Deutsche Marinesoldaten trainieren in Wilhelmshaven eine Evakuierung im Rahmen einer Kriseneinsatzübung
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Konzepte für die Zukunft
Nach dem Ende des Kalten Krieges hat die Bundeswehr viele
neue Aufgaben übernommen. Was ist zu tun, damit sie angesichts
der sicherheitspolitischen Herausforderungen auch künftig optimal
aufgestellt ist? In der Diskussion: die Wehrpflicht, künftige
Sicherheitsstrukturen und der Einsatz im Innern.
Von der alten Sollstärke von
495.000 Soldaten zu Zeiten des
Ost-West-Gegensatzes war es ein
weiter Weg bis zum Umbau der Truppe
in eine Einsatzarmee. Dieser Weg der
Transformation ist noch nicht zu Ende
gegangen: Im Jahr 2010 sollen alle
Einheiten und Verbände in den neuen
Strukturen angekommen sein und eine
moderne Armee mit 35.000 Soldaten
als Eingreifkräfte, 70.000 Soldaten als
Stabilisierungskräfte und 147.500 Soldaten
als Unterstützungskräfte bilden.
Und doch wird im Bundestag bereits
vor Erreichen dieses Ziels über neue
Umgestaltungen, neue Organisationsmodelle,
neue Aufgaben nachgedacht.
Die Unionsfraktion empfiehlt,
dass sich Deutschland auf „weitere länger
andauernde Einsätze der Bundeswehr
zur Friedensstabilisierung und zur
Friedenserzwingung vorbereiten” müsse.
Dazu solle die Transformation der
Bundeswehr hin zu flexiblen und auf
Distanz verlegbaren, durchhaltefähigen
Streitkräften weiter „forciert” werden.
Nachbessern will die Union auf dem
Feld des Heimatschutzes. So müssten
für Pionieraufgaben, Sanitätswesen und
ABC-Abwehr ausreichend Soldaten zur
Verfügung stehen. Außerdem müsse die
neue Struktur der zivil-militärischen
Zusammenarbeit auf Landes- und Bezirksebene
verbessert werden.
Wie es in der jüngsten Sicherheitsstrategie
der Unionsfraktion an dieser
Stelle weiter heißt, diene dem Heimatschutz
auch die allgemeine Wehrpflicht.
„Sie schafft Voraussetzungen für eine
wirksame Landes- und Bündnisverteidigung”,
unterstreicht das Papier. Bernd
Siebert, Verteidigungspolitischer Sprecher
der CDU/CSU-Fraktion, nennt
die Wehrpflicht „gesellschaftspolitisch
sinnvoll, vor allem sicherheitspolitisch
notwendig”. Trotzdem müsse an einer
„intelligenten Fortentwicklung der
Wehrpflicht” gearbeitet werden. Es
gehe darum, den Wehrdienst attraktiver
zu machen, auch vor dem Hintergrund
der kommenden geburtenschwächeren
Jahrgänge.
Einen großen Schritt weiter geht
SPD-Obmann Rainer Arnold. Ein einfaches
„Weiter so” könne es bei der
Wehrpflicht bereits in der nächsten
Wahlperiode nicht mehr geben. „Die
Wehrpflicht höhlt sich von innen selbst
aus, wenn die jungen Menschen das
Gefühl haben, der Staat gehe nicht
mehr nachvollziehbar mit ihnen um —
dieser Eindruck ist da”, betont der
Sozialdemokrat. Die Antwort seiner
Fraktion und Partei: Die Wehrpflicht
bleibt als Sicherheitsvorsorge bestehen,
zugleich wird aber die Freiwilligkeit
in allen gesellschaftlichen Bereichen
so attraktiv gemacht, dass sich letztlich
genügend junge Menschen auch
auf diesem Weg für den Dienst an der
Waffe finden lassen. „Ich denke, dass
dieser Vorschlag ernsthaft zur Entscheidung
herangezogen wird, und
zwar in allen Koalitionskonstellationen,
die nach der nächsten Bundestagswahl
denkbar sind”, lautet die Einschätzung
von Arnold.
„Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.” — Wehrpflichtige bei einem öffentlichen Gelöbnis
© Picture-Alliance/Frank Rumpenhorst
Aus Sicht von FDP-Obfrau
Birgit Homburger wird das Thema
Wehrpflicht in der Tat bei den nächsten
Koalitionsgesprächen eine wichtige
Rolle spielen, nach ihrer Überzeugung
auch schon im Wahlkampf: „Die
jetzige Bundesregierung hat es versäumt,
den längst überfälligen Weg
zur Freiwilligenarmee einzuschlagen.”
Es sei ganz offensichtlich, dass die
Wehrpflichtarmee nicht mehr auf die
heutige Situation passe. Einerseits sei die Bundeswehr eine Armee im Einsatz
geworden, andererseits könne von
Wehrgerechtigkeit „schon lange keine
Rede mehr sein”. Baldmöglichst müsse
die Bundeswehr als Freiwilligenarmee
derart neu aufgestellt werden, „damit
sie auch auf Dauer funktioniert”.
Auslaufmodell Wehrpflicht?
Für die Fraktion Die Linke kann die
künftige Bundeswehr ebenfalls nur eine
ohne Wehrpfl icht, somit eine Berufsund
Freiwilligenarmee sein. Obmann
Paul Schäfer von der Fraktion Die
Linke sieht daneben noch zwei weitere
einschneidende Veränderungen.
Er will die Entwicklung zur Einsatzarmee
zurückdrehen. Die Bundeswehr
müsse sich auf ihre Aufgaben in der
Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren.
