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Gültig ab: 11.11.2008 10:19
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Neue Herausforderungen in einer vernetzten Welt

Stecknadeln auf einem Globus, verbunden mit weißen Linien
Weltweite Datennetze - die Infrastruktur des Informationszeitalters
© Bill Frymire/Masterfile

Datenschutz im Informationszeitalter

Jeder Mensch hinterlässt eine Datenspur. Seine Daten werden gespeichert, verändert, weitergegeben oder gelöscht. Damit dies im Sinne der Betroffenen geschieht, sollen diese ihre Daten schützen und kontrollieren können. Die jüngsten Skandale um Datenmissbrauch und illegalen Handel zeigen, dass neue Herausforderungen vor Politik und Bürgern liegen.

Fragen des Datenschutzes drehten sich von Beginn an immer darum, wie Menschen mit Computern umgehen. Als die ersten Datenschutzregelungen Anfang der 70er-Jahre eingeführt wurden, ging es darum, wie staatliche Stellen die über Bürger in ihren Rechenzentren gespeicherten Daten behandelten. Zunehmend kommen Computeranwendungen nicht mehr auf eigenen Rechnern zum Einsatz, sondern auf Servern im Internet. Daten werden auf Computern gespeichert, von denen man oftmals gar nicht mehr weiß, wo sie eigentlich ihren physischen Ort haben. Heute sind nahezu alle Rechner vernetzt, die Daten fließen von einer Recheninsel zur nächsten, werden gespeichert, geändert, erweitert, weitergegeben, aggregiert und kumuliert.

Lange Zeit speicherten Behörden Daten über Bürger in einem eng begrenzten Rahmen für bestimmte Zwecke. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 werden diese Daten in zunehmendem Maße nicht nur zwischen nationalen, sondern auch internationalen Behörden ausgetauscht. Für den Datenschutz markiert der 11. September in vielerlei Hinsicht eine Zäsur: Zu den einschneidenden Neuerungen in der Folge der Anschläge gehört etwa die Einführung biometrischer Merkmale in den Passdokumenten, insbesondere die Erfassung der Fingerabdrücke in Reisepässen. Auch die engere Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten in einem gemeinsamen Lagezentrum im Kampf gegen den Terror wurde als historischer Einschnitt wahrgenommen. Hier, so Kritiker, werde das nach 1945 eingeführte und in verschiedenen Gesetzen geregelte Tren-nungsgebot zur Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten missachtet.

Vom „großen Bruder” zu den vielen „kleinen Schwestern”
Das Wiederaufleben der Rasterfahndung sowie die Erfassung von Flugpassagierdaten und ihre Weitergabe an ausländische Behörden gehören ebenfalls zu den Neuerungen im Bemühen um mehr Sicherheit. Im grenzüberschreitenden Datenverkehr der Behörden haben Bürger nur noch wenige Möglichkeiten, die Verwendung ihrer Daten zu überprüfen. Weitgehend unbekannt ist, dass auch Unternehmen davon betroffen sind. So müssen vor dem Grenzübertritt von Waren Zollbehörden eine Risikoanalyse durchführen - unter anderem, um terroristische Anschläge zu verhindern. Dies führt aber dazu, dass Wettbewerber in den USA auf Daten aus Passagierfragebögen und Frachtdokumenten europäischer Lieferanten zugreifen können. Schließlich halten viele Bürger die Anfang 2008 in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung für so bedrohlich, dass sie sich zu Zehntausenden einem Klageverfahren anschlossen, in dem die verdachtsunabhängige sechsmonatige Speicherung der Telefon- und Internetverbindungsdaten durch das Bundesverfassungsgericht überprüft wird.

Die informationelle Selbstbestimmung, so sind sich Datenschützer und Bürgerrechtler einig, ist mit diesen und anderen seit den Terroranschlägen eingeführten Maßnahmen sukzessive beschnitten worden. Ein Mehr an Sicherheit wurde versprochen - im Tausch gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten. Wie prekär die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit in einem demokratischen Rechtsstaat ist, wusste schon Benjamin Franklin. Er postulierte vor über 200 Jahren: „.Jene, die Freiheit aufgeben, um eine vorübergehende Sicherheit zu erwerben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.”. Aus diesem Grund versteht sich das Grundgesetz als Abwehr staatlicher Eingriffe in die Sphäre der Bürger.

