Im Herbst 1988 öffnet Aram Radomski die Wohnungstür. Vor ihm steht Sigbert Schefke. „Du bist doch Spezialist für fotografische Vervielfältigungen. Machst du mir bis morgen Einladungen?” Für den 25-jährigen Fotografen kein Problem. Sie kennen sich nicht, Schefke ist ein unangepasster DDR-Bürger; er darf nicht außer Landes reisen. Beim zweiten Treffen offenbart er sich. „Ich suche einen Kameramann. Ich kümmere mich für die Sendung „Kontraste” beim Sender Freies Berlin um Themen, die Westkorrespondenten verborgen bleiben oder für die sie keine Drehgenehmigung bekommen.”
Radomski denkt: Das ist es! Er hat mit der DDR eine Rechnung offen. Vor fünf Jahren saß er unschuldig im Gefängnis, angeblich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. In Plauen flirtet er mit zwei Frauen: Zwei Hünen packen ihn, verprügeln ihn, werfen ihn in ein Auto, er verliert die Besinnung, wacht in der Haft auf. Urteil: sechs Monate. Kein Zeuge wird gehört. Er sitzt bis zum letzten Tag. Aus Akten weiß er: Die Stasi wollte so seinen Vater, den Schriftsteller Gerd Neumann, außer Landes treiben. Zu Schefke sagt er: „Ich bin dabei!” und denkt: Wenn es schiefgeht, sitze ich für eine gerechte Sache!
Sie fahren an heikle Orte, nach Bitterfeld zum „Silbersee”, in den das Chemiekombinat giftige Abwässer entsorgt, nach Espenhain zum Braunkohleabbau, wo Kohlestaub auf Häusern und Feldern liegt. Im Herbst 1989 schließlich ihr Bravourstück: Schefke und Radomski filmen die Leipziger Montagsdemonstrationen, stehen auf Fußgängerbrücken neben Stasileuten, grüßen „Guten Abend, Genossen”. Die Kamera läuft in der Tasche. Sie steigen auf das Hochhaus am Bahnhof, die Kamera läuft. Der Hausmeister kommt: „Hier wohnen vierzig Stasioffiziere. Macht schnell weg!” Sie eilen zur Reformierten Kirche, bitten den Pfarrer, den Turm zu öffnen. Widerwillig gibt er ihnen den Schlüssel: „Von mir habt ihr den nicht!”
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Chronik „Der Anfang vom Ende der DDR: Die Jahre 1985-1990” »
Text: Karl-Heinz Baum
Erschienen am 2. Oktober 2009