„Sie kann viel kleiner sein als
heute, ich denke, 100.000 Soldatinnen
und Soldaten reichen völlig aus”, so
Schäfer. Der Nebeneffekt: Die Truppe
brauche weniger Geld. Denn dann könne
auf viele teure Beschaffungsvorhaben
verzichtet werden, die im Wesentlichen
mit der globalen Interventionsfähigkeit
zusammenhängen.
Auch für Bündnis 90/Die Grünen
ist die Wehrpflicht ein Auslaufmodell.
Obmann Winfried Nachtwei hält die
Frage nach dem Wie aber eher für eine
Sekundärfrage bei der Betrachtung
der künftigen Bundeswehr. Nachtwei:
„Entscheidender ist das Wofür.” Der
im Regierungskonzept enthaltene
Kernsatz für die Funktion der Truppe („Beteiligung an internationalen Krisenbewältigungen
einschließlich Bekämpfung
des internationalen Terrorismus”)
gehe von einem Bundeswehrbild aus,
wonach das deutsche Militär „alles
können muss”. Dabei könne das Militär
zum Kampf gegen den Terrorismus,
von Spezialeinheiten abgesehen, nur
indirekte Beiträge liefern. Entscheidend
sei, sich nicht nur die Vorgänge im
Süden Afghanistans, sondern alle UN-Missionen
anzusehen. Und da gehe es
viel mehr um Stabilisierungsmissionen
und die Notwendigkeit, Sicherheit aufzubauen. Deshalb sieht Nachtwei
das A und O der Bundeswehr künftig
in der Ausbildungskomponente. Die
Truppe müsse hervorragende Fähigkeiten
haben, Ausbildungshilfe leisten
zu können.
Daneben zeichnet sich auch
eine Diskussion über die Strukturen
ab, mit denen die Politik die Bundes
wehreinsätze begleitet. Die Unionsfraktion
will noch einmal an das
Parlamentsbeteiligungsgesetz heran
und dem Umstand Rechnung tragen,
dass die Bundeswehr auch an multinationalen
Verbänden beteiligt ist, die
einen hohen Bereitschaftsgrad haben
und schnell einsatzfähig sein müssen.
Die anderen Fraktionen lehnen das ab
und verweisen auf das jüngste Urteil
des Bundesverfassungsgerichts, wonach
die Regierung das Parlament
zwingend beteiligen muss, wenn die
Einbeziehung deutscher Soldaten in
eine bewaffnete Auseinandersetzung
„konkret zu erwarten ist”.
Vernetzte Sicherheit
Außerdem verspricht sich die Unionsfraktion
durch einen „Nationalen
Sicherheitsrat” ein besseres Zusammenwirken
aller Kräfte der inneren und
äußeren Sicherheit. Er solle als „politisches
Analyse-, Koordinierungs- und
Entscheidungszentrum” eingerichtet
werden. Davon wäre zweifellos auch
die Bundeswehr betroffen: erstens
im Zusammenhang mit „präventiven,
zeitgerichteten und zielgerichteten
außen- und sicherheitspolitischen
Maßnahmen”, zum Zweiten beim
Einsatz als Heimatschutzkräfte und
nicht zuletzt auch im Rahmen der zivilmilitärischen
Zusammenarbeit. Auch diese Initiative wird von den anderen
Fraktionen abgelehnt. Unter anderem
scheitert nach ihrer Überzeugung ein
solcher „Nationaler Sicherheitsrat” an der verfassungsmäßigen Ordnung, die
sich etwa vom Aufbau der staatlichen
Institutionen der USA (hier gibt es einen
Nationalen Sicher heitsrat) deutlich
unterscheide.
Quelle: Jahresbericht 2007 des Wehrbeauftragten
Dennoch sieht auch die Vorsitzende
des Verteidigungsausschusses,
Ulrike Merten (SPD), Veränderungsbedarf
bei der Begleitung der Parlamentsarmee
durch das Parlament. Die
Politik lege großen Wert auf die „vernetzte
Sicherheit”. Etwa in Afghanistan
sei eine immer engere Zusammenarbeit
von Verteidigungsministerium, Auswärtigem
Amt, Innenministerium und
Mi nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
nötig. Merten: „Ich will
nicht verhehlen, dass es hier an der parlamentarischen
Vernetzung ein wenig
krankt.” Mit dem Vorschlag, einen eigenen
„Einsatzausschuss” im Bundestag
zu etablieren, kann Merten gleichwohl
nicht viel anfangen. Schließlich laufe die
Arbeit aller anderen Ausschüsse parallel
weiter, es gebe daneben nur ein weiteres
Gremium, das wiederum von den
Beratungen auf benachbarten Feldern
nichts mitbekomme. Als Fazit bleibt
für Merten, „dass wir im Parlament zu
einer stärkeren Ver knüpfung kommen
müssen”.
Zwei weitere Felder sind für die
Fortentwicklung der Bundeswehr ebenfalls
wichtig. Zum einen beklagen politische
und militärische Führung, dass die
Rüstungsindustrie immer wieder hinter
den Ansprüchen und Bedürfnissen der
Bundeswehr zurückbleibe und selbst
lange Lieferfristen nicht einhalte. Was
nützt aber das beste Konzept zur
schnellen Verlegbarkeit von Truppen
im Einsatzland, wenn die dafür nötigen
neuen Hubschrauber über alle Maßen
auf sich warten lassen? Zum anderen
hat das Interesse in der Bevölkerung
nach den großen sicherheitspolitischen
Debatten der 50er-, 60er- und 80er-
Jahre spürbar nachgelassen. Truppe
und Politik haben sich vorgenommen,
neue Debatten über die künftige Entwicklung
von Bundeswehr und deutscher
Sicher heitspolitik anzuregen,
damit es nicht bei dem vom Bundespräsidenten festgestellten „freundlichen Desinteresse” bleibt.
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Erschienen am 18. Juni 2008