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Gültig ab: 18.06.2008 10:19
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Quo vadis, Bundeswehr?

Deutsche Marinesoldaten trainieren in Wilhelmshaven eine Evakuierung im Rahmen einer Kriseneinsatzübung
Deutsche Marinesoldaten trainieren in Wilhelmshaven eine Evakuierung im Rahmen einer Kriseneinsatzübung
© Picture-Alliance/Ingo Wagner

Konzepte für die Zukunft

Nach dem Ende des Kalten Krieges hat die Bundeswehr viele neue Aufgaben übernommen. Was ist zu tun, damit sie angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen auch künftig optimal aufgestellt ist? In der Diskussion: die Wehrpflicht, künftige Sicherheitsstrukturen und der Einsatz im Innern.

Von der alten Sollstärke von 495.000 Soldaten zu Zeiten des Ost-West-Gegensatzes war es ein weiter Weg bis zum Umbau der Truppe in eine Einsatzarmee. Dieser Weg der Transformation ist noch nicht zu Ende gegangen: Im Jahr 2010 sollen alle Einheiten und Verbände in den neuen Strukturen angekommen sein und eine moderne Armee mit 35.000 Soldaten als Eingreifkräfte, 70.000 Soldaten als Stabilisierungskräfte und 147.500 Soldaten als Unterstützungskräfte bilden. Und doch wird im Bundestag bereits vor Erreichen dieses Ziels über neue Umgestaltungen, neue Organisationsmodelle, neue Aufgaben nachgedacht.

Die Unionsfraktion empfiehlt, dass sich Deutschland auf „weitere länger andauernde Einsätze der Bundeswehr zur Friedensstabilisierung und zur Friedenserzwingung vorbereiten” müsse. Dazu solle die Transformation der Bundeswehr hin zu flexiblen und auf Distanz verlegbaren, durchhaltefähigen Streitkräften weiter „forciert” werden. Nachbessern will die Union auf dem Feld des Heimatschutzes. So müssten für Pionieraufgaben, Sanitätswesen und ABC-Abwehr ausreichend Soldaten zur Verfügung stehen. Außerdem müsse die neue Struktur der zivil-militärischen Zusammenarbeit auf Landes- und Bezirksebene verbessert werden.

Wie es in der jüngsten Sicherheitsstrategie der Unionsfraktion an dieser Stelle weiter heißt, diene dem Heimatschutz auch die allgemeine Wehrpflicht. „Sie schafft Voraussetzungen für eine wirksame Landes- und Bündnisverteidigung”, unterstreicht das Papier. Bernd Siebert, Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, nennt die Wehrpflicht „gesellschaftspolitisch sinnvoll, vor allem sicherheitspolitisch notwendig”. Trotzdem müsse an einer „intelligenten Fortentwicklung der Wehrpflicht” gearbeitet werden. Es gehe darum, den Wehrdienst attraktiver zu machen, auch vor dem Hintergrund der kommenden geburtenschwächeren Jahrgänge.

Einen großen Schritt weiter geht SPD-Obmann Rainer Arnold. Ein einfaches „Weiter so” könne es bei der Wehrpflicht bereits in der nächsten Wahlperiode nicht mehr geben. „Die Wehrpflicht höhlt sich von innen selbst aus, wenn die jungen Menschen das Gefühl haben, der Staat gehe nicht mehr nachvollziehbar mit ihnen um — dieser Eindruck ist da”, betont der Sozialdemokrat. Die Antwort seiner Fraktion und Partei: Die Wehrpflicht bleibt als Sicherheitsvorsorge bestehen, zugleich wird aber die Freiwilligkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen so attraktiv gemacht, dass sich letztlich genügend junge Menschen auch auf diesem Weg für den Dienst an der Waffe finden lassen. „Ich denke, dass dieser Vorschlag ernsthaft zur Entscheidung herangezogen wird, und zwar in allen Koalitionskonstellationen, die nach der nächsten Bundestagswahl denkbar sind”, lautet die Einschätzung von Arnold.

Wehrpflichtige bei einem öffentlichen Gelöbnis
„Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.” — Wehrpflichtige bei einem öffentlichen Gelöbnis
© Picture-Alliance/Frank Rumpenhorst
Aus Sicht von FDP-Obfrau Birgit Homburger wird das Thema Wehrpflicht in der Tat bei den nächsten Koalitionsgesprächen eine wichtige Rolle spielen, nach ihrer Überzeugung auch schon im Wahlkampf: „Die jetzige Bundesregierung hat es versäumt, den längst überfälligen Weg zur Freiwilligenarmee einzuschlagen.” Es sei ganz offensichtlich, dass die Wehrpflichtarmee nicht mehr auf die heutige Situation passe. Einerseits sei die Bundeswehr eine Armee im Einsatz geworden, andererseits könne von Wehrgerechtigkeit „schon lange keine Rede mehr sein”. Baldmöglichst müsse die Bundeswehr als Freiwilligenarmee derart neu aufgestellt werden, „damit sie auch auf Dauer funktioniert”.

Auslaufmodell Wehrpflicht?

