verpflichten. Im Sinne einer Erziehungspartnerschaft sind Schule und Betreuungsangebote neben dem Elternhaus unabdingbar für eine erfolgreiche Integration.
 
SPD Als überfälligen Schritt sehen wir es an, endlich allen bei uns geborenen Kindern spürbar werden zu lassen, dass sie Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sind. Mit dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts fordern wir die Abschaffung des Optionsmodells. Hier geborene Kinder ausländischer Eltern sollen von Geburt an die deutsche sowie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern erwerben und beide dauerhaft behalten können. Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf eine gute Bildung - als Grundlage für ein erfülltes Leben und als Eintrittskarte für gute, qualifizierte Arbeit. Das gilt unabhängig von der Herkunft und vom Einkommen der Eltern. Wir fordern vorschulische Sprachförderung für alle, auch für Kinder aus Migrantenfamilien. Einwandererkinder haben ein Recht auf die Anerkennung ihrer besonderen Fähigkeiten wie die Mehrsprachigkeit und ihre kulturellen Erfahrungen.
 
FDP Maßnahmen in der Schul- und Bildungspolitik können nur Erfolg haben, wenn die Eltern beteiligt, angesprochen und da, wo es nötig ist, in ihrer Sprach- und Erziehungskompetenz unterstützt werden. Dabei ist es wichtig, Eltern den Wert der Bildung für die Zukunft ihrer Kinder zu vermitteln. Im Bereich der Integrationspolitik wollen wir beispielsweise Integrationskurse für Eltern an Kindergärten oder Schulen vorantreiben. Eltern tragen ganz klar die Erziehungsverantwortung für ihre Kinder. Die Förderung der elterlichen Verantwortung steht im Zentrum unserer Politik. Der Staat muss Rahmenbedingungen schaffen, die Chancengleichheit von Beginn an ermöglichen. Diesem Ziel wollen wir etwa mit unterrichtsbegleitenden Sprachprogrammen und dem bedarfsgerechten Ausbau der frühkindlichen Bildungseinrichtungen und der Ganztagsschule näher kommen.
 
Die Linke „Parallelgesellschaft” ist ein Kampfbegriff; er lenkt von gezielter sozialer Ausgrenzung ab. Soziale Teilhabe wird z. B. durch gebührenfreie/s Bildung und Studium; flächendeckende, bedarfsgerechte ganztägige Betreuung für alle Kinder; Gemeinschaftsschulen bis zur Klasse 10 als Regelschule ermöglicht. Verbesserte Perspektiven erfordern eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage und einen gesetzlichen Mindestlohn (10 Euro). Elterliche Zuwendung ist kein Ersatz für Politik. Armut in Deutschland ist erblich, weil Bildung vom Geldbeutel der Eltern abhängt. DIE LINKE fordert Bedingungen zu schaffen, die die Entwicklung von Kindern und deren soziale Teilhabe unabhängig von der sozialen Herkunft macht. Ein Rechtsanspruch für Kinder auf einen Ganztagsplatz, kleinere Gruppen, mehr Lehrer/innen und mehr sozialpädagogische Arbeit sind Schritte dazu.
 
Bündnis 90/Grüne Das veraltete dreigliedrige Schulsystem muss durch ein modernes eingliedriges Schulsystem nach skandinavischem Vorbild ersetzt werden. Desweiteren müssen flächendeckend bestehende Halbtagsschulen in gebundene Ganztagsschulen erweitert werden. Diskriminierungen insbesondere ethnischer Basis müssen durch Prävention und Umsetzung der Antidiskriminierungsgesetze verhindert werden, damit sich jeder als Teil der Gesellschaft fühlt. Selbstverständlich tragen die Eltern auch eine hohe Verantwortung für die Zukunft ihrer Kinder. Die primäre Aufgabe der Politik ist es jedoch, die schulischen betreuungs- und freizeitpädagogischen Angebote zu entfalten, um eine annähernde Chancengleichheit für jedes Kind anzuvisieren.

 

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Interview: Sönke Petersen 
Erschienen am 25. März 2010


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