Frau vor Computerbildschirm, dahinter an der Wand Zahlenkolonnen
Arbeitsplatz Computer: Der Mensch lebt heute im Netzwerk weltweiter Datenströme
© epd/Werner Krüper
Spuren im Internet

Es ist aber längst nicht mehr nur der Staat, der vieles über die Bürger weiß, sondern es sind zahlreiche Unternehmen: Telekommunikationsunternehmen, Internetbetreiber, Versicherungen, Handelskonzerne, Medienunternehmen und nicht zuletzt Suchmaschinenbetreiber. Jede Tasteneingabe kann aufgezeichnet und ausgewertet werden. Die Rede ist daher auch längst nicht mehr von der Gefahr, die von einem „großen Bruder” ausgeht, sondern wie es um die vielen „kleinen Schwestern” und den Nachbarn von nebenan bestellt ist.

Da es nur noch wenige Arbeitsplätze gibt, die nicht auf irgendeine Weise mit Kommunikations- und Informationstechnologien verbunden sind, gibt es nur noch wenige Arbeitnehmer, die nicht durch und in ihrer Arbeit neue Daten erzeugen. Arbeitnehmer in Callcentern können bekanntlich lückenlos überwacht werden, doch auch die Arbeit von Kassiererinnen kann von einer digitalen Kasse minutiös auf-gezeichnet werden. Überprüfbar ist auch, welche Route etwa ein Versicherungsvertreter im Außendienst einschlägt, wie schnell er fährt, wie viele Pausen er macht.

Selbst private Tätigkeiten wie das Einkaufen, die ursprünglich allein nur etwas mit dem Austausch von Waren gegen Geld zu tun hatten, sind digitalisiert: Die Kasse registriert die Kontodaten der Bankkarte, mit der man bezahlt hat; über den RFID-Chip in der Ware lässt sich der gesamte Lebenszyklus eines Produkts nachvollziehen. Nicht zu reden von intelligenten Videoüberwachungssystemen, die jede körperliche Bewegung nach Verdachtsmomenten analysieren können.

Welchen Standards muss der Datenschutz in Unternehmen genügen?
Fraglich ist auch, wie man mit dem „Gedächtnis” des Internets umgehen soll: Wie lange sollen Daten im Internet abrufbar sein? Wie lassen sich Persönlichkeitsrechte wirksam schützen? Eine US-Universität hatte einer Studentin die letzte Bestätigung verweigert, die sie zum Lehramt befähigt hätte. Grund war ein auf der Kontaktplattform MySpace veröffentlichtes Partyfoto, das sie als „betrunkenen Piraten” zeigte. Daten können heute so gut wie nicht mehr aus dem Netz entfernt werden, da sie - einmal online - über verschiedene Dienste kopiert und archiviert werden. Außerdem lassen sich Informationen über eine Person aus Fototauschplattformen, Diskussionsforen, Bookmarks, Blogs und Kontaktplattformen zusammenführen. Damit können Persönlichkeitsprofile erstellt werden. Genutzt wird dies etwa von Personen-Suchmaschinen. Wer nicht im Internet gefunden werden kann, so scheint es, existiert nicht. Damit entsteht jedoch auch eine Elite medial Unsichtbarer, die über die notwendige Kompetenz und die Mittel verfügt, ihr Leben vor der Öffentlichkeit zu schützen.

Doch selbst wenn Menschen ihre Daten in dieser Weise „managen” könnten, gäbe es noch immer viele Daten über sie, die sie nicht selbst verursacht haben und daher auch erst einmal nicht direkt kontrollieren können. Freunde und Bekannte können etwa Bilder von ihnen auf Fotoplattformen im Internet veröffentlichen und kommentieren, ohne dass sie darüber gleich erfahren. Kriminelle, Spaßvögel oder Stalker können sich illegal Kreditkartennummern besorgen, online Bestellungen für eine Person aufgeben oder sie in Foren verleumden.

Grafik zum Thema 'Illegaler Datenhandel und Datenmissbrauch'

© Marc Mendelson
Dass diese Daten auch aus umfangreichen Kundendatenbanken von Unternehmen stammen können, zeigten im Jahr 2008 gleich mehrere Fälle. Verbraucherschützern wurde eine CD mit persönlichen Daten von mehr als einer Million Bundesbürgern zugespielt. Genutzt wurde sie von Mitarbeitern in einem Callcenter. Personenbezogene Daten können auf vielfältige Weise in Umlauf geraten: Im Oktober wurde bekannt, dass 17 Millionen T-Mobile- Kundendaten bereits 2006 geklaut und im Internet in kriminellen Kreisen gehandelt wurden. Zu den gestohlenen Kundendaten zählen nicht nur Handynummern, Adressen, Geburtsdaten, sondern teilweise auch E-Mail-Adressen.