Für die Fraktion Die Linke kann die künftige Bundeswehr ebenfalls nur eine ohne Wehrpfl icht, somit eine Berufsund Freiwilligenarmee sein. Obmann Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke sieht daneben noch zwei weitere einschneidende Veränderungen. Er will die Entwicklung zur Einsatzarmee zurückdrehen. Die Bundeswehr müsse sich auf ihre Aufgaben in der Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren. „Sie kann viel kleiner sein als heute, ich denke, 100.000 Soldatinnen und Soldaten reichen völlig aus”, so Schäfer. Der Nebeneffekt: Die Truppe brauche weniger Geld. Denn dann könne auf viele teure Beschaffungsvorhaben verzichtet werden, die im Wesentlichen mit der globalen Interventionsfähigkeit zusammenhängen.

Auch für Bündnis 90/Die Grünen ist die Wehrpflicht ein Auslaufmodell. Obmann Winfried Nachtwei hält die Frage nach dem Wie aber eher für eine Sekundärfrage bei der Betrachtung der künftigen Bundeswehr. Nachtwei: „Entscheidender ist das Wofür.” Der im Regierungskonzept enthaltene Kernsatz für die Funktion der Truppe („Beteiligung an internationalen Krisenbewältigungen einschließlich Bekämpfung des internationalen Terrorismus”) gehe von einem Bundeswehrbild aus, wonach das deutsche Militär „alles können muss”. Dabei könne das Militär zum Kampf gegen den Terrorismus, von Spezialeinheiten abgesehen, nur indirekte Beiträge liefern. Entscheidend sei, sich nicht nur die Vorgänge im Süden Afghanistans, sondern alle UN-Missionen anzusehen. Und da gehe es viel mehr um Stabilisierungsmissionen und die Notwendigkeit, Sicherheit aufzubauen. Deshalb sieht Nachtwei das A und O der Bundeswehr künftig in der Ausbildungskomponente. Die Truppe müsse hervorragende Fähigkeiten haben, Ausbildungshilfe leisten zu können.

Daneben zeichnet sich auch eine Diskussion über die Strukturen ab, mit denen die Politik die Bundes wehreinsätze begleitet. Die Unionsfraktion will noch einmal an das Parlamentsbeteiligungsgesetz heran und dem Umstand Rechnung tragen, dass die Bundeswehr auch an multinationalen Verbänden beteiligt ist, die einen hohen Bereitschaftsgrad haben und schnell einsatzfähig sein müssen. Die anderen Fraktionen lehnen das ab und verweisen auf das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Regierung das Parlament zwingend beteiligen muss, wenn die Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung „konkret zu erwarten ist”.

Vernetzte Sicherheit

Außerdem verspricht sich die Unionsfraktion durch einen „Nationalen Sicherheitsrat” ein besseres Zusammenwirken aller Kräfte der inneren und äußeren Sicherheit. Er solle als „politisches Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum” eingerichtet werden. Davon wäre zweifellos auch die Bundeswehr betroffen: erstens im Zusammenhang mit „präventiven, zeitgerichteten und zielgerichteten außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen”, zum Zweiten beim Einsatz als Heimatschutzkräfte und nicht zuletzt auch im Rahmen der zivilmilitärischen Zusammenarbeit. Auch diese Initiative wird von den anderen Fraktionen abgelehnt. Unter anderem scheitert nach ihrer Überzeugung ein solcher „Nationaler Sicherheitsrat” an der verfassungsmäßigen Ordnung, die sich etwa vom Aufbau der staatlichen Institutionen der USA (hier gibt es einen Nationalen Sicher heitsrat) deutlich unterscheide.

Grafik: Entwicklung der Truppenstärke der Bundeswehr
Quelle: Jahresbericht 2007 des Wehrbeauftragten
Dennoch sieht auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ulrike Merten (SPD), Veränderungsbedarf bei der Begleitung der Parlamentsarmee durch das Parlament. Die Politik lege großen Wert auf die „vernetzte Sicherheit”. Etwa in Afghanistan sei eine immer engere Zusammenarbeit von Verteidigungsministerium, Auswärtigem Amt, Innenministerium und Mi nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nötig. Merten: „Ich will nicht verhehlen, dass es hier an der parlamentarischen Vernetzung ein wenig krankt.” Mit dem Vorschlag, einen eigenen „Einsatzausschuss” im Bundestag zu etablieren, kann Merten gleichwohl nicht viel anfangen. Schließlich laufe die Arbeit aller anderen Ausschüsse parallel weiter, es gebe daneben nur ein weiteres Gremium, das wiederum von den Beratungen auf benachbarten Feldern nichts mitbekomme. Als Fazit bleibt für Merten, „dass wir im Parlament zu einer stärkeren Ver knüpfung kommen müssen”.

Zwei weitere Felder sind für die Fortentwicklung der Bundeswehr ebenfalls wichtig. Zum einen beklagen politische und militärische Führung, dass die Rüstungsindustrie immer wieder hinter den Ansprüchen und Bedürfnissen der Bundeswehr zurückbleibe und selbst lange Lieferfristen nicht einhalte. Was nützt aber das beste Konzept zur schnellen Verlegbarkeit von Truppen im Einsatzland, wenn die dafür nötigen neuen Hubschrauber über alle Maßen auf sich warten lassen? Zum anderen hat das Interesse in der Bevölkerung nach den großen sicherheitspolitischen Debatten der 50er-, 60er- und 80er- Jahre spürbar nachgelassen. Truppe und Politik haben sich vorgenommen, neue Debatten über die künftige Entwicklung von Bundeswehr und deutscher Sicher heitspolitik anzuregen, damit es nicht bei dem vom Bundespräsidenten festgestellten „freundlichen Desinteresse” bleibt. 

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Erschienen am 18. Juni 2008


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