Blickpunkt Spezial: Warum ist die
Täterschaft so umstritten?
Sven Felix Kellerhoff: Weil der Reichstagsbrand für die Errichtung der nationalsozialistischen
Diktatur eine große Bedeutung hat. Und weil es naheliegt, dass derjenige, dem etwas
nützt, auch dahintersteckt, glauben viele an eine Täterschaft der Nazis.
Blickpunkt: Was haben Sie nun untersucht?
Kellerhoff: Im Bundesarchiv liegen die nahezu vollständigen Akten der
damaligen Vorermittlung und des Ermittlungsrichters. Diese Akten
haben bisher nur Autoren ausgewertet, die sich entsprechend einer
Verschwörungstheorie auf die Nazis als Täter festgelegt hatten. Ich war
der erste, der ohne Vorwegnahme des Ergebnisses die Akten studiert hat.
Blickpunkt: Was ist Ihnen aufgefallen?
Kellerhoff: Es war bemerkenswert,
wie sauber die Beamten der damaligen
Berliner politischen Polizei gearbeitet haben. Hitler war bereits
an der Macht, es herrschte schon ein Klima der Gewalt, aber
verschiedene Ermittler kamen zu anderen Ergebnissen als das, was
die Regierung Hitler bereits an Behauptungen
an die Öffentlichkeit brachte — etwa über die angebliche
kommunistische Beteiligung. Die Ermittler haben einen sauberen Job
gemacht und sind zu einem eindeutigen
Ergebnis gekommen — auch
wenn einige von ihnen später eine
fragwürdige Rolle gespielt haben.
Blickpunkt: Zu welchem Ergebnis?
Kellerhoff: Marinus van der Lubbe
war ein Einzeltäter. Die Nazis hatten
nichts mit der Brandstiftung zu tun,
die ihnen allerdings sehr gelegen kam.
Sie haben sie perfekt ausgenutzt. Das
Land hat sich dieser Erkenntnis 75
Jahre lang in heftigen Zuckungen immer
wieder widersetzt.
Blickpunkt: Ist der Streit nun zu Ende?
Kellerhoff: Sachlich ist er geklärt. Aber
es fällt vielen schwer zu glauben, dass
die Nazis zwar einen Weltbrand ausgelöst
und Millionen Menschen auf
dem Gewissen haben — aber nicht den
Reichstagsbrand. Vermutlich wird der
Streit daher noch lange anhalten.
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Erschienen am 24. September 2008
Sven Felix Kellerhoff, Jahrgang 1971, ist leitender Redakteur für Zeit und Kulturgeschichte bei der WELT und der Berliner Morgenpost. Er ist Autor des Buches „Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls”.