Petra Merkel trifft Francesca Patrone, Adalisa Menghini und Antje Kraus in der Finow-Grundschule in der Welserstraße
Adalisa Menghini sinkt zusammen. Anmutig gleitet ihr Körper auf den Boden. Da liegt sie. Und alle Kinder liegen ebenfalls. Zwei Sekunden ist es still.
Die SPD-Abgeordnete Petra Merkel sitzt auf einem Stuhl — schuhlos — und schaut zu, wie zwei italienische Tänzerinnen mit Kindern einer 3. Klasse Bewegung üben. Die „Amtssprache” hier ist Italienisch. Im Wechsel geben die beiden Tänzerinnen, „uno, due, tre, quatro”, den Rhythmus vor.
Es ist TanzZeit. Die Berliner Abgeordnete Merkel wird später im Gespräch sagen, dies sei ein sehr schönes Projekt. TanzZeit geht an die Schulen und vermittelt Kindern aller Schichten ein Gefühl für Bewegung, für ihren Körper, dafür, wie schön es sein kann, beim Tanzen Kontakt mit anderen Körpern zu haben, wie toll es ist, wenn die Welt sich dreht, weil man sich selbst bewegt.
Adalisa Menghini, 1960 im italienischen Ferrara geboren und in Venedig aufgewachsen, unterrichtet in der Berliner Tanzfabrik Kontaktimprovisation. Die baut auf Vertrauen in sich und in andere und darauf, dass jeder ein Gefühl für Tanz in sich hat.
Petra Merkel, 1947 in Berlin geboren, sagt: „Das ist die beste Möglichkeit, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln, sich zu achten. Und vor allem”, sagt sie, „geschieht das, was Sie hier mit den Kindern machen, ohne Leistungsdruck.” Dass dies wichtige Momente in einer Leistungsgesellschaft sind, besonders für Kinder, darin sind sich die beiden Frauen einig. „Wir haben trotzdem ein Ziel”, erklärt Adalisa Menghini. „Wir üben sechs Monate lang und dann machen wir eine Aufführung. Da wachsen die Kinder über sich selbst hinaus. Sie sind Künstler. Sie sind wunderbar.”
TanzZeit findet in Berlin an mehr als vierzig Schulen statt. Eine davon ist die Finow-Grundschule, seit 1994 staatliche Europaschule mit den Partnersprachen Deutsch und Italienisch. Petra Merkel ist eine, die sich schon in den langen Jahren als Landespolitikerin für das Projekt Europaschule stark gemacht hat: „Die Kinder lernen Sprache, sie lernen, sich gegenseitig zu akzeptieren. Der Besuch einer solchen Schule ist immer ein guter Start.”
Adalisa Menghini hat eine Tochter, die geht in die Finow-Grundschule: „Es ist für sie wichtig, für ihre Identität. Sie ist in Berlin geboren, Tochter einer Italienerin und eines Engländers. Eigentlich haben Menschen wie ich immer auch den Wunsch, wieder nach Hause zu gehen. Aber wenn wir dann dort sind, merken wir, dass wir da nicht mehr hingehören.” Trotz der Ambivalenz dieses Gefühls — hier zu sein und von dort zu kommen, hier der Lebensmittelpunkt, da die Heimat — sagen beide Frauen, wie gut es sei, dass man sich so einfach in Europa bewegen könne. „Ich kann mit meinem Beruf nur in Berlin leben”, sagt Adalisa Menghini. „Hier finde ich gute Bedingungen vor. Aber mein Herz gehört Italien. Ohne Europa aber, das ist richtig, könnte ich hier nicht so einfach sein.”
Petra Merkel (links) trifft Francesca Patrone, Adalisa Menghini und Antje Kraus in der Finow-Grundschule in der Welserstraße (© DBT/studio kohlmeier)
Petra Merkel erzählt, sie habe Europa das erste Mal anders und vielleicht erst dann wirklich kennengelernt bei einem Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald vor zwei Jahren. „Da trafen sich Menschen verschiedener Nationen, die im Konzentrationslager gesessen hatten, mit Jugendlichen, die den Zweiten Weltkrieg nur aus Büchern kennen. Und die alten Menschen erzählten, wie sie damals, im KZ, dem Tod immer näher als dem Leben, von Europa geträumt haben. Von einem Europa, in dem die Nationen sich nicht bekriegen. Sie haben daran geglaubt. Und es ist wahr geworden. Man sollte sich häufiger vergegenwärtigen, dass dieser Traum von Europa älter ist als die Europäische Union. Und mehr als eine praktische Angelegenheit.”
Die praktische Angelegenheit, aber auch ein Stück des Traumes sind wahr geworden. In gewisser Weise kann eine Frau wie Adalisa Menghini dafür ein Beispiel sein. In Italien aufgewachsen, in den Niederlanden studiert, zum Beispiel mit dem französischen Theater Compagnie Transeurope in Paris getanzt, eigene Stücke choreografiert, die europaweit aufgeführt wurden, in Bulgarien während einer Koproduktion einen Engländer kennengelernt, in Berlin seit 1994 in verschiedenen Tanzschulen gearbeitet, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander arbeiten. Und so ist man wieder bei dem Thema „Staatliche Europaschulen”, die es in Berlin seit vierzehn Jahren gibt. Inzwischen werden neun Sprachkombinationen angeboten, an 29 Schulen. Das ist im eigentlichen Sinn Zukunftsarbeit. Genauso wie TanzZeit für Kinder.
Adalisa Menghini und Francesca Patrone haben die Kinder in Bewegung und ein wenig außer Atem gebracht. Hin und wieder hat die Lehrerin Antje Kraus ein Kind zur Seite genommen, getröstet, wenn es sich den Kopf gestoßen hatte, das linke Bein ein bisschen weh tat oder die eigene kleine Zappligkeit einen nicht die richtige Schrittfolge finden ließ.
Am Ende liegen alle Kinder auf dem Boden. Der Atem wird ruhiger. Die Abgeordnete Merkel sitzt barfüßig auf ihrem Stuhl. Musik von Arvo Pärt füllt den Raum. Adalisa Menghini und Francesca Patrone streichen mit großen roten Tüchern langsam über jedes Kind. Einmal, zweimal, dreimal. Für einen Moment ist es ganz still.
Es gibt Streicheleinheiten.
Fläche: 301.336 Quadratkilometer
Einwohner: rund 58,9 Millionen
Währung: Euro
Hauptstadt: Rom
Amtssprache: Italienisch (regional Deutsch, Ladinisch, Französisch, Slowenisch)
Staatsform: Republik
Nationalhymne: Fratelli d’Italia („Brüder Italiens”)
Kfz-Kennzeichen: I
Telefonvorwahl: +39
EU-Mitglied seit: Gründungsmitglied (Römische Verträge 1957)
Nationalfeiertag: 2. Juni (Gründungstag der Republik 1946)
Interessant: Es gibt in Italien mehr als 600 verschiedene Nudelformen.
Fraktion: SPD
Geboren: 18. September 1947 in Berlin
Wohnort: Berlin
Ausbildung: Höhere Wirtschaftsschule
Beruf: Kaufmännische Angestellte
Familie: geschieden, eine Tochter
Mitglied der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe
petra.merkel@bundestag.de
www.petra-merkel.de
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Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 11. Mai 2007