Christian Lange trifft Ana Maria Grilo in einer Zahnarztpraxis in Berlin-Westend
Im Portugiesischen gibt es ein Wort, das verweigert sich jeder Übersetzung. „Saudade” steht für ein Grundgefühl, eine ganz eigene Art, auf das Leben zu schauen und es anzunehmen. Melancholie ist ein Teil davon, Weltschmerz ein anderer, Sehnsucht sowieso.
Ana Maria Grilo ist eine Frau, die sich ganz und gar auf das Leben einlässt und sich zugleich seiner Vergänglichkeit immer bewusst ist. Zu Ana Maria passt das Wort „saudade”. Und es ist auch Christian Lange nicht fremd, der die zum Wort gehürende Musik, den Fado, liebt und das Land Portugal sowieso. Die Interpretation des Liedes „Grândola, Vila Morena” von José Afonso gab einst das Startzeichen zur portugiesischen Nelkenrevolution. Hürt man es heute, hat es nichts von seiner Eindringlichkeit verloren.
Christan Lange war 1973 gerade neun Jahre alt, als sich in Bad Münstereifel die Portugiesische Sozialistische Partei gründete. Ein Jahr später begann in Portugal die Revolution, die den Faschismus beendete. „Eine Erfolgsgeschichte, eine emotional berührende Geschichte, die uns Sozialdemokraten sehr geprägt hat”, sagt der Abgeordnete. Und fügt hinzu: „Deshalb ist es für uns wichtig, den Vorsitz in der Deutsch-Portugie-sischen Parlamentariergruppe zu haben. Ich habe die Männer, die damals im deutschen Exil die Partido Socialista gegründet haben, kennengelernt. Beeindruckende Menschen.”
Das Wartezimmer der Zahnarztpraxis, in der Ana Maria Grilo arbeitet, ist hell und bunt und gibt dem Ängstlichen Vertrauen. Die Portugiesin kümmert sich hier um die Verwaltung. Wenn die 1956 geborene Ana Maria erzählt, wie es so weit und so gut kommen konnte, sagt sie oft den Satz: „Es ist total verrückt.” Und zaubert dem Abgeordneten Lange damit ein Lächeln ins Gesicht. Natürlich ist das Leben oft „total verrückt”.
Christian Lange trifft Ana Maria Grilo in einer Zahnarztpraxis in Berlin-Westend (© DBT/studio kohlmeier)
Ana Maria Grilo ist in Zaire, heute Demokratische Republik Kongo, geboren und aufgewachsen. Ihr portugiesischer Vater hat 42 Jahre in Afrika gelebt und als Geschäftsmann gearbeitet. Die Mutter kommt aus Brasilien. Als Ana Maria fünf Jahre war, musste die Familie vor den Unruhen in Zaire nach Portugal flüchten und kehrte später noch einmal nach Afrika zurück.
Sie hat ihr Abitur in Lissabon gemacht und dann ein soziales Jahr lang in Armenvierteln der Stadt gearbeitet. Es folgte ein Studium der Pharmazie. Als Ana Maria Grilo 25 war, lernte sie Harry und Klaus aus Darmstadt kennen, die heute noch enge Freunde sind. „Es ist total verrückt, aber ich habe einen Koffer gepackt und bin mit nach Darmstadt gefahren. Ich konnte kein Wort Deutsch und habe mit Putzen mein Geld verdient. Dann bin ich für einige Zeit nach Kassel gegangen, zu meiner damaligen Liebe. Aber diese Beziehung hat nicht gehalten.”
Der Liebe wegen ist Ana Maria Grilo auch nach Berlin gekommen. Das war vor 13 Jahren. Und obwohl auch diese Beziehung kein Happy End hatte, blieb die Portugiesin in der Stadt und richtete sich in ihr ein. Heute wohnt sie in einer Wohnung, zu der ein schüner Garten gehürt, für den sie hunderte Steine gesammelt hat und in dem prachtvolle Dahlien wachsen. Sie lebt — getrennt zusammen, künnte man sagen — mit dem englischen Künstler Christopher Todd. Sie ist gern in Berlin und hat doch oft Sehnsucht nach Portugal. Ihr Vater schickt seine langen, handgeschriebenen Briefe oft per Fax in die Arztpraxis und wenn Ana Maria die liest, kommt „saudade”. Hier ist es schün, und dort künnte es auch schün sein. Vielleicht sitzt der Mensch immer zwischen den Stühlen. Wahrscheinlich ist Glück nur eine Momentaufnahme.
Zwei Menschen sitzen in einem Wartezimmer und reden miteinander. Im Hintergrund singt die Portugiesin Dulce Pontes. Christian Lange hürt zu und erzählt über seine Begegnungen mit Portugal. Seine Lieblingssängerin des Fado ist Mariza. „Einmal war ich bei einer Veranstaltung mit dem portugiesischen Parlamentspräsidenten. Und als es dann zum inoffiziellen Teil überging, begann ein Chor zu singen, und der Präsident nahm die Gitarre und spielte darauf. Großartig. Wäre hier allerdings eher undenkbar.”
Christian Lange war 1998 das erste Mal in Portugal und hat sich, wie er sagt, sofort in die Stadt Lissabon verliebt. „Ich mag diese Mischung aus mediterraner Lebensart und Melancholie.” Heute fährt der Abgeordnete zwei bis drei Mal im Jahr nach Portugal. „Nehmen Sie mich mit”, seufzt Ana Maria Grilo und lacht.
Mit der Osterweiterung der EU, sagt der Abgeordnete, und dem stimmt Ana Maria Grilo zu, seien in Portugal auch Befürchtungen entstanden, dass sich nun alle Aufmerksamkeit nach Osten verlagere. Solche Befürchtungen müsse man durch politisches Handeln zerstreuen. „Gegenwärtig wird in Portugal versucht, die Ausbildung zu einem dualen System wie in Deutschland zu entwickeln. Noch gibt es keine ausreichende Kultur der Ausbildungsberufe. Das ändert sich gerade. Langsam, aber sicher.”
Ana Maria Grilo schenkt dem Abgeordneten eine Musik-CD. Zur Erinnerung an diese Begegnung. An diesen Moment: Ein deutscher Abgeordneter und eine portugiesische zahnmedizinische Fachangestellte reden im Wartezimmer einer Zahnarztpraxis über das Leben.
Fläche: 92.391 Quadratkilometer
Einwohner: rund 10,5 Millionen
Währung: Euro
Hauptstadt: Lissabon
Amtssprache: Portugiesisch
Staatsform: Republik
Nationalhymne: A Portuguesa („Die Portugiesische”)
Kfz-Kennzeichen: P
Telefonvorwahl: +351
EU-Mitglied seit: 1986
Nationalfeiertage: 25. April (Tag der Freiheit), 10. Juni (Tag von Portugal), 5. Oktober (Tag der Republik), 1. Dezember (Tag der Unabhängigkeit)
Interessant: In ganz Portugal wächst der Eukalyptusbaum, eigentlich in Australien zu Hause.
Fraktion: SPD
Geboren: 27. Februar 1964 in Saarlouis (Saarland)
Wohnort: Backnang (Baden-Württemberg)
Ausbildung: Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
Beruf: Oberregierungsrat a. D.
Vorsitzender der Deutsch-Portugiesischen Parlamentariergruppe
christian.lange@bundestag.de
www.lange-spd.de
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Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 11. Mai 2007