Bis zur Abdankung Wilhelms II. 1918 war dort das Machtzentrum des Kaiserreichs: im Stadtschloss in Berlin. Auf einem Schlossbalkon proklamierte der Kommunist Karl Liebknecht am 9. November 1918 die „Freie Sozialistische Republik Deutschland” — kurz zuvor hatte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Reichstagsgebäude aus bereits die Republik ausgerufen. 1950 wird der kriegszerstörte Schlossbau auf Befehl der DDR-Führung gesprengt. An selber Stelle errichtet das Regime in den 70er-Jahren den Palast der Republik, der mit Restaurants und Veranstaltungssälen zu einem Zentrum realsozialistischer Eventkultur wird — und außerdem die Volkskammer, das Parlament der DDR, beherbergt.
Bis zu den ersten freien Wahlen am 18. März 1990 ist die Volkskammer nur ein Scheinparlament. Es ist dazu da, die Entscheidungen des Politbüros und die im Ministerrat und Staatsrat entwickelten Gesetze abzusegnen. Weil Diskussionen nicht üblich sind und die Zustimmung obligatorisch ist, reicht es, dass die Volkskammer ganze zwei bis vier Mal im Jahr zusammentritt. Wahlen bringen keine Veränderungen — die Sitzverteilung ist vorher festgelegt, und der „Wähler” gibt der Einheitsliste gewöhnlich seine Zustimmung. Bereits die erste „Wahl” fördert ein 99,7-Prozent-Ergebnis zugunsten der Einheitsliste zutage. Zuvor war 1946 bereits die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED vorgenommen worden, und die erste „provisorische” Volkskammer hatte ein Jahr lang ganz ohne Wahl existiert. Die führende Rolle der SED wird in der Verfassung von 1968 festgeschrieben, und auch die Vergabe von weiteren „Parlaments”Sitzen an die Massenorganisationen der SED macht deutlich, dass die Volkskammer bloß eine parlamentarische Fassade ist.
Umso mehr arbeitet die erste frei gewählte Volkskammer 1990.
Sie knüpft an die Diskussionen am „Runden Tisch” an und leistet binnen weniger Monate eine gewaltige Reform des DDR-Gesetzes und Verfassungswerks. 144 von der Volkskammer gewählte Abgeordnete ziehen, wie im Einigungsvertrag geregelt, vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen auch in den Bundestag ein.
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Erschienen am 24. September 2008