Angesichts der Dimensionen des Datenhandels und möglichen Datenmissbrauchs stellt sich nicht nur die Frage nach höheren Strafen gegen den illegalen Datenhandel, sondern auch nach präventiven Maßnahmen. Welchen Standards müssen Datenschutz- und IT-Sicherheitskonzepte in Unternehmen genügen? Wie können Verbraucher erfahren, ob diese Konzepte datenschutzkonform sind? Wie müssen Verfahrens- und Produktbewertungen (sogenannte Audits) gestaltet werden, die hierüber verlässlich Auskunft geben können?

Nicht nur im Umgang mit Kundendaten gilt es jedoch, das Vertrauen der Betroffenen wiederzugewinnen. Die in jüngster Zeit bekannt gewordenen Bespitzelungen von Arbeitnehmern beim Discounter Lidl und der Fast- Food-Kette Burger King, bei Novartis, Lufthansa oder der Deutschen Telekom zeigen, dass der Arbeitnehmer verstärkt als Risikofaktor, nicht aber als Partner wahrgenommen wird.

Recht auf Auskunft

Deutlich wird die zunehmend wichtige Rolle der betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Diskutiert wird nun, ob sie nicht nur mehr Kompetenzen brauchen, sondern ob ihnen auch ein den Betriebsräten ähnlicher Schutz zukommen soll. Fraglich ist auch, ob die staatlichen Datenschutzbeauftragten rechtlich, personell und organisatorisch stärker als bisher dazu befähigt werden sollen, auch präventiv in privaten Unternehmen zu kontrollieren.

Weitere Konfliktfelder gibt es im Bereich der wirtschaftlichen Verfügbarkeit personenbezogener Daten. Eine Besonderheit hierbei sind Geodaten, die den Aufenthalt von Personen beziehungsweise Gegenständen oder den Standort von Wohnungen lokalisieren können. Mit dem Geo-Scoring können raumbezogene Daten so ausgewertet werden, dass etwa die Kreditwürdigkeit einzelner Straßenzüge, wenn nicht gar einzelner Gebäude ermittelt werden kann.

Theoretisch hat jeder das Recht auf Auskunft, Benachrichtigung, Einwilligung und Widerspruch, was die Verwendung seiner persönlichen Daten betrifft. Außerdem dürfen Daten nur für den Zweck verwendet werden, für den sie gespeichert wurden. Doch Datenschützer stellten schon vor Jahren fest, dass ihnen angesichts der Vielzahl und Alltäglichkeit der Datenbewegungen eine effektive Kontrolle nicht mehr möglich ist. Deshalb sollten Werkzeuge entwickelt werden, mit deren Hilfe die Menschen in der Lage wären, das Schicksal ihrer eigenen Daten selbst in die Hand zu nehmen, also ihre Datenspur zu kontrollieren. Erste sogenannte Identitätsmanagementsysteme wurden bereits für Internetdienste entwickelt, für die Menschen unterschiedliche Zugangsdaten und Profile verwenden. Auf diese Weise ist der Einzelne in der Lage zu bestimmen, was mit seinen Daten geschieht. Doch alltägliche Praxis sind solche Werkzeuge noch lange nicht.

Inzwischen gibt es mehrere wegweisende Urteile des Bundesverfas- sungsgerichts: Ein Grundrecht auf in-formationelle Selbstbestimmung wurde bereits 1983 aus dem Grundgesetz abgeleitet. Auch die Definition des „Kernbereichs privater Lebensgestaltung” und eines „Rechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme” hat Karlsruhe vorgenommen. Angesichts des tief greifenden Wandels in allen gesellschaftlichen Bereichen beschäftigt sich die Politik mit der Frage, ob der Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht prominent im Grundgesetz verankert werden sollte. Hierzu hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf vorgelegt. Klar ist: Die umfassenden Herausforderungen der Informationsgesellschaft verlangen ein neues Verständnis des Datenschutzes - und eine Antwort.  

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Text: Christiane Schulzki-Haddouti
Erschienen am 19. November 2008

Weitere Informationen:

Virtuelles Datenschutzbüro
Ein gemeinsamer Bürger- service der Datenschutzinstitutionen:
www.datenschutz.de


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